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Im Fokus

Neues Wissen

Transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung

Christiane Weihe

Extremwetterereignisse häufen sich. Das Ende der fossilen Rohstoffe wird berechnet. Unsere Gesellschaft wird immer älter. Klimawandel, Ressourcenverknappung und demografischer Wandel sind zentrale Herausforderungen unserer Zeit. Und sie haben noch etwas gemeinsam: Sie betreffen uns alle. Die Wissenschaft ebenso wie die Politik ebenso wie die Wirtschaft ebenso wie die Zivilgesellschaft. Daher ist eine Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure für eine gemeinsame Bewältigung globaler Herausforderungen unverzichtbar. Eine Zusammenarbeit, die wesentlich für die Transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung ist. Und die in zahlreichen Projekten am Öko-Institut praktiziert wird.

Wo haben die globalen Probleme ihren Ursprung? Welche Wege sind geeignet, ihnen zu begegnen? Und wie kann unsere Gesellschaft den notwendigen Wandel vollziehen? Diese Fragen zu beantworten, ist zentrales Element der Transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung. „Diese Fragen kann die Wissenschaft nicht alleine beantworten, aufgrund ihrer Komplexität ist neues Wissen und hierfür die Expertise unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure notwendig“, erklärt Dr. Bettina Brohmann, Forschungskoordinatorin für Transdisziplinäre Nachhaltigkeitswissenschaften am Öko-Institut, „wenn wir zum Beispiel wollen, dass ein Konsument nachhaltigere Produkte kauft, dann sollten wir ihn erst mal fragen, was er von einem alternativen Produkt erwartet. Gleichzeitig muss ich mich über dieses Wissen zum Beispiel mit der Politik austauschen, damit geeignete Rahmenbedingungen zur Unterstützung gefunden werden können.“ Auch innerhalb des Wissenschaftsbetriebs beschränkt sich die Transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung nicht auf einzelne Akteure. „Transdisziplinär heißt immer auch: interdisziplinär“, erläutert die Wissenschaftlerin, „wenn ich mich der Frage widme, wie man den Hunger in der Welt bekämpfen kann, brauche ich die Expertise von Agrar- und Sozialwissenschaftlern ebenso wie die von Politik- oder Wirtschaftswissenschaftlern.“ Im Rahmen der Transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung ist die Wissenschaft darüber hinaus nicht mehr allein Wissensproduzentin. „Die Forschung erhält hier eine neue Rolle, indem sie Veränderungsprozesse anstößt und begleitet, indem sie Wissen generiert, das von unterschiedlichen Akteuren angewendet werden kann“, so Brohmann, „schon bei der Formulierung der Forschungsfrage wird der Blick aus der Praxis integriert.“

Neue Städte

Die Transdisziplinarität ist dem Öko-Institut sozusagen in die Wiege gelegt. „Wir haben von Anfang an transdisziplinär gearbeitet“, erklärt die Forschungskoordinatorin. Auch sie selbst hat schon zahlreiche transdisziplinär angelegte Forschungsvorhaben begleitet – so etwa zur Jahrtausendwende das Projekt „Nachhaltige Stadtteile auf innerstädtischen Konversionsflächen: Stoffstromanalyse als Bewertungsinstrument“, das gemeinsam mit zwei Verbund- sowie zwei Praxispartnern durchgeführt wurde. Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projektes wurden zwei Stadtteile unter die Lupe genommen, die nachhaltig entwickelt werden sollten: die Vorstadt Nord im brandenburgischen Neuruppin sowie das Vauban-Viertel in Freiburg. In Neuruppin sollte ein Areal im Sinne von Reurbanisierung und Renaturierung als Stadtteil entwickelt werden, der in die Landschaft übergeht. In Freiburg sollte ein ehemaliges Kasernenareal in einen modellhaften nachhaltigen Stadtteil umgewandelt werden. „Ziel war es, die ökologischen und ökonomischen Auswirkungen dieser Projekte zu bewerten, die sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit zu überprüfen sowie das Zusammenwirken der unterschiedlichen Akteure zu untersuchen“, erklärt Bettina Brohmann, „darüber hinaus sollten aus den Ergebnissen konkrete Handlungsempfehlungen für die beiden Projekte entwickelt werden.“

Zunächst wurden Gespräche mit Bewohnern, Planern und Investoren geführt. Hierbei sollten die Ziele der Akteure – so etwa eine optimierte Ressourcennutzung oder auch eine bessere Bürgerbeteiligung – sowie die entsprechenden Indikatoren der Zielerreichung ermittelt werden. Zudem wurden vor Ort ökologische, ökonomische und soziale Daten gesammelt und die ökologischen sowie sozio-ökonomischen Wirkungen mit einer Stoffstromanalyse bewertet. „Dabei wurden etwa CO2-Emissionen, aber auch Auswirkungen auf die regionale Wirtschaft sowie die Einbeziehung der (künftigen) Bewohner in Planungen und Entscheidungsprozesse analysiert“, erklärt die Wissenschaftlerin vom Öko-Institut. Schließlich wurden die Ergebnisse der Analyse mit den Zielen der Akteure vor Ort abgeglichen, ein Maßnahmenkatalog zur nachhaltigen Stadtteilentwicklung zusammengestellt und die Ergebnisse in den Stadtteilen diskutiert. „Ein wesentliches Ergebnis unserer Analyse ist, dass städtische Quartiere, bei deren Planung die Bewohner beteiligt und die nach ökologischen Kriterien sowie unter Nutzung regionaler Ressourcen umgesetzt werden, substanzielle Beiträge zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten“, sagt Bettina Brohmann.

Intelligente Netze

Über ein weiteres transdisziplinär ausgerichtetes Forschungsprojekt berichtet Dr. Dierk Bauknecht aus dem Institutsbereich Energie & Klimaschutz: die Smart Grids-Plattform Baden-Württemberg. „Dieses 2013 abgeschlossene Projekt widmete sich der Entwicklung konkreter Lösungen für die Vernetzung von Stromerzeugung, -speichern und -verbrauch durch intelligente Netze, die so genannten Smart Grids“, erklärt Bauknecht. Der notwendige Umbau des Energiesystems auf Basis erneuerbarer Energien braucht mehr Flexibilität – Smart Grids können hierbei helfen. Baden-Württemberg wird den Atomausstieg heftiger spüren als viele andere Bundesländer und hat sich auch deshalb das Ziel gesetzt, zum Pionier der Entwicklung von Smart Grids zu werden. Smart Grids können einen wichtigen Beitrag zum Ziel der Landesregierung leisten, bis 2020 insgesamt 80 Prozent des Energiebedarfs aus erneuerbaren Energien zu decken.

Das vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg initiierte Projekt brachte 144 relevante Akteure zusammen. „Stadtwerke und Energieerzeuger waren ebenso beteiligt wie Netzbetreiber oder auch Hersteller von Geräten“, so der Wissenschaftler, „darüber hinaus haben Experten aus Bau, Information und Kommunikation, Vertrieb und Handel sowie aus Wissenschaft, Beratung, Politik und Behörden teilgenommen.“ All diese Akteure haben im Rahmen einer Workshop-Serie eine Roadmap erarbeitet, die institutionelle Maßnahmen sowie konkrete Projekte empfiehlt. Anders als eine wissenschaftliche Studie spiegelt die Roadmap die verschiedenen Interessen und Perspektiven sowie das Wissen der verschiedenen Akteure wider. Und das Ergebnis besteht nicht nur in der gedruckten Roadmap, sondern auch in dem Verständigungsprozess zwischen den Beteiligten, der erreicht worden ist. „Es gab vier Projektgruppen“, sagt Bauknecht, „das Öko-Institut hat die Themen Regulierung und Beitrag der Smart Grids zur Energiewende betreut, unsere Projektpartner von der Stuttgarter Fichtner GmbH die Themen Technologie und Geschäftsmodelle.“ Eine zentrale institutionelle Empfehlung der Akteure: Smart Grids sollen als interdisziplinäres Thema in Forschung und Lehre integriert werden – so könnten etwa bestehende Studiengänge erweitert oder Forschungsgemeinschaften gebildet werden. Mit Blick auf die konkrete Umsetzung schlagen die Teilnehmer unter anderem vor, ein Pilotprojekt zu initiieren, in dem die Entwicklung von Smart Grids weiter gemeinsam vorangetrieben werden kann. „Die entwickelte Roadmap ist die Grundlage eines langfristig angelegten Prozesses“, erklärt der Wissenschaftler vom Öko-Institut. Inzwischen wurde aus der Plattform heraus ein Verein gegründet, in dem die verschiedenen Akteure weiter an der Umsetzung der Empfehlungen arbeiten.

Wichtige Standards

Nachhaltige Städte und intelligente Netze – zwei Projekte, die sich mit zentralen Zukunftsthemen befassen. Beide Projekte zeigen, wie sinnvoll es sein kann, gezielt die Expertise von Akteuren aus unterschiedlichen Bereichen zu integrieren. Dr. Bettina Brohmann betont, wie wichtig es ist, dabei zentrale Forschungsstandards einzuhalten. „Bei der Einbindung von Stakeholdern wird zum Beispiel oft der Fehler gemacht, dass sie als Erforschte und nicht als aktiver Part der wissenschaftlichen Projekte angesprochen werden“, sagt sie, „es ist jedoch wichtig, wirklich mit externen Akteuren zusammenzuarbeiten – beim Design des Forschungsprojektes ebenso wie im Arbeitsprozess und in seiner Auswertung.“ Auch darüber hinaus gebe es zahlreiche Standards zu beachten. „Ein wichtiges Thema ist zum Beispiel auch die begleitende Evaluierung und Prozessbeobachtung“, erklärt Brohmann, „sie sind zentrales Element der Transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung, ihre Umsetzung ist jedoch keine einfache Aufgabe.“

Notwendig ist nach Ansicht der Expertin zudem ein grundsätzliches Umdenken in der Frage, wie die Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit erreicht werden kann – so etwa im Bereich des privaten Konsums. „Schon so viele Jahre befassen wir uns bei diesem Thema mit Informationstools oder Labels, die den Verbraucher von mehr Nachhaltigkeit überzeugen und alternatives Verhalten initiieren sollen“, sagt die Forschungskoordinatorin, „doch wäre es nicht viel sinnvoller, auch die Rahmenbedingungen zu ändern?“ Wenn man die Menschen etwa beim Thema Mobilität davon überzeugen will, vom Auto aufs Fahrrad umzusteigen, müsse man ihnen dafür etwas bieten. „Das fängt bei bezahlbaren und funktionellen Fahrrädern an, geht über sichere, gut zugängliche Abstellplätze und hört nicht auf bei Kombitickets für Züge und Straßenbahnen, in denen man ein Fahrrad bequem mitnehmen kann“, erklärt sie. Solche Ansatzpunkte müssten für viele Bereiche gefunden werden, in denen mehr Nachhaltigkeit das zentrale Ziel ist. „Wenn man den großen globalen Herausforderungen begegnen will“, so Bettina Brohmann, „muss man sich auch mal trauen, neue Wege zu gehen und das Problem von einer anderen Seite anzupacken.“ Christiane Weihe

info: b.brohmann@oeko.de