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Im Fokus

Eine kontinuierliche Aufgabe

Öffentlichkeitsbeteiligung im Jahrhundertprojekt Endlagerung

Christiane Weihe

Ein Endlager direkt vor meiner Haustür? Viele Menschen können sich das nicht vorstellen. Sie haben Ängste und Bedenken, die zu großem Widerstand gegen diese Einrichtung führen können. Deshalb sind bei der Suche nach einem geeigneten Standort nicht nur technische oder geowissenschaftliche Fragen von Bedeutung, sondern auch gesellschaftliche Erfordernisse und Erwartungen. Zentral ist daher die frühzeitige und aktive Einbindung der Gesellschaft. Wie Öffentlichkeitsbeteiligung im Jahrhundertprojekt Endlagerung gelingen kann und welche Herausforderungen sich schon heute in diesem Verfahren zeigen, damit beschäftigt sich auch das Öko-Institut.

„Die Suche nach einem Endlagerstandort steht vor der gewaltigen Aufgabe, dass ihr Ergebnis von der gesamten Gesellschaft getragen und toleriert wird – auch und vor allem von jenen, die unmittelbar betroffen sein werden“, sagt Dr. Bettina Brohmann, Forschungskoordinatorin Transdisziplinäre Nachhaltigkeitswissenschaften am Öko-Institut. „Dies kann nur in einem schrittweisen, transparenten und konsensorientierten Verfahren bewältigt werden, das Bürgerinnen und Bürger aktiv einbezieht und Mitgestaltung ermöglicht.“ Es braucht eine Partizipation, die über Information und Konsultation hinaus geht, also einen offenen Dialog mit Gestaltungsspielräumen für die Beteiligten, sagt die Expertin. Die Grundlagen dafür sind gelegt. „Mit der Novellierung des StandAG wurde eine neue Form der Öffentlichkeitsbeteiligung etabliert: ein sich selbst hinterfragender und lernender Prozess. Das ist eine besondere Herausforderung, aber auch eine große Chance.“

Ein gelingendes Verfahren

Wie die formellen und informellen Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung bestmöglich gestaltet werden können, damit hat sich das Öko-Institut für das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) im Projekt „Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Endlagersuche: Herausforderungen eines generationenübergreifenden, selbsthinterfragenden und lernenden Verfahrens“ beschäftigt. Gemeinsam mit dem Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und der team ewen GbR haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zunächst eine umfassende Literaturanalyse durchgeführt und Erfahrungen verschiedener Verfahren analysiert. „Vor diesem Hintergrund haben wir skizziert, wie eine gute Öffentlichkeitsbeteiligung im Standortauswahlverfahren aussehen könnte und welchen Gestaltungsspielraum das StandAG hierfür bereithält“, sagt Brohmann. Wichtig seien etwa unterschiedliche Formen der Beteiligung, die mit der Zeit ergänzt werden können, und auch, dass diese im Prozess kontinuierlich überdacht und bei Bedarf nachjustiert werden. „Alle Akteurinnen und Akteure sollten außerdem von Anfang an in den Prozess einbezogen werden und dafür müssen ausreichend Zeit und Geld sowie passende Strukturen zur Verfügung stehen. Ziele und Spielräume der Partizipation sollten stets klar kommuniziert werden.“

Erfolgsfaktoren für eine gelingende Partizipation seien auch Offenheit und Interesse für die Ergebnisse der Beteiligung sowie natürlich deren systematische Berücksichtigung. Hierfür seien Reflexion und Lernen innerhalb der Institutionen wichtig, aber auch zwischen den Akteurinnen und Akteuren des Verfahrens. „Nur dann kann das  Verfahren wirklich lernen. Dazu gehört auch, zu akzeptieren, dass es während des Prozesses Änderungen geben kann. Schließlich wird er sich über eine lange Zeit hinziehen“, sagt Brohmann. „Gleichzeitig muss das Verfahren auch dann robust und stabil bleiben, wenn sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ändern.“ Essenziell sei zudem eine enge Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten aus Politik, Behörden und Zivilgesellschaft. „Wir brauchen eine gemeinsame Wissensbasis und die gemeinsame Arbeit an den aktuellen und zukünftigen Prozessen.“ Im weiteren Prozess müssten zudem jene Regionen begleitet und unterstützt werden, die konkreter als Endlagerstandort in Frage kommen – auch mit Blick auf regionale Unterschiede bei den Ressourcen und Kompetenzen, die nötig sind, um sich in das Verfahren einzubringen.

Formen der Beteiligung

Das Standortauswahlgesetz sieht verschiedene Formen und Gremien für die Öffentlichkeitsbeteiligung vor. Im Oktober 2020 wurde mit einer Auftaktveranstaltung zur Vorbereitung der folgenden drei Beratungstermine der Fachkonferenz Teilgebiete begonnen. Bei diesen werden Ergebnisse der BGE aus dem Zwischenbericht Teilgebiete besprochen, die für die Auswahl von Standortregionen und schließlich zur Bestimmung eines Standortes dienen (siehe hierzu ausführlich „Eine bunte Landkarte“ auf Seite 6). Im Anschluss an die Fachkonferenzen wird es Regionalkonferenzen geben. „Diese finden überall dort statt, wo es eine übertägige Erkundung gibt. Sie dienen der Information sowie der Beteiligung der Menschen vor Ort, die über die Regionalkonferenzen auch Nachprüfungen einfordern können“, erklärt die Wissenschaftlerin. Der Rat der Regionen, der sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Regionalkonferenzen und der Zwischenlager-Standortgemeinden zusammensetzt, soll den Prozess dann zudem aus überregionaler Sicht begleiten und dem Interessenausgleich zwischen den möglichen Standortregionen dienen. „Darüber hinaus gibt es noch weitere, informellere Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung wie Workshops zur Jugendbeteiligung, Onlinekonsultationen oder digitale Dialogangebote. Wichtiger Baustein ist außerdem eine Informationsplattform, die unter anderem über den Stand der Suche informiert und wichtige Dokumente bereithält.“

Ein lernendes Verfahren wird gesucht

Es zeigen sich hier viele Formate, die teilweise schon heute kritisch beleuchtet werden. Zu Recht, wie die Expertin vom Öko-Institut findet. „Der Prozess funktioniert noch nicht so, wie er könnte“, sagt sie, „das liegt sicher daran, dass wir es mit neuen Institutionen und Strukturen zu tun haben“. Dass die Fachkonferenz im Februar 2021 mit über 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern sehr gut besucht war und nur online stattgefunden hat, war auch eine besondere Herausforderung – „Das machte es schwierig, alle Gruppen ausreichend zu Wort kommen zu lassen und zu hören.“ Kritisiert wird unter anderem, dass die bisherigen Veranstaltungen zu wenig Raum für Dialog und Diskussion lassen und das Verfahren noch zu langsam lernt. „Es ist außerdem noch unklar, wie Empfehlungen geprüft und dann tatsächlich in den Prozess aufgenommen werden.“ Auch ein besserer Zugang zu wissenschaftlichem Wissen sei notwendig, etwa über ein wissenschaftliches Gremium, das bei Bedarf Einschätzungen und Gutachten zur Verfügung stellt. „Darüber hinaus braucht es eine noch repräsentativere Beteiligung und gesellschaftliche Vermittlung. Hierfür müssen wir weitere Gruppen motivieren, an den Veranstaltungen teilzunehmen, etwa aus Jugendverbänden oder Kirchen.“ Die Beteiligungsexpertin wünscht sich außerdem ein höheres mediales Engagement. „Hierfür sollte die Medienarbeit ausgeweitet und dabei unter anderem der innovative Charakter des Auswahlverfahrens betont werden.“

Ein Endlager direkt vor meiner Haustür? Es ist eine Aufgabe für mehrere Generationen und die gesamte Gesellschaft, dass die zukünftigen Nachbarinnen und Nachbarn des deutschen Endlagers dieses tolerieren können. Und eine Herausforderung für dieses neue Verfahren, das sich in den kommenden Monaten und Jahren immer wieder beweisen und anpassen muss. Für sein Gelingen braucht es aus Sicht von Bettina Brohmann nicht zuletzt eine ehrliche Wertschätzung für die zukünftige Standortregion – was beispielsweise eine mögliche Kompensation ausdrücken würde – auch in Hinsicht darauf, welche wichtige Jahrhundertaufgabe sie für unsere gesamte Gesellschaft übernehmen wird.

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Dr. Bettina Brohmann koordiniert am Öko-Institut die Forschung zu Transdisziplinären Nachhaltigkeitswissenschaften. Darüber hinaus beschäftigt sie sich unter anderem mit der Konsumenten- und Motivationsforschung, der Beteiligung an Entscheidungsprozessen sowie den sozialen Aspekten der Energie- und Klimapolitik.