1, 2 oder 3?

Andrii Zastrozhnov @istock.com
Christiane Weihe
Wie kann ich mir ein Elektroauto leisten, wenn der Gebrauchtwagenmarkt nichts Bezahlbares hergibt? Welche Anreize gibt es für meinen Vermieter, die Wohnung zu dämmen? Gerade für jene, die sowieso schon wenig haben, braucht es gezielte und sozial ausgestaltete Maßnahmen, die bei der Umstellung auf klimafreundliche Alternativen unterstützen. Dabei geht es bei Weitem nicht nur um finanzielle Fragen. Die Wissenschaftler*innen des Öko-Instituts beschäftigen sich in zahlreichen Projekten mit der Frage, wie sich Politikmaßnahmen auf unterschiedliche Gesellschaftsgruppen auswirken, und entwickeln Lösungen etwa in den Bereichen Mobilität und Wohnen, um besonders belastete Bürger*innen zu unterstützen.
Wer genau wissen will, wie sich Politikmaßnahmen auf deutsche Haushalte auswirken, muss zwischen absoluten und relativen Ausgaben unterscheiden. „Die absoluten Ausgaben sind bei höheren Einkommen höher. Wer mehr verdient, wohnt aber oft auf größeren Flächen und bewegt das Auto in der Regel nicht nur zur Arbeit, sondern auch fürs Freizeitvergnügen“, sagt Nelly Unger, Wissenschaftlerin am Öko-Institut. „Betrachtet man es hingegen relativ, also mit Blick auf den Anteil am Einkommen, dann sind untere Einkommensgruppen meist deutlich stärker belastet.“ So geben etwa die obersten Einkommensgruppen ein bis zwei Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Heizkosten aus, bei Haushalten mit geringem Einkommen sind es fünf bis sieben Prozent.
Ein anderes Bild zeigt sich bei den Ausgaben für Kraftstoffe und den öffentlichen Nahverkehr, das verdeutlicht die Analyse „Transport poverty: definitions, indicators, determinants, and mitigation strategies“, die das Öko-Institut gemeinsam mit mehreren Projektpartnern für die Europäische Kommission durchgeführt hat. „Hier wird deutlich, dass Haushalte mit mittlerem Einkommen einen weitaus größeren Anteil ihres Einkommens für Mobilität ausgeben als jene mit hohem Einkommen. Untere Einkommensgruppen geben im Durchschnitt einen vergleichsweise geringen Teil ihres Einkommens für Kraftstoffe und den öffentlichen Verkehr aus. Das liegt allerdings daran, dass sie seltener ein Auto besitzen und in Teilen auf Mobilität verzichten, um Geld zu sparen.“ Außerdem zeige sich, dass es um sehr viele unterschiedliche soziale Aspekte geht. „Wichtig ist auch die Frage, ob man überhaupt mobil sein kann. Also: Ist der öffentliche Verkehr verfügbar? Habe ich vielleicht eine körperliche Einschränkung, die es mir unmöglich macht, ihn zu nutzen? Oder: Wie sicher sind die Verkehrsteilnehmer*innen?“ Man müsse bei der Mobilität sehr aufs Detail schauen, betont die Expertin. „Es gibt hier nicht eine Lösung für alle, denn Mobilität unterscheidet sich von Region zu Region sehr stark. Wer in einer bergigen Landschaft wohnt, wo es viel schneit, empfindet ein Lastenfahrrad vielleicht nicht als geeignet für den Arbeitsweg.“
Beispiel: Mobilität
Aber auch die Anschaffung eines Elektrofahrzeugs kann für viele Menschen eine extreme Hürde sein. Das liegt daran, dass die Fahrzeuge für sie schlicht zu teuer sind. „Bislang gibt es einfach noch keinen ausreichenden Gebrauchtmarkt für Elektroautos und auch auf dem Neuwagenmarkt sehr wenig Fahrzeuge, die für untere Einkommensgruppen attraktiv sind“, so Unger. Natürlich gibt es Möglichkeiten, diese Menschen zu unterstützen. So etwa durch den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und vergünstigte Tickets, die Installation von Sharing-Angeboten für Lastenfahrräder oder auch Rufbusse sowie Fahrdienste im ländlichen Raum. So zeigt die Analyse „Sozio-ökonomische Folgenabschätzung zum Projektionsbericht 2023“, die das Öko-Institut gemeinsam mit Fraunhofer ISI und IREES für das Umweltbundesamt durchgeführt hat, dass Haushalte mit geringem Einkommen etwa vom Deutschlandticket deutlich stärker profitieren als jene mit hohem. „Es wird aber immer Menschen geben, die aufs Auto angewiesen sind“, sagt Nelly Unger.
Ein Ansatz könnte hier das so genannte Social Leasing sein, bei dem Bürger*innen mit kleinen oder mittleren Einkommen Zuschüsse für das Leasing von Elektroautos erhalten. In der Studie „How the EU can address the social barriers to the EV transition” zeigt das Öko-Institut im Auftrag von Transport & Environment (T&E): Dieses kann relevante Klimaschutzwirkungen entfalten – und gleichzeitig den Gebrauchtwagenmarkt für Elektroautos positiv beeinflussen.
In der Analyse „Umwelt und Soziales: Wechselwirkungen in ausgesuchten Bedürfnisfeldern, mit Fokus auf Wirkungen von Politikinstrumenten“ für das Umweltbundesamt verdeutlicht das Öko-Institut gemeinsam mit dem Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) und dem Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) außerdem: verschiedene Instrumente haben verschiedene Wirkungen. „Mit Blick auf die Emissionen lohnt sich etwa eine Kraftfahrzeugsteuer, die stärker nach dem CO2-Ausstoß gewichtet ist. Eine Stärkung des Schienenverkehrs – nah und fern – hat aus sozialer Sicht eine besonders positive Wirkung.“ Wer die Radinfrastruktur ausbaut und umweltfreundliche Busse fördert, tut für Umwelt und Menschen gleichermaßen etwas Gutes.
Beispiel: Wohnen
Eine soziale Schieflage gibt es auch bei Gebäuden. So werden etwa Förderungen für Sanierungen oftmals von jenen in Anspruch genommen, die sowieso schon viel haben. Auch, weil sie im Eigenheim wohnen und oft besser über entsprechende Möglichkeiten informiert sind. „Es ist natürlich wichtig, auch hier zu fördern, Anreize zu bieten, damit etwas passiert“, sagt Katja Schumacher, Wissenschaftlerin und stellvertretende Bereichsleiterin am Öko-Institut. „Doch es muss ein stärkerer Fokus auf schutzbedürftige Haushalte gelegt werden.“ Die Expertin sagt: Man muss zwischen den verschiedenen Akteur*innen unterscheiden – Mieter*innen, selbstnutzenden Eigentümer*innen und Vermieter*innen – und für sie jeweils passende Ansätze entwickeln. Mieter*innen etwa haben oftmals nicht die Möglichkeit, selbst die Effizienz ihrer eigenen vier Wände zu erhöhen – tragen aber über den CO2-Preis auch Kosten für schlechte Dämmung und veraltete Heiztechnologien. „Natürlich kann man über ein besseres Heizverhalten Energie einsparen, entscheidend sind aber energetische Sanierungen und neue Heizungen.“ Im Projekt „Sozialgerechte Förderung für energetische Sanierungen im Mietwohnbereich“ haben die Wissenschaftler*innen gemeinsam mit der Averdung GmbH analysiert, wie sich Sanierungen im Mietwohnbereich sozial gestalten lassen. In der Studie für den Deutschen Mieterbund schlagen sie unter anderem eine Anpassung der Bundesförderung für Effiziente Gebäude (BEG) vor, die bislang vor allem gut situierten Eigentümer*innen nutzt. „Sinnvoll ist aus unserer Sicht, einen Förderbonus für Vermieter*innen mit einer Mietpreisobergrenze einzuführen. Denn so kommen Einsparungen bei den Energiekosten den Haushalten zu Gute und werden nicht durch Mieterhöhungen kompensiert“, sagt Schumacher. Eine weitere sinnvolle Maßnahme ist aus Sicht des Projektteams, zusätzliche Bundesfinanzhilfen für den Sozialen Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen. „Dies könnte dazu beitragen, bezahlbaren Wohnraum zu erhalten oder sogar neu zu schaffen.“
In der Studie „Analyse und Empfehlungen zur Vereinbarkeit von bezahlbarem Wohnen und Klimaschutz“ zeigen die Wissenschaftler*innen gemeinsam mit dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung auch, wie Eigentümer*innen zu mehr Klimaschutz gebracht werden können. Grundlegend ist danach ein ausgewogenes Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen, die Anreize für die notwendige Transformation schaffen, die Wirtschaftlichkeit befördern und eine soziale Ausgewogenheit ermöglichen. Wichtig ist etwa der CO2-Preis, denn er beeinflusst die Wirtschaftlichkeit von Investitionsentscheidungen. „Darüber hinaus sollte es Mindestenergieeffizienzstandards für eine bessere Orientierung und eine sozial gestaffelte Förderung für Heizungsaustausch und Sanierung geben“, sagt Schumacher. „Haushalte mit niedrigem Einkommen sollten deutlich stärker gefördert werden, jene mit hohem Einkommen brauchen eigentlich keine Förderung. Damit die Mietenden nicht über Gebühr belastet werden, braucht es zudem neue Modelle zur Umlage von Modernisierungskosten.“ Die Analyse für das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) betont die Relevanz von Beratung und Information – für Mieter*innen und Eigentümer*innen gleichermaßen.
„Dabei geht es um Energieberatungen ebenso wie um individuelle Sanierungsfahrpläne. Ein wirksames Instrument sind so genannte One-Stop-Shops, die Hausbesitzer*innen umfassend durch die energetische Sanierung ihrer Gebäude begleiten. Denn nicht jede*r Eigentümer*in verfügt über finanzielle Möglichkeiten, das Wissen oder den Zugang zu Handwerker*innen, um dies selbst in die Hand nehmen zu können.“
Klimageld für alle?
Eine Option, die häufig diskutiert wird, um vulnerable Gruppen bei steigenden Kosten durch die CO2-Bepreisung zu unterstützen, ist das Klimageld – eine direkte finanzielle Unterstützung für Bürger*innen, die sich aus den Einnahmen der CO2-Bepreisung finanziert. „Das kann für einen kurzen Zeitraum sicher Spitzen der Belastung auffangen“, sagt Katja Schumacher. „Ein Klimageld für alle ist aber nicht sinnvoll, es kann soziale Ungleichheiten sogar verschärfen. Dieses Geld ist bei der Unterstützung von Investitionen in klimafreundliche Alternativen besser aufgehoben.“ Im Policy Brief „Klimageld? Nur sozial gestaffelt und zeitlich begrenzt“ betonen die Wissenschaftlerinnen des Öko-Instituts außerdem: Ein Klimageld führt nicht dazu, dass fossile Brennstoffe eingespart werden und führt dementsprechend auch nicht zu mehr Klimaschutz. „Wenn überhaupt sollte es nur zeitlich befristet und sozial gestaffelt für Haushalte mit wenig Einkommen eingeführt werden“, so Dr. Katja Schumacher. Der Großteil sollte aber für sozial gerechte Klimaschutzmaßnahmen verwendet werden. Damit jenen geholfen wird, die sowieso nicht viel haben. Und eben auch dem Klimaschutz.
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Nelly Unger hat einen Bachelor in Sozialökonomie und einen Master in Volkswirtschaftslehre. Seit 2022 ist sie im Bereich Ressourcen & Mobilität des Öko-Instituts tätig, wo sie sich unter anderem mit der Modellierung von Verteilungswirkungen im Verkehrs- und Gebäudesektor sowie Beteiligungsprozessen für nachhaltige Mobilität befasst.
Ihre Kollegin Dr. Katja Schumacher ist stellvertretende Leiterin des Bereichs Energie & Klimaschutz, für den sie seit 2007 tätig ist. Hier analysiert sie etwa Strategien und Instrumente der Energie- und Klimapolitik und befasst sich mit ökonomischen Analysen sowie sozialen Aspekten.
Ansprechpartnerinnen am Öko-Institut
Weitere Informationen
Themenseite: Gerechte Transformation
Publikation: Impulse für mehr Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit in der Verkehrspolitik
Artikel im Magazin eco@work, Ausgabe März 2025: Social Leasing
Studie: Sozialgerechte Förderung für energetische Sanierungen im Mietwohnbereich
Meldung: Klimaschutz und bezahlbares Wohnen vereinbaren
Studie: Analysen und Empfehlungen zur Vereinbarkeit von bezahlbarem Wohnen und Klimaschutz
Policy Brief: Klimageld? Nur sozial gestaffelt und zeitlich begrenzt
Pressemitteilung: Klimaschutz sozial gestalten!
Schwerpunkt: Soziale Energiewende
Schwerpunkt: Soziale Wärmewende
Website: Soziale Aspekte und Klimaschutz beim Wohnen
Schwerpunkt: Soziale Mobilitätswende
eco@work, Ausgabe September 2021: Ökologisch, gemeinsam und gerecht. Transformation sozial gestalten
Spendenaufruf: Gemeinsam für eine sozial gerechte Energie- und Verkehrswende
Podcast „Wenden bitte!“, Episode 5: Wie sozial kann die Energiewende sein?
Podcast „Wenden bitte!“, Episode 28: Können wir uns Energie und Mobilität noch leisten?