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Im Fokus

Endlagerung, Deponierung oder Wiederverwendung?

Die Freigabe von Rückbauabfällen

Christiane Weihe

Für einen Großteil der deutschen Kernkraftwerke hat das Ende des Atomzeitalters bereits begonnen: Nur acht von ihnen sind noch in Betrieb, 21 befinden sich bereits im Prozess der Stilllegung, für vier weitere wurde ein Antrag auf Stilllegung gestellt. Derzeit werden viele Kernkraftwerke zurückgebaut – doch wohin werden die dabei entstehenden Abfälle gebracht? Was geschieht mit Brennelementen und Rohrleitungen, dem Reaktordruckbehälter oder den Wänden des Reaktorgebäudes? Wer entscheidet darüber – und auf welcher Grundlage? Beim Rückbau fallen hochradioaktive ebenso wie unbedenkliche Abfälle an. Wie diese unterschieden und im weiteren Verfahren behandelt werden müssen, damit befasst sich seit vielen Jahren auch das Öko-Institut.

Rückbauprojekte laufen derzeit unter anderem in Obrigheim und Philippsburg in Baden-Württemberg, im nordrhein-westfälischen Würgassen und dem rheinland-pfälzischen Mülheim-Kärlich. Insgesamt gibt es mehr als ein Dutzend Rückbauprojekte in ganz Deutschland.

Nach dem Abschalten der Kernkraftwerke bleiben unterschiedliche Abfälle zurück – so etwa die hochradioaktiven Brennelemente. Diese müssen so lange zwischengelagert werden, bis in Deutschland ein Endlager für wärmeentwickelnde Abfälle eingerichtet wurde. Doch was geschieht mit den weiteren Abfällen, die beim Rückbau anfallen? „Einige Teile müssen im Endlager für nicht wärmeentwickelnde Abfälle, Schacht Konrad bei Salzgitter, eingelagert werden, das genehmigt, aber noch nicht betriebsbereit ist. Bis es annahmebereit ist, müssen auch diese radioaktiven Abfälle zwischengelagert werden“, erklärt der stellvertretende Leiter des Bereichs Nukleartechnik & Anlagensicherheit, „ein Großteil der Bestandteile von Kernkraftwerken ist jedoch im Betrieb nie radioaktiv kontaminiert worden oder kann dekontaminiert und anschließend konventionell entsorgt werden.“ Bevor möglicherweise kontaminierte Abfälle aus dem Rückbau deponiert oder wiederverwendet werden können, müssen sie einen Freigabe-Prozess durchlaufen. „Kein Material verlässt in diesem Prozess ein Kernkraftwerk, ohne zuvor auf Radioaktivität geprüft zu werden – man spricht dabei vom so genannten Freimessen“, so Küppers, „die Freigabe erfolgt dann anhand von Grenzwerten, die in der Strahlenschutzverordnung festgelegt sind. Sie sind so definiert, dass kein Mensch etwa durch Einatmen oder über die Nahrungskette einer höheren Strahlenbelastung als zehn Mikrosievert jährlich ausgesetzt ist. Das ist im Vergleich zur natürlichen Strahlenbelastung und den Dosisgrenzwerten bei Emissionen übrigens ein sehr niedriger Wert.“ Alles, was über diesen Prozess nicht freigegeben werden kann, gilt als radioaktiver Abfall – das sind pro Kernkraftwerk etwa 5.000 Tonnen Material.

Es gibt unterschiedliche Optionen bei der Freigabe: Manche Abfälle können uneingeschränkt freigegeben und etwa im Straßenbau verwendet werden, andere werden nur eingeschränkt freigegeben. So etwa zur Beseitigung auf einer Deponie, für die dann bestimmte Anforderungen gelten. „Solche Deponien müssen zum Beispiel so abgedichtet sein, dass mindestens 100 Jahre nach Baubeginn kein Wasser ins Grundwasser austritt und mindestens 100 Jahre nach Schließung kein Regenwasser von oben eindringen kann“, sagt der Wissenschaftler.

Das Öko-Institut befasst sich schon seit langer Zeit mit dem Thema Freigabe, mit den Verfahren ebenso wie mit den damit verbundenen Herausforderungen und Konflikten. „Das Kernkraftwerk im bayerischen Niederaichbach war ab 1986 das erste, das in Deutschland zurückgebaut wurde“, sagt Christian Küppers, „damals gab es aber noch keine wissenschaftlich fundierte Herleitung der möglichen Belastung und diesbezügliche Werte zur Freigabe von Abfällen. Dennoch wurde viel Bauschutt im Straßenbau genutzt.“ Lange Zeit, so der Wissenschaftler, war das Vorgehen bei der Freigabe von Abfällen kaum überschaubar. Einzelne Landesbehörden entschieden unabhängig, wie sie mit den entstehenden Abfällen verfahren.

1995 empfahl die Strahlenschutzkommission erstmals fundiert hergeleitete Freigabewerte für verschiedene Freigabeoptionen, seit 2001 sind die aktuell gültigen Freigabewerte in der Strahlenschutzverordnung festgelegt. Umgesetzt werden müssen sie auf Landesebene. „Wir vom Öko-Institut halten das inzwischen bestehende Verfahren für sinnvoll und die Freigabewerte für angemessen – sie sind sehr sicherheitsbewusst berechnet“, sagt Küppers, „eine Haltung, für die wir von Bürgerinitiativen und Umweltorganisationen übrigens oft großen Gegenwind bekommen.“ Immer wieder werde gefordert, jene Stoffe, die heute zur Deponierung freigegeben werden, in ein zukünftiges Endlager zu bringen oder sie so lange am Kraftwerksstandort sicher einzuschließen, bis keinerlei Strahlung mehr vorhanden ist. „Die vielzitierte grüne Wiese sowie ein sinnvolles Rückbauverfahren wären nicht mehr möglich, da für die großen Abfallmassen erst ein neues Endlager eingerichtet werden müsste“, erklärt der Wissenschaftler, „dabei sind die Risiken des aktuellen Freigabeverfahrens so gering, dass sie den Aufwand einer Endlagerung in keinster Weise rechtfertigen.“

NACH DER DEPONIERUNG

Mit Risiken durch den Rückbau hat sich das Öko-Institut auch im Gutachten „Mögliche radiologische Folgen der Freigabe zur Beseitigung nach § 29 StrlSchV bei der Nachnutzung einer Deponie in der Nachsorgephase und in der Zeit nach der Entlassung aus der Nachsorge“ beschäftigt. Die Analyse für das Umweltministerium Baden-Württemberg widmet sich der Nachnutzung von Deponien, auf die Rückbauabfälle gebracht wurden – so für Land- und Forstwirtschaft, Straßen, Freizeit- oder Wohnlagen. „Wir haben geprüft, ob bei einer solchen Nachnutzung die Dosis unter zehn Mikrosievert bleibt – sowohl in der so genannten Nachsorgephase, die sich bei diesbezüglichen Deponien über viele Jahrzehnte erstreckt und während der die Deponie behördlich überwacht wird, als auch danach“, sagt Küppers. Betrachtet wurden hierfür zwei unterschiedliche Fälle: Eine Deponie, deren Oberflächenabdichtungssystem anforderungsgerecht umgesetzt ist und auf dem eine Nachnutzung stattfindet sowie eine Deponie, bei der 100 Jahre nach Schließung am Deponiefuß Wasser auf eine landwirtschaftlich genutzte Fläche aussickert. „Es wurden unterschiedliche Nachnutzungsoptionen mit klar festgelegten Rahmenbedingungen definiert – so etwa eine landwirtschaftliche Nutzung, bei der unter anderem die Oberfläche vor Erosion geschützt ist und die Abdichtungskomponenten der Deponie nicht durch Wurzeln oder andere Dinge versehrt werden“, erklärt der Wissenschaftler, „in beiden betrachteten Fällen sowie allen Nachnutzungsszenarien ist die Dosis kleiner als zehn Mikrosievert pro Jahr.“ Die Analyse war nicht nur hilfreich für die konkrete Herausforderung einer geplanten landwirtschaftlichen Nachnutzung im Landkreis Ludwigsburg. „Hier wurde zudem eine wichtige Lücke in den Voraussetzungen der Regulierung geschlossen“, so Küppers, „denn der Fall der Nachnutzung von Deponieflächen wurde bei der bisherigen Herleitung von Freigabewerten nicht berücksichtigt.“