Exnovation
Christiane Weihe
Wir kennen sie ziemlich genau, die Stoffe, Produkte und Technologien, von denen wir uns besser trennen sollten. Weil sie schädlich sind für uns selbst, für die Umwelt und das Klima. Dennoch fällt der Abschied vielen Akteuren aus unterschiedlichen Gründen sehr schwer – sie halten an problematischen Chemikalien ebenso fest wie am Verbrennungsmotor oder der klimaschädlichen Stromerzeugung aus Kohle. Blicken wir aber auf Glühbirnen, Kernkraftwerke und Kühlschränke mit FCKW zeigt sich: Der Ausstieg aus nicht nachhaltigen Strukturen, die so genannte Exnovation, ist nicht nur ein notwendiger, sondern auch ein machbarer Schritt. Er muss jedoch rechtzeitig geplant werden.
„Den Begriff Exnovation gibt es schon länger, aber in der Nachhaltigkeitsdebatte ist er recht neu. Er stellt das Pendant zur Innovation dar, bezeichnet also den Prozess, bei dem ein Produkt, eine Verhaltensweise oder sogar eine gesamte Technologie aus dem System geführt wird“, sagt Dirk Arne Heyen vom Öko-Institut. „Es hat sich gezeigt, dass Innovationen für einen Wandel in Richtung Nachhaltigkeit nicht genügen, häufig ergänzen sie nur das Bestehende – so wächst etwa in Deutschland der Anteil erneuerbarer Energien, ohne dass sich die Stromerzeugung aus Kohle nennenswert verringert.“ Der Senior Researcher befasst sich eingehend mit dem Thema Exnovation, hat für das Öko-Institut ein Working Paper über ihre politischen Möglichkeiten und Herausforderungen sowie mehrere Fachartikel verfasst. „Manche Technologien schwinden durch eine nachlassende Nachfrage vom Markt – siehe etwa der Videorekorder oder der Walkman“, sagt er, „darüber hinaus ist aber auch politisch gesteuerte Exnovation erforderlich, die wie etwa bei Asbest oder verbleitem Benzin aus gesundheitlichen oder ökologischen Gründen verfolgt wird.“ Mögliche Instrumente für Exnovation können etwa ordnungsrechtliche Ausstiegsgesetze, aber auch indirektere Maßnahmen wie anspruchsvolle Grenzwerte oder Effizienzvorschriften sein. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts haben sich bereits mit zahlreichen Exnovationsprozessen befasst – so etwa dem Atomausstieg oder den erhöhten Effizienzanforderungen für Leuchtmittel.
Aus Sicht des Öko-Instituts braucht es in naher Zukunft einen politisch gestalteten Ausstieg vor allem aus der klimaschädlichen Verbrennung von Kohle und von fossilen Kraftstoffen. „Da mit der Kohle und noch stärker mit dem Verbrennungsmotor Arbeitsplätze und Wertschöpfung verbunden sind, muss der Strukturwandel gemeinsam und vor allem frühzeitig angegangen werden – alternative Strukturen etablieren sich nicht von heute auf morgen.“ Denn sonst, so der Wissenschaftler, könne es zu Strukturbrüchen in Standortregionen kommen, die keiner wünscht: „Welche schwerwiegenden ökonomischen und sozialen Konsequenzen ein plötzlicher Wandel haben kann, zeigt die Erfahrung vieler ostdeutscher Industrieregionen unmittelbar nach der Wende.“ Mit der Gestaltung von Strukturwandel beschäftigt er sich als Projektleiter auch im Rahmen des neuen, vom Umweltbundesamt beauftragten Forschungsvorhabens „Strategien für den ökologischen Strukturwandel in Richtung einer Green Economy“. Zusammen mit weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vom Öko-Institut sowie vom Fraunhofer ISI werden unter anderem Erfahrungen aus vergangenen Strukturwandelprozessen gewonnen sowie der anstehende Strukturwandel in den Sektoren Chemie und Verkehr vertieft untersucht und mit Branchenvertretern diskutiert.
Im Rahmen sozioökonomisch bedeutsamer Exnovationsprozesse sei es grundsätzlich durchaus angemessen, wenn Politik versuche, die genauen Ausstiegspfade innerhalb klimapolitischer Leitplanken zusammen mit den betroffenen Sektoren auszuhandeln, etwa in einem „Kohlekonsens“. Die Politik jedoch tut sich größtenteils schwer mit der rechtzeitigen Einleitung des Abschieds von Kohle und Verbrennungsmotor: „Die meisten Parteien scheuen das Thema und mögliche Konflikte wie der Teufel das Weihwasser. Hier fehlt die Einsicht, dass man sich jetzt damit beschäftigen muss und nicht erst 2030, wenn die Klimaziele verfehlt wurden“, so der Senior Researcher aus dem Bereich Umweltrecht & Governance, „dabei kommen sogar schon aus der Wirtschaft Forderungen nach einem Kohleausstieg, wie der Appell der Unternehmerstiftung 2 Grad zeigt, der unter anderem von Siemens, der Deutschen Telekom und sogar E.ON unterzeichnet wurde. Hier geht es auch um eine langfristige Planungssicherheit.“ Erste unternehmerische Signale gibt es auch beim Thema Verbrennungsmotor – so will Volvo ab 2019 alle neuen Modelle nur noch mit Hybridantrieb oder Elektromotor ausstatten. „Ein wichtiger Schritt, denn auch die Unternehmen müssen rechtzeitig handeln und ihr Geschäftsmodell umstellen“, sagt Heyen.
MOBILES BADEN-WÜRTTEMBERG
Wie dringend notwendig zudem eine Transformation des Verkehrssektors und in diesem Zusammenhang ein Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor sind, zeigt das Projekt „Mobiles Baden-Württemberg – Wege der Transformation zu einer nachhaltigen Mobilität“. Denn in Baden-Württemberg ist alleine der Verkehr derzeit für 28 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich, seine Emissionen liegen über dem Niveau von 1990. Dazu kommen Gesundheitsbelastungen durch Lärm und Luftschadstoffe, Todesfälle im Verkehr und eine hohe Flächeninanspruchnahme.
Gemeinsam mit dem ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung, der IMU Institut GmbH und dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation hat das Öko-Institut analysiert, wie sich ein Wandel des Verkehrssektors in Richtung Nachhaltigkeit gestalten lässt ohne dabei die hohe Bedeutung von Mobilitätswirtschaft und Automobilindustrie für Arbeitsplätze und Wohlstand aus den Augen zu verlieren. „Eine Transformation ist auch aus ökonomischen Gründen sinnvoll und notwendig“, sagt Dr. Wiebke Zimmer vom Öko-Institut, „weltweit gibt es einen Trend zur Elektromobilität, die deutschen Autobauer drohen hier den Anschluss zu verlieren.“
Im Auftrag der Baden-Württemberg Stiftung und auf Initiative des BUND Baden-Württemberg haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in drei Szenarien gezeigt, wie der Wandel des Verkehrssektors möglich ist und welche Maßnahmen es dafür braucht. „Die Ergebnisse der Analyse verdeutlichen, dass unsere Mobilität nur innerhalb ökologischer und gesundheitlicher Belastungsgrenzen möglich ist, wenn der Pkw-Bestand deutlich reduziert und maximal elektrifiziert wird – natürlich auf Basis erneuerbarer Energien“, so Zimmer. Die stellvertretende Leiterin des Bereichs Ressourcen & Mobilität betont darüber hinaus: „Deutschland kann seine Klimaziele nur erreichen, wenn wir uns vom Verbrennungsmotor ab- und der Elektromobilität auf Basis erneuerbarer Energien zuwenden. Hierfür braucht es klare politische Rahmensetzungen wie E-Fahrzeugquoten und ambitionierte CO2-Standards für Pkw.“ Gleichzeitig sei die Politik gefordert, den tiefgehenden Strukturwandel frühzeitig zu planen und zu begleiten. Wesentlich sei darüber hinaus, dass der Wandel von den Menschen getragen wird – durch ein Umdenken, eine Abkehr von immer größeren Pkw, ein insgesamt verändertes Mobilitätsverhalten. „Wir wissen genau, dass es Zeit wird, uns vom Verbrennungsmotor zu verabschieden“, sagt Dr. Wiebke Zimmer, „wie schmerzhaft der Abschied wird, hängt auch davon ab, wann wir anfangen, uns auf ihn einzustellen und ihn vorzubereiten.“