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Perspektive

Da geht noch mehr

Sorgfaltspflichten in Lieferketten

In einer Textilfabrik in Bangladesch herrschen unerträgliche Temperaturen. Der Boden einer argentinischen Papayaplantage ist mit Pestiziden durchtränkt. Solche Zustände können auch auf Entscheidungen deutscher Unternehmen zurückgehen, die Kleidung oder Obst importieren, weiterverarbeiten oder verkaufen. Doch die Politik hat sich viel zu lang nicht für die Folgen unseres Wirtschaftens im Ausland interessiert. Ansätze, deutsche Unternehmen auf freiwilliger Basis zum Handeln zu bewegen, sind krachend gescheitert. Mit dem Anfang des Jahres in Kraft getretenen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) ändert sich das. Es verpflichtet Unternehmen, in ihren Lieferketten menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten einzuhalten. Sie müssen Risikoanalysen durchführen und Maßnahmen treffen, um Rechtsverletzungen und Risiken so gut wie möglich zu mindern und sich, wo möglich und zumutbar, um die Wiedergutmachung von mitverantworteten Schäden kümmern. Derzeit gilt dies für Unternehmen mit mehr als 3.000, ab 2024 auch für solche mit mehr als 1.000 Mitarbeiter*innen.

Leider berücksichtigt das LkSG nur einen Bruchteil der Umwelt­risiken in Lieferketten. Dabei hätte das Gesetz zum Beispiel wie sein französisches Gegenstück Umweltbeeinträchtigungen als generell zu vermeidendes Risiko in die Sorgfaltspflicht integrieren können – statt punktuell auf internationale Regeln zu verweisen. Beklagenswert ist auch, dass das Gesetz keine expliziten klimabezogenen Pflichten enthält und sich die proaktiven Pflichten des LkSG praktisch nur auf die unmittelbaren Zulieferer beziehen – nur wenn das Unternehmen von möglichen Pflichtverletzungen früher in der Lieferkette erfährt, muss es hier tätig werden. Dies widerspricht der Idee einer Sorgfaltspflicht. Menschenrechtsverletzungen und Umweltprobleme treten typischerweise an frühen Gliedern der Lieferkette auf. Und Unternehmen haben, je nachdem, wie schwerwiegend, wahrscheinlich und beeinflussbar solche Auswirkungen sind, nach diesem Verständnis von Sorgfaltspflichten erhebliche Spielräume. Dabei ließe sich flexibel und – auch hinsichtlich unterschiedlicher Größe und Fähigkeiten der Unternehmen – mit komplexen Lieferketten praktikabel umgehen. Die Regelung im LkSG lädt stattdessen eher zum Wegschauen ein.

Was im LkSG ebenfalls fehlt, ist eine Haftungsregel – die bisher lückenhaften Klagemöglichkeiten für Geschädigte werden nicht verbessert. Das ist nicht nur problematisch, weil Menschen unabhängig davon, wo sie leben, Kompensation von denjenigen verlangen können sollten, die ihre Schäden (mit) verursacht haben. Gerade eine Haftungsregelung würde für Unternehmen zudem einen Anreiz schaffen, das in ihrer Macht stehende zur Vermeidung von Rechtsverletzungen zu tun.

Auch die EU verhandelt gerade über ein neues Gesetz zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten. Das ist eine Chance, die Lücken des LkSG zu schließen. Der Entwurf der EU-Kommission sieht eine Haftungsregelung vor und bezieht die gesamte Lieferkette mit ein. Auch eine klimaschutzbezogene Sorgfaltspflicht soll kommen. Die Unternehmen müssen darlegen, wie sie im Einklang mit dem Abkommen von Paris wirtschaften wollen. Erreichen sie das nicht, soll das Folgen für die Boni der Entscheidungsträger*innen haben. Die Ambitionen könnten höher sein. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Um viele Positionen gibt es ein zähes Ringen. Etwa bei der Haftungsfrage. Hier ist zum Beispiel eine „Safe Harbour-Regelung“ in der Diskussion: Unternehmen sollen sich der Haftung weitgehend entziehen können, wenn sie einer Brancheninitiative angehören. Sollte so eine Regelung greifen, führt sie die gesamte Idee der Sorgfaltspflicht geradezu ad absurdum. Weil Unternehmen damit nur noch bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit zur Verantwortung gezogen werden können, was für Geschädigte schwer nachzuweisen ist. Weil Unternehmen ihre eigenen Lieferketten nun mal am besten kennen und sich Sorgfalt nicht auf ein Schema F abwälzen lässt.

Besser wäre, wenn die europäischen Institutionen zu einer Regulierung kommen, die keine Hintertüren einbaut. Doch nicht nur die Gesetzgebung hat es in der Hand, dass Unternehmen Sorgfaltspflichten einhalten. Auf EU-Ebene wird gerade an neuen Instrumenten gearbeitet, die Verbraucher*innen besser befähigen sollen, ihren Konsum an Nachhaltigkeitsgesichtspunkten auszurichten. Aus einer aktuellen Analyse, die wir in der Rubrik Arbeit Aktuell vorstellen, wissen wir, dass für 70 Prozent der Verbraucher*innen Umwelt und Menschenrechte in den Lieferketten wichtig sind.

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Dr. Peter Gailhofer studierte Rechtswissenschaften, Ethnologie und Politikwissenschaften. Er ist zugelassener Rechtsanwalt und widmet sich am Öko-Institut seit 2017 unter anderem den rechtlichen Aspekten von Unternehmensverantwortung sowie rechtlichen Fragestellungen der Digitalisierung.