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Im Fokus

Mehr als Abfallwirtschaft

Die Circular Economy

Christiane Weihe

Oftmals reicht die Circular Economy nur bis zur nächsten Mülltonne. Denn viele setzen die Kreislauf- mit der Abfallwirtschaft gleich, mit der leeren Spülmittelflasche, die später zur Parkbank wird. Doch Circular Economy ist weit mehr als das. Sie strebt nicht nur ein Schließen der Rohstoffkreisläufe an, sondern insgesamt eine Verlangsamung der Ressourcenkreisläufe. In der Abfallwirtschaft zum einen, aber auch bei Gebäuden, im Verkehr oder bei Textilien. Sie kennt Konzepte wie Abfallvermeidung, Wiederverwendung oder Reparaturen. Sie setzt bereits beim Design von Produkten an, befasst sich mit ihrer Herstellung ebenso wie mit ihrer (Nach-)Verwendung. Die Verringerung des Konsums ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Circular Economy.

„Wenn wir über Circular Economy sprechen, reden wir über nichts anderes als ein neues Wirtschafsmodell. Über einen ökologischen Strukturwandel und einen Paradigmenwechsel gleichermaßen“, sagt Siddharth Prakash, Senior Researcher und Gruppenleiter am Öko-Institut. „Die Circular Economy ist ein zentrales Handlungsfeld der nachhaltigen Transformation, da sie die Treib­hausgasemissionen ebenso berührt wie Biodiversitätsverluste, Ressourcen­inanspruchnahme und Schadstoffbelastungen.“

Es braucht mehr

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung sind zwar ein geringerer Rohstoffverbrauch und geschlossene Kreisläufe vorgesehen. Eine relative Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Rohstoffkonsum reicht aber nicht, mit Blick auf die vielfältigen Auswirkungen unserer Konsum- und Lebensweisen auf Umwelt und Klima muss der Rohstoffkonsum absolut reduziert werden. „Es braucht zum Beispiel Maßnahmen, die zu einer deutlich längeren Lebens- und Nutzungsdauer von Produkten führen wie etwa Mindesthaltbarkeitsanforderungen“, sagt Prakash. Und nicht zuletzt: Suffizienz, also die Verringerung des Rohstoff- und Energieverbrauchs. „Die Vermeidung und Wiederverwen­dung stehen ganz oben in der Abfallhie­rarchie, erst dann folgt etwa Recycling. Ohne Suffizienz können wir die Ziele der Circular Economy nicht erreichen. Wir müssen über die Größe unserer Wohnungen reden, über die Zahl der Autos oder auch die Nutzungsdauer von Textilien.“ Zwar schreckten viele Politiker*innen vor einer Diskussion über Suffizienz zurück, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine mache aber deutlich, dass Suffizienz auch für die volkswirtschaftliche Souveränität und Unabhängigkeit von Rohstoffen unabdingbar ist.

Circular Economy in Europa

Im Rahmen des Green Deal hat die EU-Kommission 2020 den Circular Economy Action Plan verabschiedet sowie im März 2022 unterschiedliche Ansätze und Initiativen vorgestellt, um den Weg für eine kreislauforientierte Produktpolitik freizumachen. Sie zielen unter anderem auf die Förderung der Langlebigkeit von Produkten, des Rechts auf Reparatur oder die Rezyklierbarkeit ab. Mit der Ecodesign for Product Sustainability Regulation (EPSR) soll die jetzige Ökodesign-Richtlinie abgelöst werden. Es sollen weitere Produkte wie Textilien und Möbel aufgenommen und ambitioniertere Anforderungen für fast alle Produkte umgesetzt werden.

Ein Kernbestandteil der Circular Economy-Maßnahmen auf der europäischen Ebene ist die Sustainable Products Initiative (SPI). Bei ihrer Umsetzung berät das Öko-Institut gemeinsam mit Projektpartnern die EU-Kommission. „Wir analysieren zum Beispiel Daten und Informationen über die Vernichtung von nicht verkauften Konsumgütern in der EU“, sagt Projektleiterin Kathrin Graulich vom Öko-Institut, „so können wir Rückschlüsse auf die Umweltauswirkungen solcher Praktiken ziehen sowie die ökonomischen Treiber und Folgen für die betreffenden Wirtschaftsakteure abschätzen.“ Zudem analysiert das Öko-Institut die Normen, die direkt mit der erfolgreichen Umsetzung eines digitalen Produktpasses verbunden sind. „Dieser wird zu einem zentralen Element der europäischen Produktpolitik. Er soll detaillierte Informationen über Produkte enthalten und so Verbraucher*innen die Auswahl erleichtern sowie Reparaturen und Recycling vereinfachen“, so Graulich.

Auch im spendenfinanzierten Projekt „Aufruf und Vorschläge zur zirkulären Wirtschaft“ wird sich das Öko-Institut intensiv mit der Circular Economy befassen. „Dabei werden wir unter anderem analysieren, wodurch zirkuläres Wirtschaften ausgebremst wird, und politische Lösungsvorschläge entwickeln“, sagt Siddharth Prakash. Die Wissenschaftler*innen werden sich dabei etwa mit dem Schattendasein von innovativen Nutzungskonzepten oder auch höheren Mehrweganteilen bei Verpackungen beschäftigen. „Die Ursachen für die geringe Lebens- und Nutzungsdauer von Produkten liegen in den vorherrschenden Kostenstrukturen“. So führten hohe Lohn- und Ersatzteilkosten hierzulande dazu, dass die Reparaturkosten im Vergleich zu Neupreisen zu hoch erscheinen und für Verbraucher*innen deswegen uninteressant sind. „Langlebige Geräte sind zwar teurer in der Anschaffung, sie lassen sich in der Regel aber auch einfacher reparieren“, betont Prakash.

Um das Problem der sinkenden Lebens- und Nutzungsdauer von Elektro- und Elektronikgeräten zu lösen, braucht es aus Sicht des Öko-Instituts eine andere Kostenstruktur, in der sich Hersteller an den Umwelt- und Sozialkosten der Produktion und Entsorgung beteiligen. „Der Fokus der erweiterten Herstellerverantwortung sollte über die Finanzierung von Sammlung und Recycling hi­naus darauf gelegt werden, Vermeidung, Wiederverwendung und Reparaturen zu fördern“, sagt der Wissenschaftler. Zusätzlich brauche es Produktpolitikmaßnahmen wie etwa ambitionierte Mindestlebensdaueranforderungen und eine Ausweitung von Verbraucherschutzmaßnahmen wie beispielsweise längere Gewährleistungsfristen. „Im Spendenprojekt werden wir einen Ansatz entwickeln, wie sich die technischen, ökonomischen und rechtlichen Maßnahmen im Sinne einer echten Circular Economy sinnvoll ergänzen können. Der ökologische Mehrwert ist deutlich: Hielten Smartphones sieben und Fernseher 13 Jahre, brächte das jährlich Einsparungen von fast drei Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten in Deutschland.“

Circular Economy international

Einfach ist die Umsetzung des zirkulären Wirtschaftens sicher nicht, denn es gibt viele Zielkonflikte. „Oftmals wird die Circular Economy als etwas gepriesen, bei dem es nur Gewinner*innen gibt. Doch wenn etwa Produkte kostspieliger werden, weil der Ressourcenverbrauch verteuert wird, trifft das vor allem die Menschen mit niedrigen Einkommen. Man muss also auch soziale Fragen im Auge behalten und hier für einen Ausgleich sorgen.“ Noch komplexer wird das Thema dadurch, dass es eine internationale Sichtweise braucht. „Wir stecken in globalen Lieferketten und müssen unser Handeln danach ausrichten, denn es hat Konsequenzen für die Umwelt und die Menschen in anderen Ländern, für ihre Arbeitsplätze und ihr Wohlergehen“, so Prakash.

In mehreren Projekten widmet sich das Öko-Institut der Circular Economy in anderen Ländern. So etwa in Mexiko, gemeinsam mit dem Instituto Nacional de Ecologica y Cambio Climático (INECC). „Am Beispiel von Textilien und Smartphones haben wir gezeigt, dass Circular Economy-Maßnahmen in Mexico jährlich knapp sechs Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einsparen können. Das entspricht den jährlichen Emissionen von 1,6 Millionen Einwohner*innen des Landes.“ Auf dieser Grundlage hat das Öko-Institut den Handlungsbedarf in der mexikanischen Produktpolitik definiert. In Südostasien begleitet das Öko-Institut mit der finanziellen Unterstützung der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zudem Länder bei der Entwicklung von Strategien, Aktionsplänen und Instrumenten zur Förderung einer Circular Economy. „In Malaysia wurde Circular Economy dann auch als eine zentrale Säule in den 12. Fünfjahresplan des Landes aufgenommen“, erklärt Prakash. In Thailand unterstützen die Wissenschaftler*innen die Regierung bei der Konkretisierung einer nationalen Strategie zu Bioökonomie, Circular Economy und Green Economy. „Nationale Alleingänge werden hier aber nicht wirksam sein. Wir brauchen eine globale Vereinbarung, damit Materialströme und Umweltauswirkungen nicht einfach in andere Länder verlagert werden.“

Ein Modell für die Kreislaufwirtschaft in Deutschland

Welche konkreten Auswirkungen hat die Etablierung einer Circular Economy auf den Schutz von Klima, Ressourcen und Biodiversität –  sowie auch auf die gesamte deutsche Wirtschaft? Dieser Frage gehen die Wissenschaftler*innen des Öko-Instituts derzeit in der Machbarkeitsstudie „Modell Deutschland Circular Economy“ gemeinsam mit Fraunhofer ISI und der Freien Universität Berlin für den WWF Deutschland nach. „Wir legen die wissenschaftlichen Grundlagen für eine umfassende und effektive Strategie zur Realisierung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft“, erklärt Senior Researcher Siddharth Prakash. „Hierfür identifizieren wir unter anderem relevante Materialströme, Produkte sowie Sektoren und definieren potenzielle Circular-Economy-Maßnahmen in jedem Sektor. Zudem prüfen wir mögliche Wechselwirkungen, Zielkonflikte und marktstrukturelle Rahmenbedingungen für die Umsetzung von Einzelmaßnahmen.“ Das Ziel ist es, methodische und fachliche Grundsatzfragen für die Modellierung der ökologischen und ökonomischen Folgeabschätzung von Circular-Economy-Maßnahmen zu klären. „Wir sprechen hier von etwa 100 bis 150 Maßnahmen in elf Sektoren, wie etwa der Textil- und Fahrzeugindustrie, der Bau- und der Lebensmittelwirtschaft. In der nächsten Phase sollen die Maßnahmen gebündelt und im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf Treibhausgasemissionen, Ressourcen­inanspruchnahme und Biodiversität sowie auf Beschäftigung und Wertschöpfung analysiert werden“, sagt ­Siddharth ­Prakash. „Darauf aufbauend unterstützen wir den WWF Deutschland, eine Politik-Roadmap für die Circular Economy in Deutschland zu entwickeln. Das Ziel des WWF ist dabei, einen ganzheitlichen Weg zur zirkulären Wirtschaft wissenschaftlich fundiert aufzuzeigen. Die Naturschutzorganisation möchte die verbindliche und ambitionierte Umsetzung der nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie voranbringen, wie es die Bundesregierung in der Koalitionsvereinbarung angekündigt hat.“

Tiefgreifend und weit entfernt

Ein tiefgreifender Wandel ist notwendig. Und gleichzeitig einer, der kaum noch Zeit hat. „Ökologische Kipppunkte sind schneller erreicht als viele es bislang wahrhaben wollen – so etwa mit Blick auf die Schmelze unserer Eisschilde“, sagt Siddharth Prakash. Der tiefgreifende Wandel braucht daher ein ambitioniertes und integriertes Vorgehen aller Akteur*innen – der Wirtschaft und der Politik ebenso wie der Zivilgesellschaft. „Leider sind wir noch weit davon entfernt, auf dem richtigen Weg zu sein. Zirkuläre Wirtschaftsmodelle sind meistens wirtschaftlich noch nicht tragbar, die Politik tut nicht genug. So hinken wir etwa im europäischen Vergleich bei der Nutzungsrate wiederverwendbarer Stoffe deutlich hinterher.“ Der Ansatz des Senior Researchers? „Loslegen! Jetzt. In jedem Sektor. Keine Verzögerungen, keine Entschuldigungen – auch nicht mit Blick auf die Komplexität des Themas. Das Öko-Institut zeigt gerne die ersten Schritte in die richtige Richtung.“

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Ein nachhaltiger Konsum steht im Mittelpunkt der Arbeit von Siddharth Prakash – in Deutschland, Europa und weltweit. So befasst sich der Gruppenleiter aus dem Bereich Produkte & Stoffströme unter anderem mit Produktlanglebigkeit und Obsoleszenz, Ökodesign und Umweltzeichen sowie Sozial- und Umweltstandards in den globalen Wertschöpfungsketten.