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Im Fokus

Die dunkle Seite des Recyclings

Sekundärgewinnung von Rohstoffen

Christiane Weihe

Der Begriff „Recycling“ ist hierzulande wahrscheinlich so positiv besetzt wie die Wörter „Bio“ oder „Nachhaltig“. Und die Rückgewinnung von Rohstoffen ist natürlich eine sinnvolle Sache: Ohne Recycling ist eine nachhaltige Rohstoffstrategie nicht denkbar. Es hat positive Auswirkungen auf die Umwelt und die verbliebenen Rohstoffvorkommen. Doch Moment, jedes Recycling? Wie Experten des Öko-Instituts zeigen, gibt es in Entwicklungsländern auch eine andere, dunkle Seite des Recyclings: Katastrophale Folgen für Mensch und Umwelt hat zum Beispiel das unsachgemäße Bleirecycling aus Altbatterien in vielen afrikanischen Ländern. Damit hat sich im Mai 2016 auch die Umweltversammlung der Vereinten Nationen (UNEA2) befasst.

Das Schrottaufkommen in Schwellen- und Entwicklungsländern steigt kontinuierlich an – so wächst etwa in Afrika der gesamte Kfz-Bestand jährlich um etwa fünf Prozent und damit auch die anfallende Menge ausgedienter Fahrzeuge. „Inzwischen liegen die Schwellen- und Entwicklungsländer beim gesamten Schrottaufkommen mit den Industrieländern gleichauf“, sagt Andreas Manhart, Wissenschaftler am Öko-Institut, „ein Problem, das dem Thema Recycling in den Entwicklungsländern in Zukunft eine viel größere Relevanz geben wird.“ Denn sachgerecht recycelt werden die Abfälle häufig nicht: „Dass es Recycling gibt, ist hier leider nicht per se positiv, denn die oft rudimentären Verfahren gefährden Menschen und Umwelt“, so Manhart, „so etwa das Abfackeln von Autoreifen oder das Abbrennen der Kunststoffummantelungen von Kabeln, aus denen Kupfer gewonnen werden soll.“

Insbesondere die Rückgewinnung von Blei aus Autobatterien ist mit gravierenden Problemen verbunden. „Mit dem Wachstum des Verkehrsaufkommens steigt die Zahl der Altbatterien in Afrika, für 2016 wird ihre Menge auf mehr als 1,2 Millionen Tonnen geschätzt“, sagt der Experte vom Öko-Institut, „damit fallen jährlich mehr als 800.000 Tonnen Blei an, die vor allem in Ländern südlich der Sahara meist unter sehr problematischen Bedingungen wiederverwertet werden.“ Die Batteriesäure wird unkontrolliert abgegossen, selbst die einfachsten Schutzmaßnahmen für das Einschmelzen des Bleis wie Handschuhe oder Mundschutz fehlen. „Das führt zu extremen Bleibelastungen der Arbeiter ebenso wie der Anwohner von Bleihütten, die lebensbedrohlich sein können“, erklärt Manhart, „dieses Risiko ist den meisten Menschen übrigens gar nicht bewusst – sie halten die Symptome einer Bleivergiftung für Anzeichen einer Infektionskrankheit.“

STANDARDS FÜR BLEIHÜTTEN

Mit dem aktuellen, spendenfinanzierten „Lead Recycling Africa Project“ hat das Öko-Institut in Kooperation mit Umweltorganisationen aus Äthiopien, Kenia, Tansania und Kamerun dazu beigetragen, das Wissen über die Betriebe und ihre Recyclingpraktiken sowie über deren Auswirkungen in afrikanischen Staaten zu verbreitern, Aufmerksamkeit für das Problem zu schaffen sowie nachhaltige Lösungsansätze aufzuzeigen. „In Dakar im Senegal sind zum Beispiel zwischen November 2007 und März 2008 insgesamt 18 Kinder unter fünf Jahren an einer akuten Bleivergiftung gestorben“, sagt der Wissenschaftler. Schwerwiegende Folgen des unsachgemäßen Recyclings bestehen jedoch nicht nur im direkten Umfeld der Bleihütten: „In Kamerun etwa wird ein Teil des Schwermetalls für die Produktion von Kochtöpfen verwendet. Und auch die Wiederverwertung der Batteriegehäuse aus Plastik ist ein Problem, da der Rohstoff meist nicht angemessen gereinigt wird und das verbleibende Blei damit in ziemlich gesundheitskritische Anwendungen wie Trinkwassertanks verschleppt wird.“

Ein wichtiger Schritt, Menschen und Umwelt besser vor diesen Gefahren zu schützen, sind das Aufklären der Bevölkerung über die bestehenden Risiken sowie die Informationsvermittlung an politische Entscheider. „Darüber hinaus müssen die lokalen Recyclingunternehmen in einem ersten Schritt dringend Maßnahmen ergreifen, damit die Menschen dem Blei nicht mehr schutzlos ausgeliefert sind“, fordert Manhart. Sinnvoll seien darüber hinaus Standards zum umwelt- und gesundheitsgerechten Batterierecycling mit Vorgaben zur Gesundheitsüberwachung und Unternehmensführung, zu Emissionen und zur Rückstellung von Kapital für die Beseitigung von Umweltschäden. Darüber hinaus brauche es Anreizsysteme für jene, die umweltgerecht recyceln. „Es darf nicht sein, dass diejenigen, denen die Auswirkungen ihres Tuns egal sind, die einfach auf dem billigsten Weg an die Rohstoffe rankommen wollen, mehr verdienen als jene, die sachgerecht recyceln.“ Dieses Prinzip müsse man durch Anreize für umweltgerechtes Recycling umkehren.

Eine hohe Verantwortung hat nach Ansicht des Wissenschaftlers vom Öko-Institut zudem die Autoindustrie, die für einen Großteil des weltweiten Bleiverbrauchs verantwortlich ist. Das in den afrikanischen Ländern zurückgewonnene Schwermetall wird zumeist nach Asien und Europa exportiert, da es vor Ort oft keine industrielle Verwendung dafür gibt – und landet über Bleiraffinerien unter anderem bei den Produzenten von Autobatterien. „Die europäische Autoindustrie muss Verantwortung übernehmen, so durch deutlich strengere Standards für ihre Zulieferer vom ersten Schritt an“, so der Experte.

BEST OF TWO WORLDS

Mit Lösungsansätzen für die Bekämpfung von unsachgemäßem Recycling hat sich das Öko-Institut auch im Projekt Best of two Worlds (Bo2W) gemeinsam mit lokalen Institutionen aus Ghana und Ägypten sowie mit Industriepartnern aus Belgien und Deutschland befasst. „Mit Fokus auf Altfahrzeuge und E-Schrott haben wir analysiert, wie in Ghana und Ägypten nachhaltige Sammel- und Recyclingsysteme aufgebaut werden können“, erklärt Manhart. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt sollte „Das Beste aus zwei Welten“ vereinen: die jeweiligen Vorteile bestehender Recyclingstrukturen in Industrie- und Schwellenländern. „Der Grundgedanke ist: Die Produkte werden lokal demontiert – natürlich unter Einhaltung anspruchsvoller Umwelt- und Sozialstandards – und dann in hocheffizienten Anlagen in Industriestaaten weiterverwertet“, sagt der Experte vom Öko-Institut, „so wurden zum Beispiel in Ghana gesammelte Blei-Säure-Batterien nach Europa gebracht, wo sie von Spezialisten recycelt wurden.“ Das Projekt zeigte: Der Bo2W-Ansatz ist umsetzbar. Gleichzeitig haben die Experten aber auch strukturelle Schwierigkeiten für seine breite Implementierung ermittelt: „Auch in Ghana und Ägypten hat sich gezeigt, dass jene Recycler, die die Kosten zum Beispiel für Sicherheit und Gesundheit der Arbeiter nicht externalisieren, einen deutlichen Wettbewerbsnachteil haben. Die informelle Abfallwirtschaft trägt diese Kosten nicht selbst und dominiert damit den Markt.“

Welche schwerwiegenden Probleme bei der Gewinnung von Sekundärrohstoffen entstehen können, hat im Mai 2016 nun auch die UN-Umweltversammlung in Nairobi betont: Sie sprach ihre tiefe Sorge über das Problem des unsachgemäßen Recyclings von Blei-Säure-Batterien aus und rief dazu auf, Standards umzusetzen. „Das ist eine Aussage, auf die man sich in späteren Verhandlungen berufen kann und daher ein wichtiger Schritt nach vorne“, sagt Andreas Manhart. Nicht nur, um ein wenig Licht in die dunkle Seite des Bleirecyclings in Afrika zu bringen – denn das Problem besteht auch auf anderen Kontinenten: „Wir kennen zum Beispiel Fälle aus Vietnam oder der Dominikanischen Republik, weltweit ist – nach vorsichtigen Schätzungen – die Gesundheit von fast einer Million Menschen direkt bedroht.“