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Im Fokus

Die soziale Seite der Energiewende

Zwischen Klimaschutz und Gerechtigkeit

Christiane Weihe

Wollen wir einen Beitrag dazu leisten, die Erderwärmung deutlich unter zwei Grad zu halten, führt an der Energiewende kein Weg vorbei. Ihr zentrales Ziel ist eine saubere, aber auch sichere und bezahlbare Energieversorgung. Bausteine sind der Ersatz fossiler und nuklearer Brennstoffe durch erneuerbare Energien sowie eine deutliche Verringerung des Energieverbrauchs. Neben ihren positiven ökologischen Auswirkungen hat die Energiewende jedoch auch soziale Konsequenzen. So wirken sich Erhöhungen der Strompreise, die unter anderem durch die Umlage für erneuerbare Energien verursacht werden, vor allem auf einkommensschwache Haushalte aus. Das Öko-Institut beschäftigt sich mit vielen unterschiedlichen Aspekten dieser sozialen Seite der Energiewende: Die Wissenschaftlerinnen arbeiten zu den Beiträgen, die verschiedene soziale Gruppen leisten können, so etwa den hohen Einsparpotentialen einkommensstarker Haushalte. Sie befassen sich aber auch mit den ungleichen Auswirkungen auf diese Gruppen und der Frage, wie etwa durch Effizienz- und Suffizienzmaßnahmen die Belastung einkommensschwacher Haushalte verringert werden kann.

Zwar haben sich die Strompreise in Deutschland in den vergangenen Jahren stabilisiert, sie waren jedoch zwischen 2004 und 2014 deutlich angestiegen: In dieser Zeit lag die reale Preissteigerung für private Haushalte bei 38 Prozent. „Solche Erhöhungen treffen vor allem einkommensschwache Haushalte“, sagt Dr. Katja Schumacher vom Öko-Institut, „so wenden etwa jene mit dem geringsten Einkommen im Schnitt fünf Prozent ihres Haushaltseinkommens für Strom auf, bei den einkommensstärksten Haushalten sind es nur 1,5 Prozent – und das, obwohl diese Haushalte ungefähr doppelt so viel Strom verbrauchen.“ Dies hat das Öko-Institut gemeinsam mit Partnerinnen und Partnern im Projekt „Folgenabschätzung zu den ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgewirkungen der Sektorziele für 2030 des Klimaschutzplans 2050 der Bundesregierung“ für das Bundesumweltministerium berechnet. Bei den Ausgaben für Heizung und Warmwasser zeigt sich ein ähnliches Bild: Hier reicht die Spanne der Ausgaben von etwa 1,5 Prozent des Haushaltseinkommens, das einkommensstarke Haushalte für Heizenergie aufwenden, bis zu vier Prozent bei den einkommensschwächsten Haushalten. Gleichzeitig verbrauchen die einkommensstärksten Haushalte über alle Energieträger hinweg etwa drei Mal so viel Heizenergie. „Am stärksten belastet von den Energiepreisen sind jene mit einem kleinen verfügbaren Einkommen wie Arbeitslose und Alleinerziehende, die keine Transferleistungen für Wärmeausgaben erhalten“, sagt Schumacher.

Belastungen und Potenziale

Einen hohen Anteil an der Erhöhung der Strompreise haben Steuern und Abgaben, insbesondere die EEG-Umlage, die für den Ausbau der erneuerbaren Energien fällig wird. „Sie ist zwischen 2008 und 2018 von 1,17 auf 6,79 Cent je Kilowattstunde gestiegen“, so die stellvertretende Leiterin des Bereichs Energie & Klimaschutz in Berlin, „auch hier gilt, dass die einkommensschwächsten Haushalte einen deutlich größeren Anteil ihres Einkommens für die EEG-Umlage ausgeben als die einkommensstärksten.“ Die Expertin betont aber auch: Am Ausbau der erneuerbaren Energien führt kein Weg vorbei. „Sie sind ein zentraler Teil der Energiewende, allerdings ist die Ausgestaltung des Systems der erneuerbaren Energien im Moment nicht in jeder Hinsicht fair – etwa, was die Kostenbelastung und viele Ausnahmen für die Industrie betrifft.“ Die privaten Haushalte können zwar auch vom Ausbau der erneuerbaren Energien profitieren – so über eigene Solarwärmekollektoren. „Hier haben aber vor allem einkommensstarke Haushalte einen Vorteil, die es sich leisten können, in solche Anlagen zu investieren, und gleichzeitig über Wohneigentum verfügen, das deren Installation erlaubt.“ Dass diese Haushalte auch ein hohes Energieeinsparpotenzial haben, betont ihre Kollegin Dr. Johanna Cludius aus dem Bereich Energie & Klimaschutz. „Solche Verbraucherinnen und Verbraucher erreicht man allerdings in der Regel nicht über das Kostenargument“, sagt sie, „hier braucht es alternative Ansätze.“ Solche werden von den Expertinnen und Experten des Öko-Instituts kontinuierlich entwickelt und diskutiert: „Es wäre etwa denkbar, Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden mit dem Zusatznutzen einer höheren Einbruchssicherheit zu verbinden.“

Energiearmut – unterschätzt?

Unter den Menschen mit geringem Einkommen sind hingegen manche von der so genannten Energiearmut bedroht. „Wir haben hierzulande noch keine klare Definition für Energiearmut“, sagt Dr. Johanna Cludius, „im Wesentlichen bezeichnet sie den Zusammenhang zwischen Energiekosten und Armut, wenn Menschen die Kosten für Strom und Heizung nicht mehr bezahlen können oder sie genau dadurch von Armut bedroht sind.“ In einem Modul des Projektes „Perspektiven der Bürgerbeteiligung an der Energiewende unter Berücksichtigung von Verteilungsfragen“ für das Bundesministerium für Bildung und Forschung haben sich die Wissenschaftlerinnen gezielt mit der sozialverträglichen Gestaltung von Klimaschutz und Energiewende sowie mit Energiearmut befasst. „Wir haben darin fünf verschiedene EU-Länder – Frankreich, Schweden, Irland, Dänemark und Großbritannien – betrachtet und bestehende Politiken und Maßnahmen gegen Energiearmut mit Blick auf ihre Stärken und Schwächen analysiert, so etwa eine Ausweitung der Erstattung von Heizkosten auf weitere Gruppen oder eine Unterstützung für finanzschwache Hauseigentümerinnen und -eigentümer bei der Sanierung.“ Bereits erfolgreich etabliert sei in Deutschland der so genannte Stromspar-Check. „Hierbei werden ehemalige Langzeitarbeitslose zu Stromsparhelferinnen und Stromsparhelfern ausgebildet, die dann vor Ort bei einkommensschwachen Haushalten eine Energieberatung durchführen und Soforthilfen installieren“, erklärt Cludius.

In der Analyse für das Bundesforschungsministerium hat das Projektteam zudem untersucht, ob sich einzelne betrachtete Maßnahmen auf Deutschland übertragen ließen. „Dabei hat sich etwa gezeigt, dass eine Ausweitung der Heizkostenerstattung auf weitere soziale Gruppen besonders dann sinnvoll hilft, wenn sie mit Informations- und weiteren Unterstützungsmaßnahmen gekoppelt wird – so etwa einem Heizenergiecheck oder einer Energieberatung“, sagt die Wissenschaftlerin, „mit Blick auf die Unterstützung bei Effizienz- und Sanierungsmaßnahmen empfiehlt sich, diese auch gezielt für finanzschwache Eigentümer und Eigentümerinnen von Wohnungen und Häusern anzubieten und dabei auf die Erfahrungen anderer EU-Staaten zurückzugreifen.“

Potenziell übertragbar sind aus Sicht des Öko-Instituts auch weitere Instrumente wie etwa verstärkte Verbraucherschutzmaßnahmen zur Vermeidung von Strom- und Gassperren, eine vereinfachte Darstellung der Stromrechnung oder auch eine integrierte Anlaufstelle, die sich mit Beschwerden zur Energieversorgung befasst. Maßnahmen, die jede für sich dazu beitragen können, dass die Energiewende sozial gerechter wird. „Klar ist aber auch, dass es hier keine einfachen Lösungen gibt, welche gleichzeitig kurz- und langfristig wirken und alle in Frage kommenden Zielgruppen berücksichtigen“, so die Expertin vom Öko-Institut, „es bleibt weiter eine große Herausforderung, hier einen wirksamen, integrierten Ansatz zu entwickeln.“

Mehr Gerechtigkeit

Das Öko-Institut hat schon vor vielen Jahren angefangen, zur sozialen Seite der Energiewende zu arbeiten und forschen. Zunächst in eigenfinanzierten Analysen, dann über zahlreiche Konferenzbeiträge, inzwischen auch im Rahmen umfassenderer Projekte. „Gerechtigkeits- und Verteilungsfragen hatten im Rahmen der Energiewende lange einen schweren Stand, spielen nun im politischen Diskurs aber eine feste Rolle“, sagt Katja Schumacher, „das Thema ist endlich angekommen in der Energie- und Klimapolitik.“ Im nächsten Schritt besteht aus Sicht der Expertinnen nun erhöhter Koordinierungsbedarf zwischen der Sozial- sowie der Energie- und Klimapolitik. „Energiepolitik kann keine Sozialpolitik sein, sie muss aber Verteilungseffekte berücksichtigen und darf die bestehenden Ungerechtigkeiten nicht weiter verschärfen“, sagt die stellvertretende Bereichsleiterin vom Öko-Institut.

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Dr. Katja Schumacher analysiert am Öko-Institut Strategien und Instrumente der Energie- und Klimapolitik und berät unter anderem politische Entscheiderinnen und Entscheider. Die stellvertretende Leiterin des Bereichs Energie & Klimaschutz (Berlin) befasst sich dabei mit ökonomischen Analysen ebenso wie mit Verteilungseffekten. Auch Dr. Johanna Cludius arbeitet zu diesen Themen. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin widmet sich im Bereich Energie & Klimaschutz zudem unter anderem marktbasierten Instrumenten der Klimapolitik wie insbesondere dem Emissionshandel.