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Transdisziplinär forschen, um aktuellen Fragen zu begegnen

Anlässlich der Gründung der Gesellschaft für transdisziplinäre und partizipative Forschung sprechen wir mit Dr. Melanie Mbah über transdisziplinäre Forschung, was diesen Ansatz ausmacht, wie transdisziplinäre Projekte ablaufen und wie die Gesellschaft arbeiten wird.

Transdisziplinäre Forschung gewinnt in den letzten Jahren an Bedeutung. Könntest du bitte zunächst erklären, was der Unterschied zwischen interdisziplinär und transdisziplinär ist?

Sehr gern. Interdisziplinär heißt, dass die Disziplinen untereinander gemeinsam arbeiten. Also Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Disziplinen arbeiten zusammen an einem Thema. Aber nicht jede*r für sich, sondern sie forschen gemeinsam an einer Fragestellung und entwickeln Lösungen. Transdisziplinär ist der Schritt raus aus der Wissenschaft. Personen aus der Verwaltung, der Politik, Zivilgesellschaft werden in die Wissensproduktion integriert, also auch Personen, die keinen wissenschaftlichen Hintergrund haben. Transdisziplinäre Forschung hat das Ziel, gemeinsam mit allen Akteuren robustes Wissen mit gesellschaftlicher Relevanz zu generieren.

Seit wann gibt es diesen Forschungszweig?

Er ist noch recht jung. Die Wurzeln liegen in der sozialökologischen Forschung, die weiter zurückreicht. Aber von Transdisziplinarität wird erst seit den 2000er Jahren gesprochen. Seitdem entwickelt sie sich weiter und gewinnt an Popularität.

Und wo ist sie entstanden?

Die transdisziplinäre Forschung ist stark geprägt durch den europäischen Raum, vor allem in den deutschsprachigen Ländern, aber auch in den Niederlanden gibt es darauf einen Fokus.

Wie hat sich die transdisziplinäre Forschung am Öko-Institut entwickelt?

Wir haben von Beginn an Ansätze transdisziplinären Forschens geprägt, aber vor dem Hintergrund der sozialökologischen Forschung. Daraus entstanden die ersten Projekte, in denen wir gemeinsam mit Praxisakteuren forschten. Die Energiewendeforschung, die Bettina Brohmann am Öko-Institut geleitet hat, hat bereits früh mit Praxisakteuren zusammengearbeitet. Solche Formate transdisziplinärer Forschung, wie beispielsweise Reallabore, gab es aber noch nicht.

Wie hast du angefangen, in diesem Bereich zu forschen? Hast du das studiert oder wie bist du darauf gekommen?

Nein, studiert habe ich das nicht. Es gab auch keinen Studiengang zu transdisziplinärer Forschung. Aber mein Studium hat Ansätze in diese Richtung verfolgt. Ich habe Geografie studiert, das ist ein Studiengang der interdisziplinär angelegt und sehr praxisbezogen ist. Man arbeitet mit Stakeholdern und Praxisakteuren zusammen. Dabei verwendet man verschiedene Methoden der Aktionsforschung oder anderer Forschungsstränge. Danach habe ich mich mit Migrationsforschung beschäftigt. Am ITAS des Karlsruher Instituts für Technologie wurde mein Interesse für Transdisziplinarität durch deren Reallaborforschung geweckt. Ich fand es sehr spannend zu beobachten, wie das Quartier Zukunft sich entwickelt und hatte Lust, mehr in diese Art der Forschung einzutauchen.

Welche Formate gibt es in der transdisziplinären Forschung?

Ein Format ist es dann, wenn es den gesamten Forschungsprozess strukturiert. Gemeinsam ist allen Formaten in der transdisziplinären Forschung, dass sie reflexiv vorgehen. Immer wieder wird gefragt, ob die Forschungsfrage noch die richtige ist und das Vorgehen funktioniert. Ansonsten wird auch im laufenden Projekt immer wieder nachjustiert und angepasst.

Eine Möglichkeit ist das Format Reallabor. Die beteiligten Akteure entwickeln dabei in einem gemeinsamen Prozess häufig in sogenannten “Real-Experimenten” konkrete Produkte oder Dienstleistungen und setzen diese auch gemeinsam um. Ein weiteres Format sind die Transmente: In diesen Experimentierräumen sollen die etablierten Routinen verschiedener Akteure aufgebrochen werden, um in gemeinsamen Lernprozessen nachhaltige Verhaltensänderungen in Form von Systeminnovationen zu initiieren – so etwa in der Lederproduktion die Offenlegung und Substitution von Chemikalien entlang der Lieferkette. Die Theory of Change, ein weiteres Format, kann dazu dienen, ein Forschungsprogramm zu bewerten, oder Wirkungen im Forschungsverlauf systematisch in den Blick zu nehmen und zu initiieren. Das Format der 10 Steps fokussiert auf den Start eines transdisziplinären Prozesses und strukturiert ihn von Beginn an. Dabei werden mittels unterschiedlicher Methoden die verschiedenen Sichtweisen der beteiligten Akteure auf ein gesellschaftliches Problem und deren Erwartungen an das Projekt offengelegt. Dies ermöglicht es, schon in einer frühen Phase Fragen der Zusammenarbeit zu reflektieren und eine gute Verknüpfung zwischen Forschung und Praxis zu gewährleisten.

Wie läuft ein transdisziplinäres Projekt ab?

Dr. Melanie Mbah, Forschungskoordinatorin für transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung am Öko-Institut, Quelle: Öko-Institut

Das Projekt ist in verschiedene Phasen unterteilt, nämlich das Co-Design, die Co-Produktion, die Co-Evaluation und die Co-Dissemination. Zuerst muss das Problem definiert werden und alle Beteiligten müssen ein gemeinsames Verständnis entwickeln. Erst dann kann man gemeinsam Wissen produzieren und Ergebnisse erarbeiten. Zwischendurch schaut man immer wieder zurück und reflektiert, ob der Weg geeignet ist. Dabei kann der Projektverlauf immer wieder angepasst werden. Als letztes transferiert man die Ergebnisse in die Praxis und verbreitet sie. So sieht ein idealer transdisziplinärer Forschungsprozess aus. Innerhalb des jeweils gewählten Formats werden verschiedene sozialwissenschaftliche, aber auch naturwissenschaftliche oder klassisch transdisziplinäre Methoden angewandt wie beispielsweise Szenarien oder Interviews.

Könntest du das bitte anhand eines konkreten Projektes nachzeichnen?

Im aktuellen Projekt Plantiefen (Planwende durch die Transdisziplinäre Integration regionaler und soziokultureller Faktoren in die Planung von Energiewende-Maßnahmen vor Ort) forschen wir transdisziplinär. Dort untersuchen wir, wie die Planung und insbesondere Flächenausweisung für Anlagen erneuerbarer Energien verbessert werden kann, indem auch sogenannte „weiche” Faktoren wie kulturelle Aspekte bedacht werden. Diese werden dann gemeinsam mit technologischen, regulatorischen und sozioökonomischen Aspekten betrachtet.

In der ersten Phase des Co-Design haben wir bereits für die Beantragung des Projekts mit Kommunen und Regionalverbänden gesprochen und nach den Herausforderungen bei der Planung gefragt. Dann haben wir verschiedene Modellregionen auf Basis von Kriterien ausgewählt, wie z.B.  Bevölkerungsdichte, Bestand erneuerbarer Energie-Anlagen und Strukturwandel. In dieser ersten Phase haben wir verschiedene Herausforderungen identifiziert, wie dass in den Kommunen die spezifischen thematisch-inhaltlichen Ansprechpartner*innen nicht bekannt sind und es wenig Erfahrung in der Zusammenarbeit über verschiedene Planungsebenen hinweg gibt. Auch die Beteiligung der Öffentlichkeit ist herausfordernd.

Zu Beginn haben wir da klassisch mit Literaturrecherche gearbeitet sowie mit einigen Praxisakteuren vor Ort in den Modellregionen gesprochen. Nun geht es darum, die Phase der Co-Produktion vorzubereiten, hierzu werden wir beispielsweise Interviews mit weiteren Akteuren durchführen.

Die Co-Produktion wird dann vornehmlich in sogenannten partizipativen Planungslaboren erfolgen. Diese werden in einer kleinen Teilregion innerhalb der jeweiligen Modellregion sein und beispielsweise ein bis zwei Gemeinden einbeziehen. Das Planungslabor gestalten wir mit Workshops zu unterschiedlichen Fragestellungen, zum Beispiel zu den konkreten Herausforderungen der Region. In den Workshops wenden wir unter anderem die Methode des Co-Mapping an. Dort identifiziert man gemeinsam anhand einer Karte die wichtigen Orte der Praxisakteure dieser Fokusregion und nimmt auch emotionale Aspekte auf. Im Anschluss erarbeiten wir gemeinsam Anforderungen für spezifische erneuerbare Energien und bewerten welche notwendigerweise erfüllt sein müssen. Je nach Fokus der Planungslabore prüfen und bewerten wir gemeinsam mit den Praxisakteuren zum Beispiel im Folgenden, welche Flächen besonders für welche Technologie geeignet wären und warum. Ziel ist hierbei, weiche Faktoren, wie etwa den Erhalt des Landschaftsbildes und Sichtschneisen zu berücksichtigen.

Gleichzeitig möchten wir über den gesamten Projektverlauf hinweg reflektieren, wie die Zusammenarbeit läuft, welche Hemmnisse es gibt beziehungsweise welche Anpassungsbedarfe und wie die Ergebnisse zu bewerten sind. Zur stetigen Reflexion werden wir als Teil der Co-Evaluation Workshops mit den verschiedenen Praxiskateuren durchführen.

In der letzten Phase der Co-Dissemination entwickeln wir zum Beispiel einen Energieatlas sowie einen Praxisleitfaden, die sich eher an den Bedürfnissen der Praxisakteure orientieren. Außerdem wird es auch klassische Publikationen für die Wissenschafts-Community geben.

Wie unterscheiden sich transdisziplinäre und partizipative Forschung? Heißt partizipativ, dass die Öffentlichkeit beteiligt wird und wie könnte man sie zum Beispiel beteiligen?

Diese beiden Forschungsansätze sind sich tatsächlich in vielen Dingen ähnlich. Partizipationsforschung setzt sich beispielsweise viel mit demokratischen Prozessen und ihrer Legitimation auseinander. Partizipation heißt nicht unbedingt, dass der gesamte Forschungsprozess mit Praxisakteuren gemeinsam gestaltet wird. Partizipative Elemente können hier auch nur punktuell eingesetzt werden, um beispielsweise zu einem bestimmten Thema deren Meinung einzuholen oder Wahrnehmungen abzufragen. Es geht hierbei weniger darum, eng zu kollaborieren, um gemeinsam Wissen zu entwickeln und dieses zur Verfügung zu stellen, sondern die unterschiedlichen Perspektiven an gewissen Punkten im Forschungsprozess einzubinden.

Bisher haben diese beiden Forschungsrichtungen verschiedene Communities und Ausgangspunkte. Es gibt aber auch zahlreiche Überschneidungen. Die Gesellschaft für transdisziplinäre und partizipative Forschung bietet einen Raum für den Austausch zwischen den beiden Forschungsansätzen.

Was ist das für eine Gesellschaft?

Diese Gesellschaft haben verschiedene Institutionen gemeinsam in den letzten Monaten gegründet, um die Möglichkeit zum Austausch zwischen den Forschenden unterschiedlicher Disziplinen und Themenfoki, die sich mit transdisziplinärer und partizipativer Forschung beschäftigen, zu stärken. Alle Interessierten sollen hier eine Anlaufstelle finden. Einerseits zum Austauschen und zur Verständigung auf Qualitätskriterien und Weiterentwicklungsnotwendigkeiten des Feldes, aber auch für Weiterbildungen. Also für alle Akteure: von Forschung über die Verwaltung bis hin zu zivilen Akteuren.

Hervorgegangen ist die Gesellschaft aus der tdAcademy. Das ist eine Plattform für transdisziplinäre Forschung, die einerseits den Austausch der Wissenschaftler*innen stärken möchte und gleichzeitig selbst an Qualitätskriterien in ausgewählten Themenlinien forscht.

Wie soll die Gesellschaft zusammenarbeiten?

Wir sind gerade noch im Findungsprozess. Es könnte beispielsweise themenbezogene Arbeitsgruppen geben, aber wichtig ist uns, dass es bis zur ersten ordentlichen Mitgliederversammlung im November noch offenbleibt, wie wir dies genau ausgestalten werden. Möglicherweise werden bis dahin erste Vorschläge vorliegen, die wir dann diskutieren können. Auf der Mitgliederversammlung wollen wir darüber sprechen, wie wir uns aufstellen und welche Themen wir wie bearbeiten beziehungsweise (weiter-)verfolgen wollen.

Wie wirst du in der Gesellschaft mitwirken?

Das Öko-Institut ist als Institution Mitglied und Anke Herold ist derzeit Vorstandsmitglied. Ich werde mich auf jeden Fall inhaltlich beteiligen, beispielsweise in gegebenenfalls zu gründenden Arbeitsgruppen. Außerdem werde ich mich in die Überlegungen des Partner*innenkreises der tdAcademy einbringen, was geeignete Themen für die Gesellschaft sein könnten. Vorstellen könnte ich mir zum Beispiel, auch in der Gesellschaft zu Formaten transdisziplinärer Forschung zu arbeiten.

Danke für das Interview und viel Erfolg bei deiner Forschung.

Das Interview führten Clara Wisotzky und Hannah Oldenburg.

Dr. Melanie Mbah ist Forschungskoordinatorin für transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung beim Öko-Institut und in der Gesellschaft für transdisziplinäre und partizipative Forschung engagiert.

Weitere Informationen

Magazin eco@work „Eine gemeinsame Aufgabe. Mitmachen bei der sozial-ökologischen Transformation“, März 2023

Blogbeitrag über die Gründungsveranstaltung „Zivilgesellschaft und Praxis im Fokus der Forschung“

Aufsatz „Vernetzen, fördern, konsolidieren, stärken – zur Gründung der Gesellschaft für transdisziplinäre und partizipative Forschung“ von Matthias Bergmann , Daniel J. Lang , Melanie Mbah , Martina Schäfer in der GAIA – Ecological Perspectives for Science and Society

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