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Im Fokus

Zwischen Defekten und Konsumwahn

Das Problem Obsoleszenz

Christiane Weihe

Ultra High Definition und HDMI-Anschluss. Smart-TV und 3D-Funktion. Curved Display und OLED-Bildschirm. Jede neue Generation von Fernsehern lockt mit Features, denen viele Konsumenten offensichtlich nur schwer widerstehen können. Gerade noch glänzte der Flachbildschirm neu und schön, da steht der Hersteller schon wieder mit einem neuen Modell vor der Tür. Das noch ein bisschen mehr zu glänzen scheint. Schneller, klarer, größer. Der geringe Kaufpreis senkt die Hemmung für einen Neukauf weiter. Nach fünf bis sechs Jahren werden moderne Flachbildschirmfernseher in deutschen Haushalten durch ein neues Gerät ersetzt. Röhrenfernseher brachten es noch auf etwa zehn bis zwölf Jahre. Unter dem Stichwort Obsoleszenz wird die verkürzte Lebens- und Nutzungsdauer von Elektro- und Elektronikgeräten diskutiert und erforscht. Welche Ursachen hat es, dass die Produkte immer kürzer genutzt werden? Gibt es Designmanipulationen der Hersteller, die so oft vermutete geplante Obsoleszenz? Und wie wirkt sich die verkürzte Nutzungsdauer auf Mensch und Umwelt aus? Diese Fragen hat das Öko-Institut in einer Studie für das Umweltbundesamt untersucht.

„Tatsächlich lässt sich die hohe Austauschrate bei Fernsehern vor allem durch die psychologische Obsoleszenz erklären“, sagt Siddharth Prakash, Wissenschaftler am Öko-Institut und Projektleiter der Studie, „über 60 Prozent der noch funktionierenden Flachbildschirmfernseher wurden 2012 ersetzt, weil die Verbraucher ein besseres Gerät haben wollten.“ Gründe für den Austausch seien eine bessere Ausstattung und neue Funktionen ebenso wie fallende Preise. „Stimuliert wird der Konsumwahnsinn natürlich auch durch Werbekampagnen.“ Und so brachten die Deutschen allein im Jahr 2015 sieben Millionen neue Fernseher in ihre Wohnzimmer.

Gemeinsam mit der Universität Bonn haben die Experten des Öko-Instituts in der Studie „Einfluss der Nutzungsdauer von Produkten auf ihre Umweltwirkung: Schaffung einer Informationsgrundlage und Entwicklung von Strategien gegen Obsoleszenz“ eine fundierte Datengrundlage über die Lebens- und Nutzungsdauer von Elektro- und Elektronikgeräten geschaffen und die Ursachen für das Phänomen Obsoleszenz untersucht. Betrachtet wurden dabei vier Produktgruppen: Haushaltsgroßgeräte, Haushaltskleingeräte, Informations- und Kommunikationstechnik sowie Unterhaltungselektronik.

„Bei den meisten Produkten ist in den vergangenen Jahren die Erst-Nutzungsdauer zurückgegangen“, sagt Prakash, „wir haben festgestellt, dass vermehrt Geräte ausgetauscht werden, die noch gut funktionieren.“ Auslöser seien oftmals Technologiesprünge – wie bei den Fernsehern. „Auch bei Haushaltsgroßgeräten wie Waschmaschinen oder Kühlschränken werden bei einem Drittel der Ersatzkäufe funktionstüchtige Geräte ausgemustert – kaufentscheidend ist dabei der Wunsch nach einem besseren Gerät.“ Ein Wunsch, der auch von Herstellern und Dienstleistern immer wieder gefördert wird. „Man denke nur an die Tarifmodelle von Telekommunikationsunternehmen, die jedes Jahr ein neues Smartphone anbieten“, so der Wissenschaftler. Die Nutzungsdauer von Mobiltelefonen sei deutlich zu kurz, fügt er noch hinzu – „68 Prozent tauschen ihr Gerät laut Stiftung Warentest innerhalb von drei Jahren aus, davon nur neun Prozent, weil der Akku schwach oder defekt war.“ 40 Prozent hingegen wollten ein besseres Gerät, 28 Prozent erhielten das neue Mobiltelefon aufgrund ihres Vertrags.

DIE URSACHEN

Bei den Haushaltsgroßgeräten liegt die Erst-Nutzungsdauer bei durchschnittlich 13 Jahren, zwischen 2004 und 2012 hat sich diese um ein Jahr reduziert. Auffällig ist: Der Anteil jener Geräte, die schon in den ersten fünf Jahren wegen eines Defektes ausgetauscht wurden, hat sich deutlich erhöht. Er stieg im Untersuchungszeitraum von 3,5 auf 8,3 Prozent. „Bei den Haushaltsgroßgeräten sind eindeutig technische Defekte der wesentliche Grund für den Austausch“, erklärt Prakash. Die durchschnittliche Erst-Nutzungsdauer liegt allerdings noch auf relativ hohem Niveau. Waschmaschinen zum Beispiel erreichten 2012/2013 eine durchschnittliche Erst-Nutzungsdauer von 11,9 Jahren. „Besorgniserregend ist das häufige Auftreten von Defekten schon in den ersten Nutzungsjahren“, stellt Prakash klar.

Neben der Befragung von Herstellern, Reparaturbetrieben und Verbrauchern haben die Experten in der Analyse auch Lebensdaueruntersuchungen der Stiftung Warentest sowie Forschungen des britischen Instituts WRAP ausgewertet, um die Ursachen der Obsoleszenz zu ermitteln. Dabei zeigte sich, dass praktisch alle Komponenten und Bauteile eines Gerätes ausfallen können. Allerdings haben manche Komponenten und Bauteile vergleichsweise höhere Ausfallwahrscheinlichkeiten und wirken eher lebensdauerlimitierend.

Eine Herausforderung ist nach Ansicht des Wissenschaftlers auch die Frage nach der Reparatur defekter Geräte. „Eine Reparatur ist in der Regel gut für die Umwelt und hat zum Beispiel mit Blick auf Arbeitsplätze auch viele soziale Effekte, aber finanziell gesehen lohnt sie sich nicht immer für den Konsumenten“, so Prakash, „das liegt unter anderem an hohen Reparaturkosten und geringen Kaufpreisen für die Neugeräte.“ In der Analyse haben die Experten die Lebenszykluskosten von Fernsehern, Waschmaschinen und Notebooks errechnet. Die Kostenaufstellung verdeutlicht die kritischen Aspekte beim Thema Reparatur. „Nur hochwertige Geräte, die nicht oder selten repariert werden müssen, schneiden aus Verbrauchersicht ökonomisch etwas besser ab“, sagt Prakash, „bei Billiggeräten lohnt sich die Reparatur einfach nicht“. Wie und ob die unabhängige Reparaturwirtschaft die Herausforderungen der aktuellen Markt- und Produktentwicklungen verkraften kann, sei derzeit ungewiss.

DIE AUSWIRKUNGEN

Fakt ist: Elektro- und Elektronikgeräte werden inzwischen kürzer genutzt. Und das wirkt sich negativ auf Umwelt und Ressourcenverbrauch aus. „Wir sehen bei langlebigen Produkten geringere Umweltauswirkungen“, sagt Prakash, „so verursacht zum Beispiel eine langlebigere Waschmaschine 700 Kilogramm bis eine Tonne weniger Treibhausgasemissionen als eine kurzlebige, bei Fernsehern sind es 600 Kilogramm und bei Notebooks immerhin noch 300 Kilogramm Treibhausgase, die durch ein langlebiges Gerät eingespart werden können.“ Zusätzlich gehen durch eine kürzere Lebens- und Nutzungsdauer von Elektro- und Elektronikgeräten zahlreiche darin enthaltene Rohstoffe zu einem großen Teil verloren. „Das betrifft Edelmetalle wie Gold und Silber, die Seltenen Erden sowie weitere kritische Rohstoffe wie zum Beispiel Kobalt, Palladium oder Indium“, erklärt der Experte vom Öko-Institut. Die Gewinnung und Verarbeitung dieser Rohstoffe wirkt sich oftmals negativ auf

Menschen und Umwelt aus. So wird ein Großteil des weltweit abgebauten Kobalt in der Demokratischen Republik Kongo gewonnen – unter lebensgefährlichen Bedingungen und Verletzung von Menschenrechten: Mehr als 100 Menschen sterben jedes Jahr dabei, Kinderarbeit ist an der Tagesordnung.

Doch wurde nicht oftmals gesagt: Ein neues, energieeffizientes Gerät spart ein? Energie und Kosten? Auch mit dieser Frage hat sich das Öko-Institut in unterschiedlichen Studien befasst. „Sie lässt sich nicht eindeutig beantworten, es hängt vom einzelnen Produkt ab, ob es sich für die Umwelt lohnt, die Lebens- und Nutzungsdauer zu verlängern“, sagt Prakash, „eine Rolle spielen dabei zum Beispiel das Verhalten der Konsumenten, aber auch die Höhe des Effizienzgewinns durch das neue Gerät sowie dessen Herstellungsaufwand.“ Wenn ein Neukauf notwendig ist, sollte der Verbraucher natürlich zu einem besonders energieeffizienten Produkt greifen. „Ist das vorhandene Elektro- oder Elektronikgerät aber funktionsfähig und wurde erst vor wenigen Jahren gekauft, ist das langlebige Produkt in den meisten Fällen auch das umweltfreundlichere Produkt“, erklärt der Wissenschaftler.

Die Umwelt profitiert also meist von einer möglichst langen Nutzung. Und seien wir mal ehrlich: Sie hat viel bessere Features als der ultrascharfe Flachbildschirmfernseher. Christiane Weihe