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#CircularEconomy_3: Nur mit dem richtigen Rezept kann die Kreislaufwirtschaft ein Heilmittel sein

Nicht alle zirkulären Wirtschaftsmodelle sind so gestaltet, dass sie die Umwelt relevant entlasten./ Not all Circular Business Models are designed to relieve the environment to the extent that would be necessary.

Zwei streitbare Hypothesen zur #CircularEconomy haben Clara Löw und Siddharth Prakash schon präsentiert, nun folgen Nummer 3, 4 und 5.  Die beiden Forschenden werfen darin Fragen auf, die sie in ihrer Gruppe am Öko-Institut hinter den Kulissen diskutieren. Die Blogreihe gibt im Laufe des Jahres Einblicke in die – zum Teil kontrovers geführten – Debatten zur Kreislaufwirtschaft.

Hypothese 3

Kein Allheilmittel: Nicht alle zirkulären Wirtschaftsmodelle sind so gestaltet, dass sie die Umwelt relevant entlasten.

Der Studie des Europäischen Umweltbüros (EBB) folgend vertreten wir die Ansicht, dass zirkuläre Wirtschaftsmodelle zu einer absoluten, globalen, permanenten, ausreichend schnellen und umfangreichen Entkopplung des Material- und Energieverbrauchs vom Wirtschaftswachstum führen sollten. Um den allgemeinen Materialeinsatz zu reduzieren, ist es wichtig, sich an die grundlegenden Prinzipien der Abfallhierarchien zu erinnern: Zirkuläre Wirtschaftsmodelle müssen sich vorrangig am Prinzip der Vermeidung orientieren, gefolgt von Minimierung, Wiederverwendung und Reparatur. Nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis sollen diese Prioritäten die Strategien bestimmen.

Vermeidung muss das erste Ziel sein

Im Diskurs um die Kreislaufwirtschaft scheinen politische Interventionen und Wirtschaftsmodelle immer noch auf nachgelagerte Maßnahmen wie Recycling, stoffliche und energetische Verwertung sowie nachgelagerte Abfallwirtschaft abzuzielen.

Ohne das Potenzial solcher Maßnahmen zu unterschätzen, wissen wir, dass bei den Prozessen technische, logistische und wirtschaftliche Einschränkungen zu einem irreversiblen Verlust von primären Rohstoffen führen. Unsere Forschung hat gezeigt, dass momentan in Deutschland ein Großteil der Metalle wie Gold, Indium, Tantal oder seltene Erden, die in Smartphones oder Tablets enthalten sind, im Recyclingprozess unvermeidbar verlorengehen. Dementsprechend sind auf nachgelagerte Maßnahmen abzielende zirkuläre Wirtschaftsmodelle zwar wichtig, aber sie werden das Problem des übermäßigen Konsums von Rohstoffen und Energie nicht lösen.

Rebound:  Einsparen führt nicht automatisch zu weniger Konsum

Ein anderer Aspekt, der in der Debatte um das Potenzial von zirkulären Wirtschaftsmodellen oft übersehen wird, ist die Möglichkeit eines Rebound-Effektes von Einsparungen. Bis zum jetzigen Zeitpunkt gibt es noch keine politische Antwort auf die Frage, wie es sich verhindern lässt, dass Einsparungen zu erneutem Konsum führen, sei es gleicher oder anderer Art. Denn dieses Verhalten macht die Konsumreduktion teilweise oder vollständig zunichte oder kann sogar eine Erhöhung des allgemeinen Konsums nach sich ziehen.

Zum Beispiel führt ein häufiger Einkauf von Kleidungen im Second-Hand Laden nicht zwangsläufig zum Einkauf von weniger Neuware oder dem Besitz von weniger Kleidung insgesamt. Außerdem könnte das durch den Kauf von Second-Hand-Kleidungen eingesparte Geld für andere Konsumprodukte, wie Reisen, ausgegeben werden. Dadurch heben sich die Umweltentlastungseffekte des zirkulären Geschäftsmodells auf. Im schlimmsten Fall führen sie zu einer insgesamt höheren Umweltbelastung. Man kann Rebound-Effekte nie ganz verhindern. Deshalb ist es wichtig, den Umfang dieses potenziellen Effektes einschätzen zu können.

Warum ist das so? Ganz einfach, weil das Vorhersehen von Rebound-Effekten helfen kann, zu bewerten, wie sie die Wirksamkeit politischer Optionen beeinflussen. So können politische Optionen so gestaltet sein, dass sie den negativen Einfluss von Rebound-Effekten kompensieren, um unerwünschte Rebound-Ergebnisse zu vermeiden.

Zum Beispiel sollten Maßnahmen zur Förderung von Car-Sharing nicht die Nutzung umweltfreundlicher öffentlicher Verkehrssysteme torpedieren. Defektanfällige und qualitativ minderwertige gebrauchte Produkte sollten auch nicht unter dem Deckmantel der Nutzungsdauerverlängerung in Entwicklungsländer verschifft werden, die keine Infrastruktur und Technologie für das Recycling haben.

Wir brauchen: Materialreduktion und Methoden zur Wirkungsmessung

Um zu vermeiden, dass Circular Business Models Partikularinteressen folgen, muss das Hauptziel klar definiert werden: Eine absolute und permanente Reduktion des Materialeinsatzes auf globaler Ebene. Zudem wird eine verbindliche Methodik benötigt, um die (Langzeit-) Folgen von zirkulären Wirtschaftsmodellen zu messen. Ohne diese beiden Fixpunkte könnten viele Circular Business Models entstehen, die nur begrenzt oder kurzzeitigen ökologischen Nutzen haben und die Lasten auf andere Länder abwälzen.

Hypothese 4

Suffizienz ist der einzige Weg: Weniger Konsum, also weniger Produktion. Oder andersherum!

Da eine absolute Entkopplung des Material- und Energieverbrauchs vom Wirtschaftswachstum unwahrscheinlich ist, ist die schonendste Form der Produktion und des Konsums jene, die erst gar nicht stattfindet. In unseren Studien haben wir immer wieder gezeigt, dass die Nutzungsdauer von Produkten, wollte man niedrige ökologische Auswirkungen sicherstellen, auf einige Dekaden verlängert werden müsste – bei Notebooks auf 33 bis 89 Jahre anstatt 5 Jahren und bei Waschmaschinen auf etwa 40 Jahre anstelle von 10 Jahren. Bei Smartphones müsste die Lebensdauer auf 25 bis 232 Jahre anstelle von 3 Jahren erhöht werden, zeigt das Europäische Umweltbüro (EEB).

Politik traut sich nicht an das Thema Konsumverzicht heran

Solche Nutzungszeiten von Produkten scheinen derzeit undenkbar. Seit vielen Jahren wird jede Diskussion um Maßnahmen der Suffizienz im Keim erstickt. Sie werden in unserer wachstums- und wohlstandsorientierten Gesellschaft als politisch nicht vermittelbar erachtet. Entscheiderinnen und Entscheider schrecken wissentlich oder unwissentlich davor zurück, einen transparenten öffentlichen Dialog über die Reduzierung von Materialverbrauch zu initiieren.

Produkte so lange wie möglich zu nutzen, zu reparieren, keine neuen Produkte zu kaufen, wenn man sie nicht benötigt, und unsere Lebensstile merklich zurückzufahren, muss das Credo einer zukunftsorientierten Politik sein. Stattdessen wächst die Wohnfläche pro Kopf in Deutschland stetig an, die Treibhausgas-Emissionen des Transportsektors sind nicht gesunken, Nahrungsmittel werden immer noch in großen Mengen verschwendet, Fast Fashion und billige Textilien sind Bestandteil unserer Haushalte und die Lebensdauer von Geräten wird immer kürzer.

Während die Frist, in der sich irreversibler Schaden an unserem Erdsystem noch vermeiden ließe, abläuft, finden sich Entscheidungsträger in einer Zwickmühle wieder. Die Suche nach einem Kompromiss zwischen langfristigem Umweltschutz und kurzsichtigen sozio-ökonomischen Zielen ist aufgrund politischer Pfadabhängigkeiten („Lock-In“) ins Stocken geraten. Das heißt: Erfolgsversprechende alternative Lösungen werden nicht in Betracht gezogen, weil der bestehende umwelt- und wirtschaftspolitische Pfad zu lange schon in die gleiche Richtung führt. Den aktuellen Pfad zu verlassen bedeutete eine große Kraftanstrengung, um das Zusammenspiel aus Umwelt- und Wirtschaftspolitik neu zu regeln.

Wie kann dieser Teufelskreis durchbrochen werden?

  • Mit der Formulierung messbarer, absoluter Materialreduktionsziele für die relevantesten Sektoren,

  • Mit wirtschaftlichen und fiskalischen Instrumenten, das heißt Steuern, Abgaben, finanzielle Förderungen, Subventionen in großem Ausmaß, die national und in der EU eine absolute Reduzierung des Materialverbrauchs nach sich ziehen,

  • mit ambitionierten verpflichtende Mindeststandards für Langlebigkeit und Qualität von Produkten. 

Hypothese 5

Große Unternehmen, die Transformationspotenzial hätten, nutzen Kreislauf- und Nachhaltigkeitskampagnen als bloße PR-Aktion

Große Unternehmen spielen eine zentrale Rolle bei der Etablierung der Kreislaufwirtschaft. Bis jetzt beschränkt sich ihr Beitrag jedoch auf zirkuläre und nachhaltige Wertschöpfung als Zusatz oder Add-On. Große Firmen haben womöglich zu wenig den Anreiz, zu Nachhaltigkeitsstandards und zur Kreislaufwirtschaft zu wechseln. Sie springen teilweise auf den Zug auf, da es „en vogue“ ist und bestimmte Kundengruppen so bedient werden können.

Ein Beispiel sind Textilunternehmen, die bestimmte Labels für “nachhaltige” Baumwolle in der Werbung für ihre Produkte verwenden. Bei einem Vergleich solcher Label sind jedoch sehr große Unterschiede bezüglich des Ehrgeizes der Anforderungen aufgefallen: Wenn drei Viertel der verkauften Kleidungsstücke eines Unternehmens ein Baumwoll-Label tragen, das keinen hohen ökologischen und sozialen Standards genügt, liegt es nahe, hier eine PR-Kampagne zu vermuten. Baumwollprodukte können unter diesem wenig ehrgeizigen Label immer noch zu einem niedrigen Preis verkauft werden.

Auf diese Weise wird weiterhin linearer Verbrauch gefördert und unterstützt. Denn mit hohem Umweltstandard produzierte Kleidungsstücke wären vermutlich teurer, man würde wegen des Preises weniger Kleidungsstücke kaufen und so insgesamt weniger Material verbrauchen. Hohe Preise schrecken aber noch viele Verbraucherinnen und Verbraucher ab, die für wenig Geld die Produkte mit ungenügenden Nachhaltigkeitssiegeln immer weiter kaufen.

Zirkuläre und nachhaltige Wirtschaftsmodelle können noch nicht wirtschaftlich arbeiten

Die Mehrheit der zirkulären und nachhaltigen Wirtschaftsmodelle ist derzeit nicht wirtschaftlich tragbar. Sie profitieren

  • vom Zugang zu (kostenfreiem) Material, zum Beispiel gespendete gebrauchte Textilien für das Upcycling,

  • freiwilligen, ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder

  • von ihrer Zielgruppe, die bereit ist, höhere Preise für langlebigere Produkte in hoher Qualität zu bezahlen.

In großen Unternehmen wird ein Reparaturservice, ein Rücknahmesystem, verlängerte Garantien oder jede andere zirkuläre Kampagne oft durch Einnahmen querfinanziert, die aus dem linearen Markt stammen.

Für eine Übergangsperiode ist dies vermutlich das Beste, was man machen kann, aber wie soll das langfristig funktionieren?

In manchen Nischen leisten ausschließlich zirkulär operierende Unternehmen einen Dienst an der Gesellschaft, in dem sie die Grenzen weiterer Extraktion von primären Ressourcen anerkennen und dazu beitragen, Stoffe im Kreislauf zu halten. Sie können weder expandieren noch einen Mehrwert schaffen, solange dieser Dienst von der Gesellschaft nicht entlohnt wird. Solange nicht der gesamte Markt flächendeckend die wahren Kosten der Produkte inklusive der Kosten für Umweltauswirkungen und Kreislaufführung einpreist, wird es immer billigere Produkte geben, die die Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher eher nachfragen anstatt freiwillig den hohen Preis zu zahlen.

Es stellt sich die Frage, wie sich Anreize schaffen ließen, die die Hinwendung von größeren Anteilen der Wirtschaft zu Circular Economy begünstigen würden. Zuerst steht fest, dass wissenschaftliche, politische und wirtschaftliche Akteure die Kreislaufwirtschaft sehr unterschiedlich einordnen (Kirchherr et al. 2017 Resources, Conservation and Recycling, p. 221–232). Es herrscht noch keine Einigkeit darüber, was ambitionierte Ziele der Kreislaufwirtschaft sind und in welcher Rolle die Politik anreizschaffende Instrumente einführen könnte, um die radikale Transformation möglich zu machen, die für das Erreichen dieser Ziele nötig ist. Der Dialog darüber muss ehrlich und sehr bald geführt werden.

Die Kreislaufwirtschaft und zirkuläre Geschäftsmodelle scheinen in aller Munde. Es ist ein allgemeiner Konsens, dass die circular economy eine äußerst wichtige Rolle spielt, wenn globale Umweltbelastungen reduziert und Klimaschutzziele erreicht werden sollen. In der Blog-Reihe #CircularEconomy hinterfragen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts die Entwicklung und die Potenziale zirkulärer Geschäftsmodelle kritisch. Und sie präsentieren Vorschläge, wie die Kreislaufwirtschaft tatsächlich einen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann.

Clara Löw und Siddharth Prakash forschen zu nachhaltigen Materialien, Produkten und Konsummustern im Institutsbereich „Produkte & Stoffströme“ in Freiburg.

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