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Im Fokus

Das Moor kann’s

Natürliche Kohlenstoffsenken und der Klimaschutz

Christiane Weihe

Ein Moor kann’s. Ein Baum auch. Und sogar Seegras. All dies sind so genannte natürliche Kohlenstoffsenken. Zu ihnen gehören Wälder und Grünland ebenso wie landwirtschaftliche Flächen und marine Küstenökosysteme. Natürliche Senken entnehmen der Atmosphäre Kohlendioxid und speichern es in Pflanzen und Boden – eine wertvolle Klimaleistung, auf die wir nicht verzichten können auf dem Weg zur Klimaneutralität. Gleichzeitig sind sie auf vielfältige Weise bedroht. Heiße und trockene Sommer machen dem Wald zu schaffen, marine Küstenökosysteme leiden unter schädlichen Eingriffen der Fischereiwirtschaft und landwirtschaftliche Flächen werden intensiv bewirtschaftet. Wie hoch ist das Potenzial der natürlichen Kohlenstoffsenken? Und was brauchen sie, um es zu entfalten? Dazu forscht das Öko-Institut in zahlreichen Projekten.

Wer denkt: Meine Gartenhecke sammelt das CO2 doch wieder ein, dann kann ich weiter den schmutzigen Verbrenner fahren, der irrt. Denn ja, natürliche Senken haben ein großes Klimaschutzpotenzial. Doch wir brauchen sie für jene Emissionen, die sich nicht vermeiden lassen – so etwa Methan aus Kuhmägen. „Der erste und wichtigste Schritt ist immer, die Emissionen so weit wie möglich zu verringern“, sagt Judith Reise vom Öko-Institut. „Natürliche Kohlenstoffsenken ersetzen nicht die Minderungsziele.“

Das Bundes-Klimaschutzgesetz rechnet für den Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) mit klaren CO2-Einbindungen: Bis 2030 soll er jährlich mindestens 25 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente (Mio. t CO2e) aufnehmen, bis 2040 dann 35 Mio. t CO2e und bis 2045 insgesamt 40 Mio. t CO2e. „Ich halte es für durchaus realistisch, dass die 2045er-Ziele erreicht werden“, sagt Judith Reise. „Das heißt aber auch, dass wir jetzt handeln müssen. Denn natürliche Senken entstehen nicht von heute auf morgen. Insbesondere die Etablierung neuer Waldflächen dauert viele Jahre und auch die Wiedervernässung von Mooren braucht Zeit, um wirksam zu werden.“

Viele Maßnahmen

So unterschiedlich die natürlichen Kohlenstoffsenken und -speicher sind, so vielfältig sind auch die Maßnahmen, sie zu unterschützen und wiederherzustellen. Das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK), das im März 2023 von der Bundesregierung beschlossen wurde, sieht ein breites Bündel an Maßnahmen vor (siehe dazu auch Interview mit Tom Kirschey auf Seite 12). „Diese sind breit angelegt und zeigen die zehn wichtigsten Handlungsfelder – vom Schutz der Moore über einen naturnahen Wasserhaushalt bis hin zum natürlichen Klimaschutz auf Siedlungs- und Verkehrsflächen“, sagt Judith Reise. „Gleichzeitig bleibt die Politik beim natürlichen Klimaschutz in vielen Belangen noch zu unkonkret. So gibt es zum Beispiel keinen klaren Vorschlag, wie man wirklich zum Ziel der EU-Biodiversitätsstrategie, drei Milliarden Bäume zu pflanzen, beitragen will.“ Ungeklärt ist aus Sicht der Wissenschaftlerin bislang auch die Frage, woher die Flächen kommen sollen, die für natürliche Senken benötigt werden. „Es gibt hier sehr große Nutzungskonflikte, denn alleine die Landwirtschaft hat einen riesigen Bedarf an Flächen – und will auf diese selbstverständlich nicht verzichten. Gleichzeitig werden wir etwa für die Aufforstung von Wäldern gerade Ackerflächen brauchen.“

Hohe Potenziale

Im Projekt „Transformation zu einem vollständig treibhausgasneutralen Deutschland (CARE)“ zeigt das Öko-Institut im Auftrag des Umweltbundesamtes, welche Potenziale natürliche Kohlenstoffsenken und der Erhalt natürlicher Kohlenstoffspeicher haben, zum Ziel der Klimaneutralität bis 2045 beizutragen. „Wir skizzieren zudem die notwendigen Maßnahmen, um diese Potenziale zu heben, und die Zeiträume, in denen sie wirksam werden können“, so Judith Reise. Insbesondere Wälder haben ein gewaltiges Klimaschutzpotenzial: Bis 2050 könnten sie jährlich über 40 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente binden.

Sinnvoll ist es aus Sicht der Wis­sen­schaftlerin, zwischen Waldbestän­den zu differenzieren. Weniger gut angepasste Fichtenreinbestände an ungeeigneten Standorten etwa sollten umgebaut werden hin zu klimaresilienten Waldgesellschaften. In vielen Laubmischwäldern könnten stattdessen die Bewirtschaftung zurückgefahren und der Einschlag reduziert werden, um den Holzvorrat und damit die CO2-Senke im Wald zu erhöhen. Geerntetes Holz sollte zudem für möglichst langlebige Produkte wie Bauholz genutzt werden, um den Kohlenstoff in diesen gespeichert zu halten (Mehr zum Thema Wald und Holznutzung im Artikel „Der Baum hat Potenzial“ auf Seite 10).

Die wichtigste Maßnahme sei es aber, den Wasserstand in Moorböden unter Acker- und Grünland wieder so anzuheben, dass sie als Kohlenstoffspeicher erhalten bleiben. „Moorböden haben über Jahrtausende sehr große Mengen an Kohlenstoff gespeichert. Auf landwirtschaftlich genutzten Moorfolgeböden mit niedrigen Wasserständen wird Jahr für Jahr der Torfanteil zersetzt und der gespeicherte Kohlenstoff als CO2 freigesetzt. Alleine durch die Wiedervernässung von landwirtschaftlich genutzten Moorböden können Emissionen von 30 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr verhindert werden. Gleichzeitig dient die Wiedervernässung der Artenvielfalt und dem Wasserlandschaftshaushalt“, erklärt die Wissenschaftlerin aus dem Bereich Energie & Klimaschutz. Sie muss allerdings reguliert ablaufen, da Moore sonst hohe Mengen Methan freisetzen können. „Es gibt unterschiedliche Maßnahmen, dies zu verhindern oder es zumindest stark abzumildern. Etwa, indem man vor der Vernässung eine Schicht Torf abnimmt und indem man das Moor nicht unkontrolliert überflutet.“ (Siehe dazu auch Porträt von Dr. Franziska Tanneberger auf Seite 13.) Wichtig sei es zudem, die Verfügbarkeit von Wasser unter Betrachtung des gesamten Landschaftswasserhaushaltes sicherzustellen – und dabei auch Zeiten des Wassermangels durch Auswirkungen des Klimawandels einzuplanen. Derzeit werden sehr viele Projekte zur Moorrenaturierung angestoßen – und viele werden auch von der Landwirtschaft positiv aufgenommen, wie Judith Reise sagt. „Viele Landwirt*innen erleben ja auch, dass sie auf den ausgetrockneten Böden kaum noch etwas anbauen können und stehen einer Anhebung des Wasserstandes auf ihren Äckern positiv gegenüber, da sie sich auf neue Anbauformen wie etwa Paludikulturen einstellen können. Diese Änderung der Landbewirtschaftung ist essenziell für den natürlichen Klimaschutz.“

Die Landwirtschaft hat zahlreiche Möglichkeiten, das Potenzial der natürlichen Senken zu stärken. „Es ist zum Beispiel wichtig, etwa durch Zwischensaaten die Humusanreicherung zu stärken und so den Nährstoffgehalt im Boden zu optimieren. Auch so genannte Agroforstmaßnahmen sind sinnvoll. Dazu gehört, auf Äckern Hecken und Bäume zu pflanzen, die Kohlendioxid aufnehmen und in ihrer Biomasse speichern. Das ist eine schnelle und effektive Maßnahme, da hier schnellwüchsige Gehölze zum Einsatz kommen können“, sagt Judith Reise. „Agroforstmaßnahmen können den Wasserhaushalt stabilisieren und den Boden vor Erosion schützen. Zudem sind heimische Hecken auf Äckern auch ein wichtiger Lebensraum für Vögel und Insekten und tragen so zum Schutz der Biodiversität bei.“ Klimaschutz gehört aber nicht nur aufs Land: Auch das Pflanzen von Bäumen in Städten macht es möglich, CO2 zu binden. „Dies dient aber vor allem dem Wohlbefinden der Bevölkerung – etwa mit Blick auf eine Kühlung der Umgebungstemperatur.“ Und: Auch die Konsument*innen sind gefragt. Für die Produktion von einer Kalorie Tierprodukte werden fünf bis zehn Kalorien an Pflanzen benötigt. Sinkt also der Verbrauch tierischer Produkte wie Milch oder Fleisch, reduzieren sich auch die Nutztierhaltung und der Flächenbedarf für den Anbau von Futtermitteln. „Diese Flächen können dann genutzt werden, um mehr Wälder entstehen zu lassen, Agroforstsysteme anzulegen, Moorböden zu vernässen oder auf eine bodenschonendere Landwirtschaft umzuschwenken.“

Anreize schaffen

Im Rahmen von CARE haben die Expert*innen des Öko-Instituts gemeinsam mit mehreren Projektpartnern zudem ein finanzielles Anreizsystem für forstwirtschaftliche Betriebe entwickelt, das die Klimaschutz- und Biodiversitätsleistungen der Wälder erhöhen soll. „Wir halten es für sinnvoll, Ökosystemleistungen im Rahmen der Waldwirtschaft zu fördern. Dies könnte unter anderem durch einen marktwirtschaftlichen Zertifikatehandel geschehen“, sagt Dr. Klaus Hennenberg aus dem Bereich Energie & Klimaschutz. Das Projektteam schlägt vor, dass teilnehmende Waldbesitzende zunächst bestimmte Basisanforderungen für die Biodiversität einhalten müssen – so etwa mit Blick auf die natürliche Waldentwicklung oder eine gesunde Bodenstruktur. Darüber hinaus sind Zusatzanforderungen vorgesehen, bei denen die Waldbesitzenden selbst entscheiden können, welche Maßnahmen sie zusätzlich ergreifen, für die es eine staatliche Förderung gibt. „Wer die Basisanforderungen bei der Biodiversität der Wälder erfüllt, kann zusätzlich an einem Wald-Zertifikatehandel teilnehmen“, schlägt Hennenberg vor. „Für die Senkenleistung der Wälder würden in diesem Markt Zertifikate an private Investor*innen ausgegeben, die sich auf diese Weise an der Finanzierung von natürlichem Klimaschutz beteiligen können.“

Win-Win-Win

Das Moor kann’s, der Baum und das Seegras auch. Doch nicht unbegrenzt. Und nicht ohne entsprechenden Schutz. Gleichzeitig ist es wichtig, die Perspektive zu erweitern: Schützen wir natürliche Kohlenstoffsenken, nützt das bei Weitem nicht nur dem Klima. Es gibt zahlreiche Synergien mit dem Schutz von Biodiversität und sogenannten Ökosystemleistungen. „Entsprechende Maßnahmen verbessern den Wasserhaushalt der Landschaften, schützen uns vor Stürmen und Bodenerosion, dienen der Kühlung in heißen Sommern, bewahren die Artenvielfalt, verbessern die Bodenfruchtbarkeit und helfen dabei, uns an den schon stattfindenden Klimawandel anzupassen“, sagt Judith Reise. „Sie helfen uns damit bei nicht weniger als dem Erhalt unserer Lebensgrundlagen.“

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Judith Reise hat einen Master of Science Global Change Ecology, seit 2019 ist sie im Bereich Energie und Klimaschutz des Öko-Instituts tätig. Sie befasst sich unter anderem mit Waldökologie und nachhaltiger Waldbewirtschaftung sowie der Frage, wie sich kohlenstoffreiche Ökosysteme schützen und wiederherstellen lassen.

Ansprechpartnerin und Ansprechpartner am Öko-Institut