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Achtung, laut!

Die Wirkung von Verkehrslärm

Auf der Rennstrecke in Abu Dhabi dreht Nico Rosberg seine Runden auf dem Weg zum Weltmeistertitel. Der Krach, den er dabei macht – ist für viele der Sound von Freiheit und Wochenende! In der Nacht nach dem Formel-1-Rennen fährt ein Laster am Haus vorbei. Der Krach, den er macht – lässt uns die Fenster schließen. Wie wir Lärm wahrnehmen, hängt auch von unseren subjektiven Gefühlen zur Quelle ab, ist mitbestimmt von unserem persönlichen Empfinden ebenso wie von der Situation, in der wir gerade sind. Aber auch, wenn wir Lärm manchmal sogar genießen: Er kann unser Wohlbefinden und die Gesundheit deutlich beeinträchtigen. In einer umfassenden Studie hat ein Forschungskonsortium untersucht, wie sich Verkehrslärm auf Lebensqualität, Gesundheit und kognitive Leistungen auswirkt. Das Öko-Institut hat diese Studie begleitet.

Die Auswirkungen von Lärm auf den Menschen sind oft nur schwer zu erfassen. Das zeigt ein Beispiel aus dem Forum Flughafen und Region (FFR), dessen Arbeit das Öko-Institut beratend und koordinierend unterstützt. Im Rahmen einer Fokusgruppen-Untersuchung wurde analysiert, wie die Anwohner des Frankfurter Flughafens auf Lärmpausen reagieren, also Zeiten, in denen es keine Überflüge über ihr Zuhause gibt. Obwohl eine überwältigende Mehrheit der Befragten angab, dass sie nicht wahrgenommen hätte, ob sich die Lärmsituation für sie eigentlich verändert habe, will eine fast ebenso große Mehrheit trotzdem, dass die Lärmpausen beibehalten werden. Eine Situation, die unter anderem zeigt, wie sehr neben dem physikalischen Einfluss von Schall auch die psychologischen und emotionalen Wirkungen betrachtet werden müssen.

DIE NORAH-STUDIE

Welche konkreten Auswirkungen Verkehrslärm auf Lebensqualität und Gesundheit hat, zeigt die Studie Noise-Related Annoyance, Cognition and Health (NORAH), die bisher europaweit größte Analyse zu diesem Thema. Sie wurde im Auftrag des Umwelt- und Nachbarschaftshauses (UNH) von einem Forschungskonsortium durchgeführt, an dem Experten aus Akustik, der Medizin, Psychologie sowie der Sozialwissenschaft beteiligt waren. Das Öko-Institut war dabei in der Vorbereitung und Begleitung tätig – unter anderem als Schnittstelle zwischen dem Konsortium, der externen Qualitätssicherung und dem UNH.

NORAH hat wissenschaftlich neue Standards gesetzt: durch die Befragung von rund 30.000 Menschen, die Berücksichtigung der Krankheitsgeschichten von etwa einer Million Menschen, aber auch die Ermittlung der Lärmbelastung an etwa 900.000 Adressen – das Rhein-Main-Gebiet wurde ebenso einbezogen wie die Regionen rund um die Flughäfen Stuttgart, Köln/Bonn und Berlin-Brandenburg.

In drei Modulen wurden die Effekte des Lärms aus dem Luft- sowie dem Schienen- und Straßenverkehr auf die Lebensqualität, die Gesundheit sowie die kognitive Entwicklung von Kindern analysiert. Umfangreiche Befragungen haben in Modul 1 einen Einblick in das Thema Lärmbelästigung und Lebensqualität gegeben. Modul 2, das sich mit der Gesundheit befasste, berücksichtigte Blutdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber auch Brustkrebs- und Depressionsrisiken. Hierfür wurden unter anderem in zwei Etappen über jeweils drei Wochen hinweg Blutdruckwerte bei Anwohnern des Frankfurter Flughafens erhoben. Für das dritte Modul – die Auswirkungen von dauerhaftem Fluglärm auf die Lebensqualität und kognitive Entwicklung von Schulkindern – nahm das Forschungskonsortium kognitive Leistungstests vor und befragte Kinder, Eltern sowie Lehrer.

Die umfassende Arbeit im Rahmen von NORAH hat gezeigt, dass der Luftverkehr bei vergleichbaren Pegeln stärker belästigt als Straßen- und Schienenverkehr. Die Belastung der Anwohner ist in einigen Gebieten rund um den Frankfurter Flughafen erheblich: 2012 waren hier über 340.000 Menschen Luftverkehrsgeräuschpegeln von 50 Dezibel oder mehr ausgesetzt. Die Studie zeigt, dass ein deutlicher Zusammenhang zwischen Verkehrslärm und Erkrankungsrisiken besteht. Lärm beeinflusst die Gesundheit auf verschiedenen Ebenen. Vor allem chronische Erkrankungen sind mit allen drei Verkehrslärmarten verbunden. Es besteht eine Relation zum Auftreten von Herzschwäche und Herzinfarkten, von Schlaganfällen und Depressionen, auch wenn diese nicht für jede Art von Lärm und jede Krankheit gleich stark ist. So haben etwa Schienen- und Straßenverkehrsgeräusche eine deutlichere Auswirkung auf Schlaganfälle, Herzinfarkte und Herzinsuffizienz als die Geräusche des Luftverkehrs. Beim Luftverkehr wiederum besteht der größte Zusammenhang mit Blick auf Depressionen: Steigt der Dauerschallpegel um 10 Dezibel, erhöht sich das Risiko, daran zu erkranken, um 8,9 Prozent. Der äquivalente Dauerschallpegel bezeichnet die durchschnittliche Lärmbelastung in einem definierten Zeitraum, bestimmt durch Häufigkeit, Dauer und Höhe des Schallpegels einzelner Schallereignisse. Darüber hinaus kann sich der Leselernprozess von Kindern durch eine dauerhafte Flugverkehrsbelastung der Schule verzögern. Im Rahmen von NORAH zeigte sich eine um etwa einen Monat verzögerte Leseentwicklung, wenn der Dauerschallpegel um 10 Dezibel steigt. Die befragten Lehrer aus stark belasteten Schulen betonten zudem, dass der Unterricht durch den Luftverkehrslärm erheblich beeinträchtigt wird. In Folge der Studie wurde daher an Schulen, die im Einzugsgebiet des Frankfurter Flughafens liegen, bereits der bauliche Schallschutz verstärkt.

NEUES DENKEN

NORAH hat sich auch dem so genannten Change Effekt gewidmet. Dieser Begriff aus der Lärmforschung beschreibt den Effekt, dass Menschen auf eine Veränderung stärker reagieren können als dies der Pegel nahelegen würde. Wer in der Nähe eines Flughafens mit Ausbauaktivitäten wohnt, fühlt sich unter Umständen heute von einem ähnlich hohen Dauerschallpegel deutlich stärker gestört als vor der Ausbaumaßnahme. Dies kann unter anderem auf den Change Effekt zurückgeführt werden. Die Studie stellt aber auch die Frage: Ist der Dauerschallpegel überhaupt das richtige Mittel, um Lärmbelästigung zu erfassen? Oder müsste auch der Maximalschallpegel berücksichtigt werden, die maximale Lautstärke eines einzelnen Geräuschs? Dieser könnte laut NORAH ebenso einen Einfluss auf Krankheitsrisiken haben und sollte daher in zukünftigen Lärmwirkungsstudien berücksichtigt werden.

Zudem wurde in der Lärmwirkungsforschung und in der Lärmschutzpolitik die Berücksichtigung psycho-sozialer Faktoren lange vernachlässigt. Wie zu Beginn erwähnt zeigt sich aber: Sie haben einen starken Einfluss auf das Lärmempfinden und damit auch auf physiologische Effekte, wir müssen die Wirkungszusammenhänge vermutlich neu denken. So lässt sich die Frage, ob sich Lärm negativ auf die Gesundheit auswirkt, nicht allein mit einem Blutdruckmessgerät beantworten. Wir müssen mit den Menschen reden und zusätzliche Einflussfaktoren betrachten. Wenn ein Mensch sich unwohl fühlt oder einen schwierigen Alltag hat, kann dies Einfluss auf seine physische und psychische Gesundheit haben. Das Gleiche gilt für den Fall, dass er sich über Lärm aufregt oder sich ihm schutzlos ausgeliefert fühlt. Es ist ein wichtiger Schritt nach vorne, dass dies inzwischen von vielen Entscheidern akzeptiert wird – auch mit Blick auf zukünftige Maßnahmen zum Schutz vor den Auswirkungen des Verkehrslärms.