Was braucht es für die konsequente Umsetzung der Energiewende?
Christiane Weihe
Für die kommenden Jahre und Jahrzehnte hat Deutschland klare Ziele: Bis 2020 sollen die Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um 40 Prozent gemindert werden, für die folgenden Etappen sind 55 Prozent (2030), 70 Prozent (2040) sowie 80 bis 95 Prozent (2050) festgeschrieben. 35 Jahre bleiben für die Realisierung der Energiewende. Für ihr Gelingen braucht es die Umsetzung beschlossener Maßnahmen und die Etablierung neuer Instrumente ebenso wie eine kontinuierliche Überprüfung des bisher Erreichten.
Wie sich die Treibhausgasemissionen in einem Zeitraum von etwa zwanzig Jahren entwickeln, prüft die Bundesregierung alle zwei Jahre im so genannten Projektionsbericht – alle EU-Mitgliedsstaaten sind dazu verpflichtet. Erarbeitet wird er von einem Forschungskonsortium, zu dem auch das Öko-Institut gehört. „Der Projektionsbericht 2015 zeigt die Entwicklung der Treibhausgasemissionen bis 2035“, sagt Julia Repenning, Wissenschaftlerin am Öko-Institut, „berücksichtigt wurden dabei alle Maßnahmen, die bis Ende August 2014 eingeführt waren.“ Schon für den Zeitraum bis 2020 zeigt sich: ohne zusätzliche Anstrengungen geht es nicht. Denn der Projektionsbericht erwartet eine Minderung der Emissionen um nur 32,7 Prozent bis 2020 – und damit ein klares Verfehlen des Klimaziels von 40 Prozent. Bis 2030 errechneten die Experten eine Reduzierung um etwa 43 Prozent (statt 55), bis 2035 um etwa 48 Prozent. „Diese Werte sind von unterschiedlichen Faktoren abhängig, daher wurden Sensitivitätsanalysen durchgeführt“, erklärt die stellvertretende Leiterin des Bereichs Energie & Klimaschutz in Berlin, „sind Brennstoffpreise und Bevölkerungswachstum höher, wird von einer Minderung um 31,9 Prozent ausgegangen, bei niedrigerem Stromexportsaldo und Wirtschaftswachstum könnte die Reduzierung bei 35 Prozent liegen.“
Im Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz sowie im Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 hat die Bundesregierung Ende 2014 Maßnahmen beschlossen, die weitere Minderungen bringen sollen. Sie sind im Projektionsbericht noch nicht berücksichtigt. „Mit unterschiedlichen Instrumenten etwa für energieeffiziente Nutzfahrzeuge oder zur Minderungen der Methanemissionen aus Abfalldeponien soll die bis 2020 bestehende Klimaschutzlücke von 62,5 bis 100 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten geschlossen werden“, so Repenning. Das Öko-Institut hat für die im Aktionsprogramm vorgesehenen Maßnahmen errechnet, welche Einsparungen erreicht werden können. So etwa für das KfW-Programm „Energetische Stadtsanierung“, das fortentwickelt und aufgestockt werden soll. „Die Berechnungen zeigen, dass bis 2020 dadurch 1,2 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden können, wenn das Programm ab 2016 auf 100 Millionen Euro pro Jahr erhöht wird“, sagt die Expertin. Eine andere Maßnahme: die Weiterentwicklung der Lkw-Maut. Wird sie auf Lkw ab 7,5 Tonnen sowie auf Bundesfernstraßen ausgeweitet, ergibt sich laut den Berechnungen ein Minderungspotenzial von einer halben Million Tonnen CO2. Nur zwei Beispiele für viele Maßnahmen. Sei es die Aufstockung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms, die Stärkung des Schienengüterverkehrs oder der Ressourceneffizienz – die Experten des Öko-Instituts haben umfassende Berechnungen angestellt, auf welchem Weg die 2020er-Klimaziele in den unterschiedlichen Sektoren erreicht werden können.
Ziel 2050
2020 ist aber nur eine Etappe – der Blick richtet sich vor allem auf das Zieldatum der Energiewende: 2050. Welche Potenziale bis dahin bestehen, untersucht die zweite Modellierungsrunde für das Klimaschutzszenario 2050. In diesem Projekt analysiert das Öko-Institut mit dem Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung für das Bundesumweltministerium, welche Emissionsminderung vor dem Hintergrund der aktuellen Energie- und Klimapolitik erreicht werden kann und welche Maßnahmen und Strategien notwendig sind, um die gesteckten Ziele zu erreichen. „Hierfür entwickeln wir bis Herbst 2015 in der zweiten von insgesamt drei Modellierungsrunden zwei unterschiedlich ambitionierte Szenarien“, erklärt Repenning, „im anspruchvollsten soll eine Minderung der Treibhausgasemissionen um 95 Prozent erreicht werden.“ Schon die erste Modellierungsrunde 2014 hat gezeigt: Für eine Emissionsminderung um 80 Prozent bis 2050 ist der im Energiekonzept der Bundesregierung vorgegebene Zielpfad für die Jahre 2020 bis 2040 ausreichend. Sollen bis 2050 jedoch 95 Prozent Reduktion erreicht werden, braucht es ambitioniertere Zwischenziele. „Die Zwischenziele für die Treibhausgasminderung müssten bei 45 bis 50 Prozent für 2020 und bei 85 Prozent für 2040 liegen, um nicht überproportional viele Emissionsminderungen in der letzten Dekade erzielen zu müssen“, sagt die Expertin.
Die ersten Modellierungen der Klimaschutzszenarien zeigen, dass in den kommenden Jahren möglichst schnell große Treibhausgasminderungen erfolgen müssen. „Das kann man mit der Formel: Energieeffizienz zuerst, Stromerzeugung ohne Kohle und mehr Effizienz im Verkehr erreichen“, sagt Repenning. So ist erstens der effiziente Energieeinsatz in allen Wirtschaftsbereichen von zentraler Bedeutung für den Klimaschutz. Das heißt beispielsweise für Gewerbe und Handel, dass hocheffiziente LED-Beleuchtungen und Licht- sowie bewegungsabhängige Steuerungen zum Einsatz kommen. Oder dass im Gebäudebereich der Energieeinsatz bis 2050 um 80 Prozent sinken muss. Der verbleibende Gebäudeenergiebedarf soll künftig durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Zweitens, so die Expertin, muss die Stromerzeugung vollständig CO2-frei erfolgen. Dafür müssen die Anlagen zur Erzeugung von regenerativem Strom – insbesondere Wind- und Solar-Kapazitäten – fortlaufend ausgebaut werden. „Auf diese Weise kann der erneuerbare Anteil der Stromerzeugung bis 2050 auf über 90 Prozent steigen“, schlussfolgert Repenning. Drittens müsse der Verkehr seine Emissionen in den kommenden zehn bis 15 Jahren deutlich mindern. Dies wird unter anderem möglich, wenn mehr Gütertransporte auf die Schiene verlagert werden und mehr Menschen das Auto zugunsten eines ausgebauten öffentlichen Nahverkehrs aufgeben. Zusätzlich brauche es ein Bündel verschiedener Maßnahmen, um die Effizienz der Fahrzeuge weiter zu verbessern.
Sollen die Treibhausgasemissionen bis 2050 um 95 Prozent reduziert werden, sind in jedem Sektor deutliche Minderungen erforderlich. „Die so genannten Nichtenergiesektoren können die Emissionen aber nur bedingt mindern – das betrifft vor allem die Landwirtschaft“, erklärt Julia Repenning, „daher müssen alle anderen Sektoren überproportional viele Minderungen erbringen.“ Die Landwirtschaft ist laut Repenning ein Sektor, den man besonders im Auge behalten muss. „Das hier entstehende Stickoxid N2O wird bis 2050 CO2 als dominierendes Treibhausgas ablösen, die Landwirtschaft wird zu dessen Hauptverursacher“, erklärt sie. Die notwendige Minderung der Emissionen könne nur durch eine Ernährungswende erreicht werden – „also eine drastische Reduktion des Konsums von tierischen Produkten, vor allem von Fleisch“.
Wenn es um das Potenzial zur Emissionsminderung geht, hebt Julia Repenning die Bedeutung eines umfassenden Blicks hervor. „Bisher konzentrieren sich die Anstrengungen zum Klimaschutz vor allem auf den Energiebereich“, sagt sie. „um ambitionierte Klimaschutzziele zu erreichen, müssen aber auch substanzielle Emissionsminderungen in anderen Sektoren erfolgen. Kein Sektor darf sich hinter den anderen verstecken. Auch hierüber müssen wir diskutieren.“ Für die Wissenschaftlerin sind Klimaschutzmaßnahmen in jedem Sektor entsprechend der jeweiligen Möglichkeiten wichtige Schritte auf dem Weg zu 95 Prozent – und damit zu einer wirklich nachhaltigen Gesellschaft bis 2050. Christiane Weihe