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Green Economy

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Christiane Weihe

Im September 2015 haben die Staats- und Regierungschefs in New York die Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals) der Vereinten Nationen verabschiedet. Deren Entwicklung wurde auf dem Rio+20-Gipfel vor drei Jahren vereinbart. Ebenfalls wurde damals ein Beschluss zum Leitbild einer Grünen Wirtschaft (Green Economy) gefasst. Anlass zu fragen, was es damit auf sich hatte und wo die Debatte heute steht: Was ist die Green Economy? Und was ist der Mehrwert des Konzeptes?

Eine Green Economy, so beschlossen die Staaten 2012 in Rio de Janeiro zwanzig Jahre nach der ersten UN-Nachhaltigkeitskonferenz dort, soll zur Armutsbeseitigung, zu dauerhaftem Wachstum, sozialem Zusammenhalt und Beschäftigung beitragen und dabei zugleich das gesunde Funktionieren der Ökosysteme gewährleisten. Eine konkrete Definition oder Ziele wurden allerdings nicht festgelegt. Und daher verwundert es nicht, dass heute eine Vielzahl unterschiedlicher Konzepte und politischer Ansätze existiert, auf nationaler und internationaler Ebene. Umstritten ist, was das Leitbild der Green Economy will, kann und soll – und nicht zuletzt, ob es im Vergleich zu anderen Ansätzen einen Mehrwert zu bieten hat.

„Inhaltlich bringt das Konzept der Green Economy nicht viel Neues“, sagt Franziska Wolff vom Öko-Institut. Alter Wein in neuen Schläuchen also. Und damit ein Konzept, das wir getrost ins Archiv stellen können, da es ja schon die Ideen des Nachhaltigen Wirtschaftens und der Nachhaltigen Entwicklung gibt? Nicht ganz. „Strategisch hat der Green Economy-Beschluss eine wichtige Funktion gehabt: Er bringt neuen Schwung in eine Debatte, die wir führen müssen“, so die Leiterin des Bereichs Umweltrecht & Governance, „eine Debatte über die Wege zu einer ökologisch und sozial nachhaltigen Wirtschaftsweise und dem dafür nötigen tiefgreifenden Wandel unserer Gesellschaft.“ Denn ohne Frage muss angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung und des zunehmenden Konsums, angesichts von Klimawandel, Ressourcenknappheit und der kontinuierlichen Zerstörung wertvoller Ökosysteme ein Umbau der weltweiten Ökonomie erfolgen.

ÖKOLOGISCH UND SOZIAL

Was nun ist Green Economy konkret? Eine vielzitierte Definition ist die des UN-Umweltprogrammes (UNEP), das eine treibende Kraft hinter dem Rio+20- Beschluss war: Sie konzipiert Green Economy als eine Ökonomie, die „zu einem verbesserten menschlichen Wohlergehen und sozialer Gerechtigkeit führt – bei deutlicher Reduzierung von Umweltrisiken und ökologischen Knappheiten“. In den Industriestaaten werden die Schwerpunkte oft anders gesetzt. Für das Bundesforschungsministerium ist eine Green Economy „eine international wettbewerbsfähige, umwelt- und sozialverträgliche Wirtschaft“. Bei diesem Verständnis besteht die Gefahr, dass Umweltziele durch den Bezug zur Wettbewerbsfähigkeit relativiert werden.

Manche Konzepte wiederum fokussieren stark auf den Umweltschutz – so auch der Ansatz des deutschen Umweltministeriums. „Das ist aus Umweltperspektive natürlich sehr begrüßenswert“, sagt die Wissenschaftlerin vom Öko-Institut, „zumal dabei nicht allein der Klimaschutz, sondern ein sehr breites Spektrum an Umweltthemen behandelt wird, mit ökologisch durchaus anspruchsvollen Zielen – wie etwa einer Energieversorgung aus 100 Prozent erneuerbaren Energien oder einer absoluten Senkung des Einsatzes nicht-erneuerbarer Ressourcen.“ Diese Ziele würden nicht durch ökonomische Ziele wie Wirtschaftswachstum oder Wettbewerbsfähigkeit verwässert. „Gleichzeitig stellt sich aber die Frage, was das Konzept Green Economy dann noch von anspruchsvollem Umweltschutz unterscheidet“, so Wolff. Dass Verteilungsfragen sowie auch die entwicklungspolitische Dimension ausgeklammert werden, mache diese Auslegung von Green Economy zudem sehr unbeliebt bei Ländern des globalen Südens.

Viele politische Akteure haben nach Einschätzung des Öko-Instituts auch ein zu weiches Verständnis des grünen Wirtschaftens: „Sie setzen auf technologischen Fortschritt in einem wachstumsfixierten System, das nicht weiter hinterfragt wird“, sagt die Expertin, „wir müssen uns aber selbst Grenzen setzen – und diese auch einhalten.“ Effizienz allein reiche nicht. Notwendig sei auch Suffizienz, also: die Änderung von Konsummustern. „Wir müssen unsere Konsumkultur und auch das bisherige Wachstumsparadigma hinterfragen“, macht Franziska Wolff klar. Der Übergang zu einer grünen Wirtschaft brauche damit eine tiefgreifende gesellschaftliche Transformation, einen Wandel in vielen Bereichen. „Es geht nicht nur um Verbesserungen von Technologien, Produkten oder Dienstleistungen“, so die Wissenschaftlerin, „sondern auch um einen Wandel im Funktionieren der Märkte, im Finanzsystem, in Konsumstrukturen und der Wissensproduktion. Wir müssen uns mit der sozialen Sicherung ebenso befassen wie mit Verteilungsfragen und letztlich auch gesellschaftliche Diskurse, Leitbilder, individuelles Verhalten und Lebensstile mitdenken.“

Für die Umweltpolitik sei der Diskurs über Green Economy dennoch eine Chance. „Es handelt sich um ein durchaus attraktives und mehrheitsfähiges Label“, sagt Franziska Wolff, „unter ihm können Wirtschaft und Umwelt zusammen und nicht als Widerspruch gedacht werden. Mit entsprechenden Inhalten gefüllt, ermöglicht und legitimiert es eine anspruchsvolle Nachhaltigkeitspolitik.“

HEMMNISSE UND INSTRUMENTE

Doch nach wie vor bestehen viele Hemmnisse bei der Umsetzung einer Green Economy. Welche das sind und mit welchen Instrumenten sie sich überwinden lassen, untersucht das Öko-Institut noch bis 2017 gemeinsam mit dem Projektträger Jülich (PtJ) im Auftrag des Umweltbundesamtes im Projekt „Übergang in eine Green Economy: Notwendige strukturelle Veränderungen und Erfolgsbedingungen für deren tragfähige Umsetzung in Deutschland“. In einer ersten Projektphase hat der PtJ eine umfassende Bestandsaufnahme durchgeführt, etwa zur Begriffsdebatte rund um Green Economy und zu internationalen Best-Practice-Beispielen. Nun wird eine Analyse der bestehenden Hemmnisse durchgeführt. Darunter fällt zum Beispiel der Rebound-Effekt: Werden Produkte wie beispielsweise Autos effizienter, werden sie in ihren Betriebskosten oft auch billiger – und in Folge häufiger genutzt. Das mindert den ökologischen Einspareffekt, überkompensiert ihn sogar manchmal. Ein weiteres Hemmnis: „Wenn die Transformation zur Green Economy die bestehende marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung unangetastet lässt, werden auch deren strukturelle Probleme reproduziert“, so Martin Gsell vom Öko-Institut. So konkurrierten beispielsweise zukünftige nachhaltige Infrastrukturen mit den bestehenden an globalen Kapitalmärkten um Investitionen. Diese wiederum seien an der erzielbaren Rendite orientiert, nicht an (umwelt-)politischen Zielsetzungen. „Durch die Gewinnorientierung setzt auch eine Green Economy weiterhin Anreize, betriebswirtschaftliche Lasten dauerhaft auf die Allgemeinheit zu überwälzen. So müssen sich gesellschaftliche und politische Zielsetzungen der Green Economy den Marktresultaten unterordnen“, ergänzt der Experte.

Das dritte Arbeitspaket des Projektes befasst sich mit möglichen Politikinstrumenten für eine Förderung der grünen Wirtschaft. „Wir nehmen das Green Economy-Verständnis des Bundesumweltministeriums und die damit verbundenen Teilziele als Grundlage und sammeln jeweils vielversprechende Ideen für die Reform bestehender oder die Einführung neuer Instrumente,“ erklärt Dirk Arne Heyen vom Projektteam des Öko-Instituts. Es sei zentral, zunächst einmal jene Politiken und Praktiken zu stoppen, die den Wandel in Richtung Nachhaltigkeit behindern – wie umweltschädliche Subventionen oder öffentliche Investitionen in fossile Industrien. Mögliche neue, teils noch näher zu prüfende Instrumente reichen von einer absoluten Begrenzung des Flächenverbrauchs über eine Besteuerung von Primärrohstoffen bis hin zu einer Ausweitung von Ökodesign-Anforderungen auf weitere Produktgruppen und zusätzliche Kriterien wie Ressourcenschonung. Sie könnten auch Steuererleichterungen für grüne Forschung und Entwicklung umfassen oder die Verpflichtung von großen institutionellen Investoren und Ratingagenturen, Nachhaltigkeitskriterien zu berücksichtigen.

Zum Abschluss des Projektes für das Umweltbundesamt werden die Wissenschaftler zudem einen detaillierten Blick auf grüne Dienstleistungen werfen. Analysiert werden drei Bereiche: Neue grüne Dienstleistungen wie etwa die Kompensation von CO2-Emissionen. Jene, in denen grüne die bisherigen Dienstleistungen ersetzen wie etwa beim Carsharing. Und jene, wo es eine Konkurrenz gibt – so zum Beispiel bei der Energieversorgung. „Bei der Analyse werden wir mögliche Umweltbe- und -entlastungen sowie Reboundeffekte ebenso betrachten wie die Auswirkungen auf Beschäftigung, Marktentwicklung und Wertschöpfung“, sagt Martin Gsell.

WAS IST NOTWENDIG?

Mit dem Projekt für das Umweltbundesamt werden die Wissenschaftler zeigen, welche Strategien und Instrumente auf dem Weg zu einer Green Economy sinnvoll sind. „Ambitionierte, quantitative Ziele verbunden mit Fristen würden den politischen und praktischen Wert des Green Economy-Konzeptes enorm steigern“, sagt Franziska Wolff. Zudem kann der Abbau teurer umweltschädlicher Subventionen Ressourcen für die soziale Flankierung des Strukturwandels freisetzen. So kann Widerständen gegen eine Green Economy begegnet werden, die bei ihrer konkreten Umsetzung entstehen könnten. „Und wenn der Umbau zur Green Economy eben nicht nur als technologische Optimierung verstanden wird, sondern als tiefgreifender Transformationsprozess in Richtung Nachhaltigkeit, dann ist Green Economy auch sehr viel mehr als alter Wein in neuen Schläuchen“, betont die Bereichsleiterin vom Öko-Institut. Christiane Weihe