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Die Auslauftechnologie

Ein Rückblick auf die Kernenergie in Deutschland

Christiane Weihe

Als 1957 in Garching bei München der erste westdeutsche Forschungsreaktor angefahren wurde, fand die Kernenergie noch parteiübergreifend breite Zustimmung. Doch schon die ersten Proteste einige Jahre später – so 1968 gegen den Reaktor Würgassen – zeigten, wie kontrovers diese Art der Energiegewinnung schon damals gesehen wurde. Folgenschwere Unfälle wie in Tschernobyl 1986 verdeutlichten außerdem, wie gefährlich sie für die Menschheit werden kann. Es gibt viele gute Gründe für den Ausstieg aus der Atomkraft. Die Wissenschaftler*innen des Öko-Instituts bringen sie seit über 40 Jahren immer wieder ins Bewusstsein.

Als Geburtsstunde der Anti-AKW-Bewegung in der Bundesrepublik Deutschland gilt der erfolgreiche Protest gegen das geplante Atomkraftwerk Wyhl Mitte der 1970er Jahre. „Aus diesem Konflikt ist 1977 auch das Öko-Institut hervorgegangen“, erklärt Michael Sailer, Nuklearexperte und bis 2019 Geschäftsführer des Öko-Instituts, „Ziel war es, die Anti-AKW-Bewegung mit fundierten Gutachten und wissenschaftlicher Beratung zu unterstützen.“ Der Widerstand entzündete sich unter anderem an den großen Risiken der Kernenergie. „Es gab auf der ganzen Welt schon in den frühen Jahren der Nutzung schwere Störfälle. Auch danach kam es immer wieder zu gefährlichen Situationen, so 1987 in Biblis oder 2002 in Brunsbüttel“, sagt Sailer. „Wir wollten immer verhindern, dass so etwas unter den Teppich gekehrt wird.“ Ein Ziel des Öko-Instituts war auch, Alternativen aufzuzeigen. „Meilensteine der Geschichte des Öko-Instituts sind die 1980 erschienene Energiewende-Studie und die Folgestudie fünf Jahre später“, sagt Julia Neles, stellvertretende Leiterin des Bereichs Nukleartechnik & Anlagensicherheit am Öko-Institut. „Damit haben die Wissenschaftler*innen einen Weg in eine Zukunft ohne Atomkraft und fossile Energien gezeigt.“

Keine Sicherheit

Die Gefahren der Atomkraft zeigten sich massiv an der Kernschmelze im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl. Die Folgen waren katastrophal: Riesige Landstriche wurden kontaminiert, über 300.000 Menschen mussten evakuiert werden. Viele trugen Strahlenschäden davon, so insbesondere die Einsatzkräfte. Darüber hinaus verteilte sich Radioaktivität über weite Teile Europas. Schätzungen gehen dadurch von Folgekosten von 100 bis 1.000 Milliarden Euro aus.

Die Katastrophe von Tschernobyl veränderte bei vielen den Blick auf die Kernenergie und auch die Rolle des Öko-Instituts. „Wir haben in dieser Zeit unsere unabhängige Expertise zur Verfügung gestellt und Fakten vermittelt“, sagt Michael Sailer, „anschließend wurden wir auch von offizieller Seite wahr- und vor allem ernstgenommen.“ So war das Öko-Institut 1990 an der Prüfung der Sicherheit des AKW Greifswald beteiligt. „In der Folge wurden alle ostdeutschen Reaktoren abgeschaltet, da sie als nicht ausreichend sicher galten“, so Sailer, der 1999 in die Reaktorsicherheitskommission berufen wurde. Aufklärungsarbeit leistete der Nuklearexperte in zahllosen Medien auch 2011 nach der Katastrophe von Fukushima. „Die japanischen Offiziellen haben zunächst versucht, das wahre Ausmaß herunterzuspielen.“ Doch auch hier zeigte sich, was passiert, wenn die Kerntechnik außer Kontrolle gerät: In Folge von Kernschmelzen wurden erhebliche Mengen radioaktiver Stoffe freigesetzt, Landflächen und Meerwasser kontaminiert. 120.000 Menschen mussten evakuiert werden, 25.000 von ihnen können bis heute nicht in ihr Zuhause zurückkehren.

Eine Katastrophe, die eine erneute Wende in die deutsche Atompolitik brachte. Schon 2000 hatte die rot-grüne Bundesregierung den Ausstieg beschlossen. 2010 aber verlängerte die neue, schwarz-gelbe Regierungskoalition die Laufzeiten um durchschnittlich zwölf Jahre. Dies revidierte sie nach Fukushima und beschloss den Atomausstieg bis 2022. „Vor Fukushima haben viele Atombefürworter*innen gesagt: Eine Katastrophe wie in Tschernobyl kann bei Reaktoren westlicher Bauart nicht passieren. Sie haben nicht daran geglaubt, dass ein High-Tech-Land wie Japan betroffen sein könnte“, sagt Sailer.

Ewige Abfälle

Der endgültige Ausstieg war eine Vo­raussetzung, um die jahrzehntelangen Konflikte um ein Endlager für hochradioaktive Abfälle zu befrieden. „Diese begannen Ende der 1970er Jahre mit den Planungen für die Einrichtung eines Endlagers am Standort Gorleben“, erklärt Julia Neles. Inzwischen läuft ein umfangreicher Prozess für die Festlegung eines Standortes. „Hier ist auch die Expertise des Öko-Instituts gefragt. Wir haben zum Beispiel unterschiedliche Gemeinden, deren Gebiete grundsätzlich für ein Endlager in Frage kommen, mit Blick auf das Verfahren beraten.“

Die Abfälle aus der Kernenergienutzung müssen für teilweise unvorstellbar lange Zeiträume von einer Million Jahre sicher verwahrt werden. „Zudem gibt es neben den hochradioaktiven Abfällen wie ausgedienten Brennelementen auch schwach- und mittelradioaktive Abfälle“, sagt Neles. „Für sie wird bis vo­raussichtlich 2027 das Endlager Schacht Konrad in der Nähe von Salzgitter gebaut.“

Beim Rückbau der Kernkraftwerke fallen zudem Abfälle an, die konventionell entsorgt werden können – etwa, weil sie nie radioaktiv kontaminiert wurden. „Hierfür muss ein so genannter Freigabe-Prozess durchlaufen werden“, so die Wissenschaftlerin, die Mitglied der Entsorgungskommission des Bundesumweltministeriums ist. Fragen rund um den Rückbau sowie den Strahlenschutz hat das Öko-Institut bereits in zahlreichen Projekten untersucht. „Wir haben zum Beispiel das Bundesumweltministerium mit Blick auf die gesetzlichen Regelungen beraten und Länderbehörden bei der praktischen Umsetzung unterstützt.“

Rohstoffe mit Umweltschäden

Auch ein Kernkraftwerk kommt nicht ohne Ressourcen aus. So wird für die Kernenergie insbesondere Uran benötigt – ein Rohstoff, dessen Abbau häufig mit massiven Umweltschäden einhergeht. Diesen wird insbesondere in Gebieten mit indigener Bevölkerung nicht ausreichend vorgebeugt. „Grundwasser, Erdreich und Umgebungsluft werden radioaktiv belastet“, erklärt Julia Neles. „Häufig ist der Urananteil im Erz zudem extrem niedrig, so dass riesige Mengen von Bergbaurückständen anfallen.“

Auch in Deutschland wurde bis Anfang der 1990er Jahre Uran abgebaut – bei der Wismut im Erzgebirge. „Dies war mit hohen Gesundheitsgefahren für die Bergleute verbunden, die Kosten für den Rückbau gehen zudem in die Milliarden.“ Das Öko-Institut hat sich bereits in unterschiedlichen Projekten mit den Risiken des Uranbergbaus beschäftigt. „Wir haben uns in zahlreichen Gutachten unter anderem mit Nachnutzungskonzepten beschäftigt und dabei auch mit der Frage, wie die Bergbaurückstände dauerhaft sicher gelagert werden können“, so die Expertin.

Bedrohte Welt

Mit der Nutzung der Kernenergie ist immer auch die Gefahr der Proliferation verbunden, also dass Materialien, Technologien und Know-how für Kernwaffenprogramme genutzt werden. „Es gibt hier eine Wechselwirkung. Inzwischen behaupten Vertreter*innen des Militärs etwa in Großbritannien oder den USA sogar, dass sich diese Länder Kernwaffenprogramme nur leisten können, wenn die zivile Kernenergienutzung aufrechterhalten wird“, sagt Julia Neles. Wenn ein Land heute keine Kernwaffen anstrebe, hieße das außerdem nicht, dass die Situation nicht morgen schon ganz anders aussieht. „Wenn erst mal ein ziviles Programm etabliert ist, kann man dieses später auch für militärische Zwecke nutzen.“

Blick nach vorne

Das Öko-Institut hat von Beginn an die Nutzung der Kernenergie kritisch begleitet. „Angesichts der vielen katastrophalen und besorgniserregenden Ereignisse weltweit ist eine kritische Expertise dringend notwendig“, so Julia Neles. „Leider können schwere Unfälle jederzeit wieder passieren.“ Der Rückblick zeigt daher ebenso wie der Blick nach vorne: Es gibt viele gute Gründe für den Ausstieg.

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Die Diplom-Ingenieurin Julia Mareike Neles beschäftigt sich am Öko-Institut insbesondere mit den Themen Zwischen- und Endlagerung, radioaktive Abfälle sowie Öffentlichkeitsbeteiligung. Die stellvertretende Leiterin des Bereichs Nukleartechnik & Anlagensicherheit ist unter anderem Mitglied in der Entsorgungskommission des Bundesumweltministeriums.