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Nicht die erste Wahl

Strombasierte Kraftstoffe im Verkehrssektor

Christiane Weihe

Schon Mitte der 1990er Jahre wollte Daimler-Benz mit einem Wasserstoffauto in eine umweltschonende Zukunft fahren. Über zwanzig Jahre später sind Fahrzeuge, die mit Wasserstoff oder synthetischen Energieträgern auf Basis von Wasserstoff, den so genannten E-Fuels, betrieben werden, auf deutschen Straßen quasi nicht zu finden. Fossile Flüssigkraftstoffe wie Diesel und Benzin dominieren den Verkehrssektor, die Elektromobilität zeigt sich als effiziente Alternative zu wasserstoffbetriebenen Brennstoffzellen. Welche Rolle können E-Fuels in Zukunft spielen? Wo lohnen sich strombasierte Kraftstoffe und wie schnell können sie eingesetzt werden? Mit diesen Fragen beschäftigt sich auch das Öko-Institut.

Der deutsche Verkehrssektor kann ohne Zweifel einen Schub in Richtung Klimaschutz vertragen: Bis 2050 muss er annähernd treibhausgasneutral sein. 2019 lagen seine Emissionen mit knapp über 163 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten jedoch noch immer auf dem Niveau von 1990. Wie lohnenswert ist es, diesen Schub durch E-Fuels zu ermöglichen? Grundsätzlich ließen sich die Emissionen des Verkehrs durch strombasierte Kraftstoffe senken, wenn diese unter Einhaltung klarer Nachhaltigkeitskriterien hergestellt werden – so etwa die Bereitstellung zusätzlicher erneuerbarer Energien (siehe hierzu ausführlich „Strom zu Kraftstoff. Wo liegt die Zukunft von PtX?“).

Dies wäre aber nicht zuletzt vor allem eins: sehr kostspielig. „Den Klimaschutz im Verkehrssektor vor allem durch E-Fuels voranzutreiben, ist die teuerste Option“, sagt Peter Kasten, Senior Researcher am Öko-Institut, „daher sollten zunächst andere Ansätze angegangen werden.“ Verkehr müsse vermieden und verlagert werden – so etwa auf den Fuß- und Radverkehr sowie öffentliche Verkehrsmittel. Aber auch die Steigerung der Effizienz bestehender Antriebssysteme sowie die Elektrifizierung des Verkehrs sollten aus Sicht des Öko-Instituts Vorrang haben. „Elektrofahrzeuge sind rund zweieinhalb Mal effizienter als Verbrenner, zusammen mit den Verlusten für die Herstellung der E-Fuels wird bei der direkten Nutzung von Strom im Vergleich zu E-Fuels sogar bis fünf Mal weniger Strom für dieselbe Wegstrecke verbraucht“, sagt der Senior Researcher. „Zudem ließen sich die Emissionen des Verkehrs durch Verkehrsvermeidung und -verlagerung sowie Effizienzsteigerung und Elektrifizierung der Antriebe bereits um mehr als 80 Prozent reduzieren.“ In der Analyse „Kurzstudie über den Stand des Wissens und die mögliche Bedeutung von E-Fuels für den Klimaschutz im Verkehrssektor“ hat der Wissenschaftler die Herausforderungen für die Herstellung von E-Fuels skizziert und sie im Auftrag der Klima-Allianz Deutschland mit anderen Klimaschutzmaßnahmen im Verkehrssektor verglichen.

NIEDRIGE WIRKUNGSGRADE

Nicht nur mit Blick auf Pkw, auch für größere Fahrzeuge sind elektrische Antriebe im Vergleich zu Wasserstoff oder E-Fuels die wirksamere Alternative, da sie deutlich höhere Wirkungsgrade erreichen. „Bei einem Diesel-Lkw, der mit synthetischem Kraftstoff unterwegs ist, gehen rund 80 Prozent der Energie des eingesetzten Stroms verloren, bei Brennstoffzellen-Lkw, der mit regenerativem Wasserstoff betrieben wird, sind dies rund 70 Prozent“, erklärt Peter Kasten, „deutlich niedriger ist dieser Wert bei batterieelektrischen oder oberleitungsgebundenen E-Lkw: Sie verlieren weniger als 30 Prozent der Energie und kommen auf einen Gesamtwirkungsgrad von 73 Prozent.“ Darüber hinaus sei die Transformation in Richtung Elektromobilität im Gegensatz zu strombasierten Kraftstoffen schon längst im Gang. „Die technologische Entwicklung ist weiter vorangeschritten und die Elektromobilität wird immer günstiger, viele Fahrzeughersteller sind zudem weitestgehend aus der Wasserstofftechnologie ausgestiegen“, so der Verkehrsexperte. „Es ist wichtig, dass die politische Anreizsetzung für die Entwicklung von E-Fuels nicht gegen die Entwicklung der batterieelektrischen Mobilität wirkt.“ Das heißt aus Sicht des Öko-Instituts aber nicht, dass strombasierte Kraftstoffe im Verkehrssektor überhaupt keinen Platz haben. „Die Technologie eignet sich besonders gut für den Flugverkehr und die Seeschifffahrt, daher sollte die Politik Anreize setzen, dass gezielt Kraftstoffe für diese Bereiche entwickelt werden“, sagt Kasten.

MINDESTENS ZEHN JAHRE

Ein Punkt, der auch unterstreicht, dass strombasierte Kraftstoffe für eine zügige Verkehrswende nicht geeignet sind: Obwohl seit den ersten Wasserstoffautos schon Jahrzehnte vergangen sind, wird es aus Sicht vieler Expertinnen und Experten lange dauern, bis strombasierte Kraftstoffe ein industrielles Niveau erreicht haben. „Es wird erwartet, dass mindestens zehn Jahre vergehen werden, bis E-Fuels in industriellem Maßstab verfügbar sind“, betont der Senior Researcher, „bei idealem Verlauf der Entwicklung werden bis 2030 hierzulande aus technischer Sicht Mengen von rund 30 Petajoule jährlich für möglich gehalten.“ Zum Vergleich: Der Verkehrssektor in Deutschland nutzte im Jahr 2018 inklusive des Schiffs- und Flugverkehrs 2.800 Petajoule an Kraftstoffen. Der weitaus größte Teil davon – etwa 2.300 Petajoule – entfielen auf den Straßenverkehr.

Dass die Herstellung von nachhaltigen E-Fuels in großen Mengen Zeit braucht, liegt unter anderem daran, dass hierfür zusätzliche erneuerbare Energien benötigt werden, die Ausbaugeschwindigkeit der Anlagen aber begrenzt ist: Schon für 30 Petajoule bräuchte man eine zusätzliche Strommenge von 15 bis 18 Terrawattstunden. Auch wenn die industrielle Produktion wahrscheinlich nicht hierzulande stattfindet, hilft ein Blick nach Deutschland zur Einordnung. Dann müssten in der Bundesrepublik bis zu 610 weitere Offshore-Windräder oder bis zu 2.900 zusätzliche Onshore-Windkraftanlagen errichtet werden. Und das zusätzlich zum ohnehin geplanten Ausbau. „Für eine klimafreundliche Herstellung von E-Fuels muss man mittelfristig zudem CO2 nutzen, das der Atmosphäre entnommen wurde – aber auch das ist bislang sehr teuer und nur in Kleinst- und Demonstrationsanlagen möglich“, erklärt Peter Kasten, „nutzt man CO2 aus anderen Quellen – etwa aus Industrieprozessen mit fossilen Rohstoffen – geht bei diesen Industrieprozessen der Anreiz verloren, die CO2-Emissionen zu reduzieren. Indirekt kann die Herstellung der E-Fuels so Mehremissionen in anderen Bereichen verursachen und das Potenzial für den Klimaschutz würde erheblich sinken.“

Eine Produktionsanlage in industriellem Maßstab brauche darüber hinaus Planungs- und Beteiligungsprozesse sowie den Aufbau einer Transportinfrastruktur. Und nicht zuletzt: Jemanden, der in sie investiert. Die Rahmenbedingungen hierfür sind jedoch derzeit unsicher: Noch läuft die Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie RED II der EU in deutsches Recht. „Die Kriterien für die Berechnung der Treibhausgasbilanz und den Strombezug für die Herstellung der E-Fuels sind noch nicht festgelegt. Welche Anforderungen es für die Produktionsanlagen geben wird, damit E-Fuels als nachhaltiger Kraftstoff definiert und gefördert werden, liegt erst Ende 2021 vor“, sagt der Wissenschaftler vom Öko-Institut, „doch da eine große Anlage zur Produktion von strombasierten Kraftstoffen mehrere Milliarden Euro an Investitionen benötigt, wird vorher niemand investieren.“ Das Öko-Institut berät das Bundesumweltministerium bei der Umsetzung von RED II. „Eine spannende und wichtige Aufgabe – denn dieses Instrument wird darüber entscheiden, wie diese Kraftstoffe auf den deutschen Markt kommen“, sagt Peter Kasten. Und damit auch, welchen Weg die Nutzung von Wasserstoff für den Verkehr mehr als zwei Jahrzehnte nach der Ankündigung von Mercedes nehmen wird. Dieser Hersteller hat Mitte 2020 die Produktion der Pkw mit Wasserstoffantrieb vorläufig eingestellt.

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Der Forschungsschwerpunkt von Peter Kasten liegt auf Nachhaltiger Mobilität. Im Bereich Ressourcen & Mobilität befasst sich der Senior Researcher unter anderem mit alternativen Mobilitätskonzepten, der Sektorkopplung von Energie und Verkehr sowie der CO2-Vermeidung im Verkehr auf EU-Ebene.