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Im Fokus

Halbzeit unentschieden?

Ein Gastbeitrag von Dieter Seifried

Dieter Seifried

Den Beginn der Energiewende durfte ich am Öko-Institut mitgestalten. Zusammen mit drei Kollegen habe ich bis 1985 die Handlungsstrategie „Rekommunalisierung der Energieversorgung“ entworfen. Mit den Analysen und Handlungsempfehlungen sollten Hemmnisse aus dem Weg geräumt werden, die eine Umsetzung des Energiewendeszenarios von 1980 bislang verhinderten. Der Schwerpunkt der Studie zielte darauf ab, die bestehenden ökonomischen Fehlanreize wie die Tarifstrukturen und die gesetzlichen Rahmenbedingungen zugunsten der Stromoligopole wie das Konzessionsabgabewesen abzuschaffen sowie die undemokratischen Entscheidungsstrukturen durch bürgernahe, kommunale zu ersetzen. Mit den Erkenntnissen der Klimaforschung Mitte der 1980er Jahre sowie der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl bekam unser Konzept erheblichen Rückenwind.

Zunächst griffen nur wenige Stadtwerke unsere Vorschläge auf. Mit einigen Stadtwerken kam es jedoch zu interessanten Kooperationen und zur Entwicklung von neuen Energiedienstleistungen. So konnten wir für die Stadtwerke Hannover ein Least-Cost-Planning-Paket entwickeln. Dabei konnten wir nachweisen, dass sich die Energieeffizienzmaßnahmen für die Stadtwerke und für die Kunden lohnen.

Die Erkenntnisse, die wir aus den Konzepten gewannen, versuchten wir auch vor Ort in Freiburg umzusetzen. So schlug das Öko-Institut als Mitglied des „Freiburger Aktionsbündnis Klimaschutz“ dem Freiburger Energieversorgungsunternehmen (FEW) eine Stromsparaktion vor, bei dem die FEW Energiesparlampen kostenlos an die Kunden abgeben sollte. Den volkswirtschaftlichen Vorteil aus dem Ersatz der Glühlampen hatten wir mit drei Millionen DM kalkuliert. Diesen Gewinn sollten Stadtwerke und Kunden teilen. Nach anfänglicher Skepsis der FEW, die durch öffentliche Veranstaltungen und Gespräche mit Gemeinderäten überwunden werden konnte, wurde das Projekt Realität. Unter dem Label „Meister Lampe kommt“ wurde es zu einem vollen Erfolg und der damalige Oberbürgermeister Rolf Böhme konstatierte, dass „die FEW mit diesem Projekt endgültig den Schritt vom konventionellen Versorgungsunternehmen zum Dienstleistungsunternehmen moderner Prägung getan“ hat.

Stürmisch ging es in den Monaten nach Tschernobyl zu. Hunderte von hilfesuchenden Anrufern und Menschen, die etwas bewegen wollten, überrannten das Institut, das schließlich zur Gründung von unabhängigen Energiewende-Komitees aufrief. Einige Monate nach der Reaktorkatastrophe wurden rund 400 örtliche Gruppen von der Koordinationsstelle im Öko-Institut betreut. Sie sorgten in ihren jeweiligen Gemeinden für frischen Wind in der Energiepolitik. Diese Bürgerbewegung war aus meiner Sicht eine entscheidende Kraft zu Beginn der Energiewende.

Mit der Liberalisierung der Energiewirtschaft 1998 waren Least-Cost-Planning-Konzepte Schnee von gestern. Neue Konzepte waren gefragt und so verlagerte sich die Diskussion auf Themen wie Emissionshandel und grüner Strom und Performance Contracting. Am spannendsten wurde die Arbeit am Institut stets mit der Umsetzung eines realen Projektes und so starteten drei Mitarbeiter das ECO-Watt Projekt an der Staudinger Gesamtschule. Mit dem Performance-Contracting-Projekt – finanziert über Bürgerbeteiligung – wollten wir zeigen, dass sich Energiesparen und Investitionen in Energieeffizienz und erneuerbare Energiequellen bezahlt machen. Die frühe Form des heutigen Crowdfunding erwies sich als machbar und bevor wir einen Contracting-Vertrag mit der Stadt Freiburg unterzeichnen konnten, war der Fonds für die Investitionen von Lehrern und sonstigen Privatpersonen bereits gezeichnet. Auch in diesem Fall gab es erhebliche Widerstände, diesmal von Seiten der Stadtverwaltung, die wir nur mit dem guten Ruf des Öko-Instituts sowie in Kooperation mit Umweltschutzgruppen und der Presse überwinden konnten. Der Erfolg gab den Initiatoren Recht und trug zur Verbreitung des Konzeptes Performance-Contracting bei.

Die Notwendigkeit von Klimaschutzmaßnahmen ist heute eine Selbstverständlichkeit, die (auf der allgemeinen Ebene) keinen Widerspruch findet. Streit gibt es lediglich über die Strategien und Instrumente zur Zielerreichung. Ob wir nun zur Halbzeit vorne liegen oder einem Rückstand nachlaufen, ist schwer einzuschätzen. Eines ist jedoch in den vergangenen Monaten deutlich geworden: Der Gegenwind nimmt zu. Das zeigen die Novellierung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG 2.0) sowie die von Teilen der Regierung und der Wirtschaft parallel geführte Medien- und Politikkampagne, die den Bremsvorgang bei der Energiewende rechtfertigen sollte. Mit zunehmendem Erfolg der Erneuerbaren kommen die Geschäftsfelder der „Big 4“ unter vermehrten Druck, den diese an die Politik weitergeben.

Es bleibt spannend. Die Entscheidung fällt in der zweiten Halbzeit!