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Perspektive

Gleich und gleich?

Die Strahlenbilanz von Wind- und Atomkraft

Gerhard Schmidt

Windkraft versus Kernenergie. Wer hier auf der guten Seite steht, ist eigentlich keine Frage. Und dann das: In Windenergieanlagen wird „schmutzig produziertes“ Neodym aus China eingesetzt, bei dessen Gewinnung giftige Dämpfe und Abwässer in die Umwelt gelangen und radioaktives Erz eingesetzt wird. Kann es sogar sein, dass Windkraftanlagen je Kilowattstunde erzeugtem Strom mehr Strahlenbelastung als ein Atomkraftwerk verursachen? Dieser Frage bin ich nachgegangen.

Will man die Strahlenbelastung von Wind- und Atomkraft vergleichen, muss man ihren gesamten Lebenszyklus betrachten. Bei der Kernenergie gehören dazu unter anderem die Urangewinnung und die Herstellung von Brennelementen, aber auch die Wiederaufarbeitung und der Rückbau. Der Blick auf die Windenergie erfordert etwa die Berücksichtigung von Errichtung, Betrieb und Rückbau der Anlagen sowie der eingesetzten Materialien. Und hier kommt das Thema Strahlenbelastung ins Spiel: In großen, modernen Windkraftanlagen werden Magnete eingesetzt, die aus den Seltenen Erden Neodym und Praseodym bestehen. Fast alle Lagerstätten von Seltenen Erden sind reich an natürlichem Thorium, manche auch an Uran, so dass bei der Aufarbeitung der Erze für diese Rohstoffe radioaktive Abfälle entstehen. Werden diese ordentlich und langzeitstabil deponiert, gibt es so gut wie keine Strahlenbelastungen. Eine solche Deponierung ist jedoch weder beim Weltmarktführer China gegeben, wo es neben zahlreichen offen herumliegenden Altlasten aus der früheren Kleinproduktion riesige offene Deponien gibt, für die ein Entsorgungskonzept noch aussteht und keine entsprechenden Rückstellungen für eine ordnungsgemäße Schließung vorhanden sind. Auch in Malaysia, wo sich die australische Firma Lynas rühmt, „umweltfreundlich hergestellte“ Rohstoffe für „grüne Technologien“ zu produzieren, steht ein Entsorgungskonzept noch aus. Dort sollen die radioaktiven Abfälle sogar für den Straßenbau genutzt werden.

Meine Untersuchung zeigt: Die Strahlenbelastung, die durch die Verwendung von Neodym und Praseodym in Windkraftanlagen entsteht, ist in der Summe niedriger als jene, die durch Atomstrom verursacht wird. Im ungünstigsten Fall – das heißt, wenn die Abfälle aus der Produktion vollständig im Straßenbau eingesetzt werden und die Magnete aus Seltenen Erden nach Gebrauch nicht recycelt werden – entstehen pro Gigawattjahr Windstrom acht man?Sievert (man?Sv) Gesamtstrahlenbelastung. Bei Atomstrom hingegen bedeutet der ungünstigste Fall 150 man?Sv Gesamtstrahlenbelastung pro Gigawattjahr, im günstigsten Fall ohne Wiederaufarbeitung und mit einer fortgeschrittenen Deponierung der Abfälle aus der Urangewinnung könnte er auf 10 man?Sv gesenkt werden. Der günstigste Fall der Atomkraft trifft also in etwa den ungünstigsten Fall bei der Windenergie. Zusätzlich ließe sich bei der Windkraft, anders als bei der Kernenergie, die Strahlenbelastung durch nur einen Schritt nahezu vollständig vermeiden: eine anständige Deponierung. Dass dies möglich ist, zeigt übrigens die Seltene Erden-Produktion am Standort Mountain Pass in den USA. Hier werden die Rohstoffe unter deutlich strengeren Umweltauflagen gefördert und die Abfälle sorgfältig deponiert, was die Seltenen Erden natürlich teurer macht als jene aus China oder Malaysia.

Und was können wir hierzulande tun, um der Strahlenbelastung durch Windenergie zu begegnen? Der Konsument sitzt eindeutig am kürzeren Hebel. Die Wirtschaft ist am Zug. Eine Möglichkeit wäre, auf die nachhaltiger produzierten Rohstoffe aus Mountain Pass zu setzen. Die Seltene Erden-Produktion in Malaysia steht schon heute unter hohem wirtschaftlichem Druck und würde bei einer Preiserhöhung in Folge des Aufwands einer ordentlichen Deponierung seine Kunden an chinesische Produzenten verlieren. Letztlich bleiben bei nicht nachhaltig produzierten Rohstoffen aber die Herstellerländer auf den Kosten der Aufräumarbeiten sitzen, während der Preis für das Konsumprodukt nicht die ganze ökologische Wahrheit sagt. Langfristig sind solche Risiken für das grüne Image nur zu vermeiden, wenn Einkäufer von Rohstoffen nachhaltige Produkte einfordern – sie müssen dafür aber auch bereit sein, mehr dafür zu bezahlen. Ein wichtiger Schritt, damit die Windkraft im Vergleich zur Kernenergie auch in Sachen Strahlenbelastung deutlich überlegen bleibt. Gerhard Schmidt