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Entscheidungen von morgen

Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Suche nach einem Endlagerstandort

Christiane Weihe

Deutschland sucht nach einem Endlagerstandort. Mit dem Standortauswahlgesetz wurde 2013 ein mehrstufiger Prozess in Gang gesetzt, an dessen Beginn 2014 die Einrichtung der so genannten Endlagerkommission stand. Ab 2016 soll nach einem Ort gesucht werden, an dem der hochradioaktive Müll langfristig gelagert werden kann. Bis ein Endlager tatsächlich in Betrieb geht, wird es nach Einschätzung der Wissenschaftler des Öko-Instituts aber noch Jahrzehnte dauern. Der Verschluss des Endlagers kann sogar bis ins nächste Jahrhundert reichen. Das heißt auch: Betroffen werden auch jene sein, die heute noch zur Schule gehen – und ihre Nachkommen. Nur ein Grund, warum sich der Prozess zur Bereitstellung eines Endlagers für die breite Öffentlichkeit und insbesondere für junge Generationen öffnen muss.

Der deutsche Atomausstieg ist in wenigen Jahren vollzogen. Für schwach- und mittelradioaktive Abfälle wurde mit „Schacht Konrad“ ein Endlager bestimmt, für Abfälle aus der Urananreicherung oder aus dem gefährdeten Endlager Asse muss jedoch erst noch eine Lösung gefunden werden. Und auch für die Endlagerung der gefährlichsten Hinterlassenschaften des Atomzeitalters fehlt noch ein geeigneter Ort: „Bis zum Ausstieg werden nach Schätzungen etwa 28.100 Kubikmeter hochradioaktive, so genannte wärmeentwickelnde Abfälle vorliegen, die sicher gelagert werden müssen“, sagt Julia Neles, Wissenschaftlerin am Öko-Institut. Sie bestehen aus abgebrannten Brennelementen und radioaktiven Abfällen aus der Wiederaufarbeitung.

„Wir können uns vor der Standortentscheidung nicht wegducken, wir können sie aber gut informiert treffen, mehrere Optionen abwägen und die sicherste Lösung auswählen“, sagt die Expertin. Die Herausforderungen hierbei sind groß, denn von den Abfällen wird über extrem lange Zeit ein Strahlenrisiko für Mensch und Umwelt ausgehen. Der Zeitraum, für den eine sichere Lagerung nachgewiesen werden muss, wurde auf eine Million Jahre festgelegt – „ein Zeitraum, der zwar nicht technisch, aber geowissenschaftlich prognostizierbar ist“. Erforderlich seien tiefe und stabile geologische Formationen, so Neles. „Als Gesteinsarten kommen in Deutschland grundsätzlich Steinsalz, Tonstein und Kristallingesteine wie Granit in Frage. Ein Endlager muss sicher vor Angriffen oder Missbrauch sein und klimatische Veränderungen überstehen“, sagt sie Eine Zeitlang könne ein Endlager nach seinem Verschluss kontrolliert, könnten die Abfälle wieder geborgen werden, wenn es notwendig werden sollte. Es dürfe aber nicht auf unabsehbare Zeit von aktiven Schutzmaßnahmen abhängig sein, da dafür die Zeiträume einfach zu lang seien.

Die Endlagerkommission arbeitet seit Mai 2014 am ersten Schritt des Prozesses zur Standortsuche: Sie evaluiert das Standortauswahlgesetz und entwickelt Empfehlungen für Auswahlkriterien. Ein wichtiges Ziel hierbei ist ein transparenter und nachvollziehbarer Prozess für die Standortauswahl. Beteiligt sind 16 politische Vertreter ohne Stimmrecht sowie 16 Mitglieder mit Stimmrecht, darunter acht Wissenschaftler und je zwei Vertreter aus Umweltverbänden, Gewerkschaften, Kirchen und Wirtschaft. Im nächsten Schritt soll in drei Stufen der Endlagerstandort gefunden werden: Zunächst werden ungeeignete Gebiete ausgeschlossen, anschließend findet eine übertägige Erkundung ausgewählter Standorte statt, die Mindestanforderungen genügen. „Die dritte Stufe schließlich sieht die untertägige Erkundung der zuvor ausgewählten Standorte sowie ihren Vergleich und die Festlegung eines Standorts für das Endlager vor“, erklärt Julia Neles. Bis 2031 soll ein Standort gefunden werden, an dem die hochradioaktiven Abfälle und abgebrannten Brennelemente endgelagert werden, die derzeit in 16 Zwischenlagern in Gorleben, Ahaus, Greifswald und Jülich sowie an den Standorten der Kernkraftwerke untergebracht sind.

Die Expertin betont: Wichtig ist die Beteiligung der Öffentlichkeit bei dieser Entscheidung. Bei dem Standortauswahlprozess geht es um konkrete Regionen und um Bürger, die darin leben. Am Ende des Verfahrens wird eine Region unmittelbar mit einem Endlager konfrontiert sein, eine Kommune wird zur Standortgemeinde. „Es ist von zentraler Bedeutung, die Bürger schon im Standortauswahlverfahren vorzubereiten und einzubeziehen, also bevor sie tatsächlich mit einem Endlager konfrontiert sind“ sagt Neles, „dann können sie informiert reagieren, wenn es so weit kommt und an den Beteiligungsverfahren teilnehmen.“ Die Phase, in der ein Standort für das Endlager festgelegt wird, sei entscheidend für den Erfolg des gesamten Verfahrens.

Beteiligung und Information

Grundlage einer angemessenen Beteiligung ist eine fundierte Information. Die Wissenschaftler des Öko-Instituts verfügen über eine hohe Expertise zum Thema Endlager. „Eine Expertise, die wir teilen wollen“, sagt Julia Neles, „denn wir können der Öffentlichkeit eine politisch unabhängige Einschätzung der Herausforderungen, Prozesse und Entscheidungen bieten.“ Dies tun sie bereits: Die Wissenschaftler stehen als Referenten und Diskussionspartner für Veranstaltungen rund um die Endlagerproblematik zur Verfügung. „Wir haben schon einige Vorträge gehalten und freuen uns über jede Gelegenheit, Informationen zu vermitteln und Diskussionen mit unserer Expertise zu begleiten.“

Eine neue Generation

Einen besonderen Fokus legen die Experten auf die junge Generation (siehe zu diesem Thema auch „Gehört werden. Die Evangelische Akademie in Loccum“ auf Seite 2). „Die Jugendlichen sind die Entscheider von morgen. Sie sind jene, die von einem Endlager vielleicht unmittelbar betroffen sein werden“, sagt Julia Neles, „es ist daher von großer Bedeutung, dass sie schon heute umfassend informiert werden – auch über Beteiligungsmöglichkeiten.“ Das Öko-Institut hat daher gemeinsam mit dem Unabhängigen Institut für Umweltfragen (UfU) und unterstützt von der Stiftung Zukunftserbe Material für den Schulunterricht erstellt. Darin enthalten sind eine Handreichung für Lehrer, die etwa einen Verlaufsplan für den Unterricht und ein Glossar zum Thema Endlager umfasst, sowie ein Vortrag, mit dem die Lehrer die Thematik vorstellen können. „Zusätzlich haben wir als Vertiefungsmaterial umfangreiche Infokarten erstellt, die sich fünf verschiedenen Aspekten der Endlagersuche widmen – zum Beispiel dem Strahlenschutz und dem Atomrecht“, so die Wissenschaftlerin. Die Lehrmaterialien stellen das eigene Auseinandersetzen der jungen Generation mit einem atomaren Endlager in den Mittelpunkt. Denn Ziel ist es, sie frühzeitig an Beteiligungsprozesse heranzuführen – auch, wenn die Thematik kompliziert ist.

Nun ist es nach Ansicht des Öko-Instituts wichtig, weitere Angebote zu machen, Interesse für die Problematik zu wecken und auch die Wertschätzung für jene zurück zu gewinnen, die sich heute und in Zukunft der Lösung des Endlagerproblems widmen. „Gerade jungen Leuten muss man die Möglichkeit geben, sich mit dem Thema Endlagerung auseinanderzusetzen“, sagt

Dialog auf Augenhöhe

Neles, „es wäre wünschenswert, möglichst viele Jugendliche zu erreichen und fit zu machen für die Aufgaben, die auf sie warten.“

Die Experten des Öko-Instituts wünschen sich eine kritische Öffentlichkeit, die hinterfragt, eigene Expertise einbringt und die Einhaltung von Kriterien einfordert. Im Standortauswahlgesetz sind Maßnahmen zur Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen, so etwa Bürgerversammlungen oder Bürgerbüros in den Regionen, die als Standorte in Frage kommen. Die Fortentwicklung dieser Maßnahmen ist bereits angelegt – „ein lernendes System“. Dies ist nach Ansicht der Expertin ein zentrales Element für eine funktionierende Teilhabe. Auch, weil sich die erforderlichen Maßnahmen je nach Region unterscheiden können. „Hier wird man viel den Verantwortlichen vor Ort überlassen müssen, wie sie verfahren wollen“, sagt Neles, „sie müssen für diese Arbeit personell und finanziell angemessen ausgestattet werden.“ Dass die Endlagersuche ein Projekt ist, das noch viele Generationen beschäftigen wird, muss zudem auch in der Öffentlichkeitsbeteiligung berücksichtigt werden. „Es kann natürlich passieren, dass künftige Generationen unsere Entscheidungen nicht verstehen oder vielleicht neues Wissen zum Thema Endlager gewonnen haben – das müssen wir heute schon mitdenken, bei den Beteiligungsprozessen ebenso wie bei der Endlagersuche selbst.“

Eine besondere Herausforderung sei zudem die Berücksichtigung der Teilhabe außerhalb organisierter Strukturen, etwa in Form von öffentlichem Protest. „Konflikte dieser Art müssen schon heute im Prozess der Beteiligung berücksichtigt werden“, so Neles, „wie das in der Praxis umgesetzt wird, ist eine zentrale Herausforderung.“ Die Beteiligung der Öffentlichkeit an Verfahren wie der Endlagersuche ist oft repräsentativ geprägt, etwa über Vertreter von Politik oder Verbänden. „Das ist auch ein Teil unserer repräsentativen Demokratie“, sagt die Wissenschaftlerin vom Öko-Institut, „doch das macht es mitunter schwer, jene Öffentlichkeit einzubinden, die nicht organisiert ist.“ Eine Aussage, die insbesondere für junge Generationen gilt. Christiane Weihe