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Im Fokus

“Circular Economy funktioniert immer in Zeiten der Knappheit“

Interview mit Walter Stahel (Institut für Produktdauer-Forschung, Genf)

Christiane Weihe

Wie gelingt es, das zirkuläre Wirtschaften weiter voranzubringen? Welche Vorteile sind damit verbunden – nicht nur für Umwelt und Klima, sondern auch für die Wirtschaft? Über diese Fragen haben wir mit Walter R. Stahel gesprochen. Er hat 1982 in Genf das Institut für Produktdauer-Forschung gegründet, das durch seine Arbeit die Lebensdauer von Produkten verlängern will. Stahel hat zudem in unterschiedlichen Funktionen die europäische Kommission beraten und ist Mitglied des Club of Rome.

Herr Stahel, zirkuläres Wirtschaften ist keine Erfindung der Neuzeit. Wie lange gibt es die Idee der Circular Economy schon?

Schon seit Jahrhunderten. Die Circular Economy funktioniert immer in Zeiten der Knappheit. Etwa nach dem Zweiten Weltkrieg, als Trümmerfrauen dafür sorgten, dass aus zerstörten Häusern etwas Neues entstehen konnte. In vielen Ländern des globalen Südens ist zirkuläres Wirtschaften auch ganz selbstverständlich. Ich denke da etwa an die Weiterverwendung von alten Ölfässern in Nepal. Dort werden daraus zum Beispiel Turbinen oder Küchengeräte gemacht. Nur in einer Überflussgesellschaft kommt man nicht auf solche Gedanken.

Heißt das: Auch wir brauchen eine Zeit der Knappheit, damit es mit der Circular Economy wirklich etwas wird?

Es braucht entweder einen äußeren Zwang oder eine innere Überzeugung. Ich sehe zum Beispiel bei vielen jungen Menschen hier in der Schweiz die Tendenz, den Konsum zu reduzieren und zu vereinfachen. Hier gibt es auf jeden Fall ein Umdenken. Gleichzeitig sehen wir in großen Teilen der Industrie, dass sie bislang kein Interesse daran hat, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken. Dabei könnte das für viele Unternehmen lohnenswerter sein als ihr aktuelles Vorgehen.

Inwiefern?

Die Hersteller müssen lernen, dass sie beim Wirtschaften in Kreisläufen ihr Geld nicht am Verkaufspunkt verdienen, sondern in der Nutzung. Man kann ein Produkt entweder verkaufen oder aber es jemandem langfristig zur Verfügung stellen sowie Service und Wartung anbieten. Im ersten Fall verdiene ich einmal Geld damit, im zweiten verdiene ich mehr Geld, aber über einen längeren Zeitraum. Das ist eine gewaltige mentale Umstellung. Aber es gibt bereits Beispiele einer solchen so genannten Performance Economy, die zeigen, dass das funktioniert.

Welche sind das?

Alleine schon der öffentliche Verkehr. Auch die Fahrt mit einem Taxi ist ein Beispiel dafür. Oder aber Firmen, die ein konkretes Produkt zum Gebrauch zur Verfügung stellen: So beim Textillea­sing, etwa bei Uniformen in der zivilen Luftfahrt oder der Wäsche für Hotels.

Welche Ansätze bräuchte es, um das zirkuläre Wirtschaften voranzubringen?

Das Problem ist zunächst, dass wir den Großteil der Rohstoffe importieren und bei Weitem nicht den wahren Preis dafür bezahlen. Wenn man für anständige Arbeitsbedingungen in den Minen sorgen würde, wenn man Umweltkosten wie Wasserverschmutzung oder Bodenerosion einpreisen würde, wären Rohstoffe so teuer, dass der Überflusskonsum gar nicht mehr möglich wäre. Instandhaltung und Reparatur würden sich auf einmal viel mehr lohnen. Grundsätzlich sind Steuern und Abgaben ein zentrales Instrument. Menschliche Arbeit sollte nicht mehr besteuert werden. Wenn das Aufarbeiten von Gütern billiger wird als die Herstellung neuer Güter, zwingt das die Hersteller dazu, den Güternutzen zu verkaufen. Und dann lohnt es sich auch, die Produkte langlebig, demontierbar und reparierbar zu machen.

Darüber hinaus müssen wir Produkte so bauen, dass die Rohstoffe einfach zurückgewonnen werden können. Dass in einem Pkw etwa nicht zahllose unterschiedliche Stahl- und Aluminiumlegierungen verbaut sind, die mit einem einfachen Schredder nicht mehr sauber zu trennen sind.

Wenn Sie Regierungschef wären und freie Entscheidungsgewalt hätten – was würden Sie in punkto Circular Economy entscheiden?

Dass alle lebenswichtigen Systeme des Landes Redundanz und Resilienz aufweisen. Sie müssen auch funktionieren können, wenn aus irgendeinem Grund keine Rohstoffe oder Energien mehr aus dem Ausland geliefert werden. Das ist in einem Land wie der Schweiz natürlich schwierig, aber in Deutschland wäre das machbar.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Christiane Weihe.

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Im Interview mit eco@work: Walter Stahel, Gründer und Leiter des Instituts für Produktdauer-Forschung (Genf)