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Perspektive

Renaissance der Kernenergie?

Die Zukunft der Atomkraft

Ja, Atomkraft hat eine relativ gute CO2-Bilanz. Ist sie deshalb eine zukunftsfähige Klimaschutztechnologie? Nein, eher nicht.

In den vergangenen Monaten sind immer wieder Stimmen laut geworden, die sich für die Kernenergie aussprechen, beginnend beim Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde. Auch in der CDU denken manche offen über einen Ausstieg aus dem Ausstieg nach. Argumentiert wird dabei meist mit den möglichen Emissionseinsparungen sowie der Sicherheit moderner Reaktoren. Doch aus meiner Sicht sprechen viele Dinge entschieden gegen einen Ausbau der Kernenergie geschweige denn einen Wiedereinstieg hierzulande – allen voran die immensen Risiken dieser Technologie aber auch ihre nach wie vor hohen Kosten.

Aber zunächst zurück zum Argument des Klimaschutzes. Atomkraftwerke verursachen deutlich weniger CO2 als Kohle- oder Gaskraftwerke, das stimmt. Emissionsfrei sind sie jedoch auch nicht. Berücksichtigt man die gesamte Produktionskette vom Uranabbau bis zum Rückbau und der Entsorgung des radioaktiven Materials errechnen sich pro Kilowattstunde Strom Werte von einigen Gramm bis über hundert Gramm CO2-Äquivalente (g CO2e). Bei der aktuellen Stromerzeugung mit Braunkohle sind es etwa ein Kilogramm CO2e, und selbst bei Gaskraftwerken circa 430 g CO2e. Vergleicht man die Kernenergie mit erneuerbaren Energien, schneidet sie nicht besser ab. Pro Kilowattstunde Strom entstehen bei Windkraft und Photovoltaik ebenfalls Werte zwischen zehn und hundert Gramm CO2e, abhängig etwa vom Materialeinsatz bei Herstellung und Bau der Anlagen. In solche Berechnungen geht grundsätzlich der jeweilige nationale Energiemix ein.

Das wichtigste Argument gegen eine Renaissance der Kernenergie sind für mich aber die damit verbundenen Risiken. Das beginnt bei den Reaktoren selbst: Man könnte die heutigen Reaktoren weiterlaufen lassen – doch diese sind weltweit gesehen im Durchschnitt schon über 30 Jahre alt. Sie können durch Verschleiß und Materialermüdung zunehmend störanfällig werden. Vor allem entsprechen sie aber nicht mehr den Anforderungen an Sicherheitsstandards und Strahlenschutz, die heute an neue Reaktoren gestellt werden. Auch bei einem massiven weltweiten Ausbau von Atomkraftwerken bleibt die Gefahr schwerer Unfälle, die auch bei neuen Reaktoren nicht vollständig ausgeschlossen sind und die zu katastrophalen Folgen für Mensch und Umwelt führen können. Viele der Reaktoren, die derzeit auf dem Markt sind, sind weiter entwickelt als jene, die in Europa und weltweit bald abgeschaltet werden. Doch weiterhin bestehen Risiken, nicht zuletzt mit Blick auf externe Einwirkungen wie Erdbeben oder terroristische Anschläge. Völlig neue Reaktorkonzepte einer sogenannten Generation IV werden frühestens Mitte des Jahrtausends marktfähig sein – für die dringende Umstellung unserer Energiesysteme also deutlich zu spät. Ob diese dann tatsächlich mehr Sicherheit bieten, bleibt noch nachzuweisen. Aber auch aus Kostengründen macht die Kernenergie nicht sehr viel Sinn – sie ist nach wie vor weder wirtschaftlich noch konkurrenzfähig.  Bei vielen Neubauprojekten explodierten die Kosten gegenüber der ursprünglichen Planung, vielfach müssen Staaten durch umfangreiche Garantien das finanzielle Risiko auf sich nehmen, damit neue Reaktoren überhaupt gebaut werden. Die erneuerbaren Energien hingegen sind in den vergangenen Jahren deutlich günstiger geworden, Tendenz weiterhin fallend.

Das sind aber bei Weitem nicht alle Argumente, die gegen eine Renaissance der Kernenergie sprechen. Die hochradioaktiven Abfälle sind ein weiteres. Bislang gibt es weltweit noch kein einziges Endlager dafür, die damit verbundenen Probleme und Herausforderungen wurden stark unterschätzt. Jedes Land, das noch darüber nachdenkt, in die Kernenergie einzusteigen – so aktuell etwa Bangladesch, Weißrussland oder auch die Türkei –, sollte sich auch bewusst machen, wie viel Zeit und Geld es für eine sichere Endlagerung wird aufbringen müssen.

Auch aus übergeordneter Perspektive spricht aus meiner Sicht etwas ganz vehement gegen die Atomkraft: die Gefahr, dass Materialien, Technologien und Know-how für Kernwaffenprogramme genutzt werden. Natürlich heißt das nicht, dass jedes Land, das Reaktoren baut oder betreibt, als nächstes Atomwaffen produziert. Doch die Möglichkeit rückt damit ein Stück näher. Auch das ist ein Risiko, das ich persönlich lieber nicht eingehen würde.

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Dr. Christoph Pistner leitet am Öko-Institut den Bereich Nukleartechnik & Anlagensicherheit. Er arbeitet etwa zu Anlagensicherheit, zum kerntechnischen Regelwerk sowie zum anlageninternen Notfallschutz. Darüber hinaus ist der Physiker unter anderem Mitglied der Reaktor-Sicherheitskommission (RSK) des Bundesumweltministeriums.