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Klimaschädlicher geht’s nicht

Wie kann der Luftverkehr nachhaltiger werden?

Christiane Weihe

Wenn in Frankfurt ein Flugzeug nach New York startet, beginnt eine besonders klimaschädliche Reise: Jeder Passagier und jede Passagierin verursacht für den Hin- und Rückflug eine Erderwärmung, die der Wirkung von fast vier Tonnen CO2 entspricht. So viele Emissionen entstehen auch, wenn man 21.900 Kilometer mit dem Auto fährt. Kein Verkehrsmittel ist damit so schädlich wie das Flugzeug. Dennoch hat der Luftverkehr in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen und es fehlt nach wie vor an wirksamen politischen Maßnahmen, um die Treibhausgasemissionen des Luftverkehrs zu reduzieren. Im aktuellen Spendenprojekt hat sich das Öko-Institut ausführlich dem Klimaschutz im Luftverkehr gewidmet und dabei auch seine Regulierung und Subventionierung analysiert und bewertet.

Für manch einen wirken die direkten Emissionen des Luftverkehrs vielleicht vernachlässigbar – sie haben einen Anteil von etwa 2,5 Prozent an den globalen CO2-Emissionen. Doch sind darin die so genannten Nicht-CO2-Effekte nicht berücksichtigt. „Anders als zum Beispiel ein Auto oder ein Motorrad stoßen Flugzeuge ihre Emissionen in zehn Kilometern Höhe aus – das macht sie weitaus klimaschädlicher“, erklärt Jakob Graichen, Senior Researcher am Öko-Institut. „Flugzeuge tragen zur Wolkenbildung bei und haben komplexe Wirkungen auf das Klima: Der durch sie verursachte Beitrag zur Erderhitzung ist drei Mal höher als bei „normalen“ CO2-Emissionen aus der Kraftstoffverbrennung.“ Da die Nicht-CO2-Effekte nur in höheren Flughöhen eine wesentliche Rolle spielen, ist die klimaschädliche Wirkung von Flugzeugen zudem auf langen Strecken viel höher als auf kurzen.

Darüber hinaus ist der Luftverkehr kontinuierlich angestiegen, in den vergangenen Jahren um jeweils vier bis fünf Prozent. Prognosen gingen vor der COVID-19-Pandemie auch weiterhin von einem starken Wachstum aus. So erwartete das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) noch Ende 2019 einen Anstieg der weltweiten Passagierzahlen von rund vier Milliarden im Jahr 2016 auf über neun Milliarden im Jahr 2040. „Durch die Pandemie gab es einen immensen Einbruch, der auch in den kommenden Jahren spürbar sein wird“, sagt Graichen, „so wird sich die Zahl der Dienstreisen vermutlich reduzieren – jetzt, wo wir erlebt haben, dass Videokonferenzen eine echte und bequeme Alternative sind.“ Der Wissenschaftler aus dem Bereich Energie & Klimaschutz erwartet auch, dass kurzfristig weniger Fernreisen geplant werden und mehr Urlaub im eigenen Land gemacht wird. „Ich glaube aber nicht, dass sich das Reiseverhalten dauerhaft verändert“, sagt er, „es ist davon auszugehen, dass sich der Tourismus in ein paar Jahren wieder der Situation vor 2020 annähert und der Luftverkehr weiter wächst – mit all seinen negativen Konsequenzen.“

AM ANFANG DES WEGES

Dabei müsste die Luftverkehrsindustrie zur Erreichung der Klimaziele bis 2050 klimaneutral werden. Wege, wie die Branche dies erreichen kann, sind jedoch nach wie vor nur teilweise in Sicht. „Es gibt zwar Verbesserungen bei der Energieeffizienz, doch sie reichen nicht ansatzweise, um den Zuwachs an Flügen zu kompensieren geschweige denn Treibhausgasminderungen zu erreichen“, sagt Jakob Graichen. Auch alternative Antriebe sind für den Senior Researcher Zukunftsmusik. „Kurzstreckenflüge könnten mittelfristig elektrisch betrieben werden, so wie Norwegen das ab 2040 plant“, sagt er, „für Langstreckenflüge sind synthetische Kraftstoffe die wahrscheinlichste Klimaschutzoption, da diese mit Hilfe von erneuerbaren Energien produziert werden können.“ Doch der Experte betont auch: Für schnelle Emissionsminderungen im Luftverkehr sind diese Kraftstoffe nicht zu gebrauchen. „Sie sind bislang noch deutlich teurer und zum Teil nicht ausgereift. Es wird noch Jahrzehnte dauern, bis die globalen Infrastrukturen und Produktionskapazitäten auf einem angemessenen Stand sind“, so Graichen. „Zur Einordnung der Potenziale hilft außerdem ein Vergleich: Wollte man heute den gesamten globalen Luftverkehr mit klimafreundlichem E-Kraftstoff betreiben, müsste man die weltweite erneuerbare Stromproduktion ausschließlich zum Antrieb von Flugzeugen verwenden.“

Und während es auf technischer Seite noch viel zu tun gibt, ergreift auch die nationale und internationale Politik keine ausreichenden Maßnahmen, um schon heute mehr Klimaschutz im Luftverkehr durchzusetzen. Im Gegenteil: Die Branche wird in hohem Maße subventioniert. „Fliegen wird künstlich verbilligt“, erklärt Graichen, „so gibt es keine Mehrwertsteuer auf internationale Flugtickets und keine Besteuerung des Treibstoffes – übrigens im Gegensatz zu allen anderen Verkehrsträgern.“ Durch eine Energiesteuerbefreiung subventioniert alleine die Bundesrepublik den Luftverkehr mit acht Milliarden Euro im Jahr, EU-weit belaufen sich die Subventionen auf etwa 27 Milliarden Euro. Die Mehrwertsteuerbefreiung kostet Deutschland jährlich rund fünf und die EU rund 30 Milliarden Euro im Jahr. „Davon profitieren übrigens vor allem Menschen mit höherem Einkommen, weil sie häufiger fliegen.“ Aus Sicht des Senior Researchers ist es an der Zeit, dass der Luftverkehr steuerlich wie jeder andere Sektor behandelt wird – durch die Erhebung der Mehrwertsteuer oder durch eine deutlich höhere Ticketsteuer vor allem für Mittel- und Fernstrecken. „Wenn es teurer wird, fliegen auch weniger Menschen“, sagt Graichen, „ein noch wirksamerer Anreiz für den Klimaschutz ist aber die Einführung einer Kerosinsteuer, weil sie den Energieverbrauch teurer macht und damit einen direkten Anreiz zur Emissionsreduktion gibt.“

Im Rahmen des Spendenprojektes „Über den Wolken oder am Boden bleiben?“ hat das Öko-Institut unterschiedliche Maßnahmen zur Regulierung des Luftverkehrs und seiner Emissionen analysiert und ihren (möglichen) Beitrag für den Klimaschutz bewertet. So ist der innereuropäische Luftverkehr Teil des EU-Emissionshandels (EU-ETS). Doch auch dieses Instrument erzielt laut Jakob Graichen kaum Wirksamkeit im Sektor. „Zunächst hat der Emissionshandel nur einen sehr begrenzten Einflussbereich und er deckt nur die CO2-Emissionen, nicht aber die indirekte Klimawirkung von Flügen ab“, sagt er, „darüber hinaus erhält die Luftverkehrsindustrie einen großen Teil der Zertifikate ohne sinnvolle Begründung kostenlos.“ Denn: Wenn die Gefahr besteht, dass eine klimaschädliche Aktivität in ein Nicht-EU-Land abwandert – man spricht hier von Carbon leakage – können Zertifikate im EU-ETS frei zugeteilt werden. „Beim Luftverkehr wandern die Passagiere und Passagierinnen aber nicht ab. Sie wollen weiterhin von zu Hause abfliegen“, so der Wissenschaftler, „daher sollten die freien Zuteilungen abgeschafft werden, um dadurch stärkere Anreize zur Emissionsminderung zu setzen.“

WIRKUNGSLOS: CORSIA

Klare Worte findet Jakob Graichen auch für CORSIA, das internationale Abkommen zur Begrenzung der CO2-Emissionen der Luftverkehrsindustrie unter der internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO: „Das taugt nichts“, sagt er. Unter dem Abkommen sollten die Emissionen stabilisiert werden, indem Fluggesellschaften ab 2021 Kompensationszertifikate aus Klimaschutzprojekten kaufen müssen, wenn ihre Emissionen über einem Referenzwert liegen. „Ursprünglich sollte dieser Referenzwert auf Grundlage der durchschnittlichen Emissionen der Jahre 2019 und 2020 festgelegt werden“, erklärt Jakob Graichen, „natürlich möchte die Luftfahrtindustrie möglichst hohe Referenzwerte. Sie argumentierte in diesem Frühjahr mit einem starken Einbruch durch die COVID-19-Pandemie, dass alleine 2019 als Referenzjahr festgelegt werden sollte. Ihre Befürchtung: Aufgrund des historischen Tiefs der Flugemissionen im Jahr 2020 sei die Bemessungsgrundlage sonst besonders niedrig und es wären sehr viele Emissionen kompensationspflichtig.“ Mit Unterstützung der EU-Mitgliedsländer hat der ICAO Council sich dieser Haltung angeschlossen und 2019 als Referenzjahr definiert.

Aus Sicht des Öko-Instituts werden die Emissionen des Luftverkehrs jedoch auch langfristig deutlich unter den ursprünglichen Annahmen liegen. Das zeigt die Kurzanalyse „Should CORSIA be changed due to the COVID-19 crisis?“. „Die Luftverkehrsindustrie ist von der Pandemie deutlich stärker betroffen als andere Sektoren. Wir gehen davon aus, dass es auch länger dauern wird, bis ein Vor-Krisen-Niveau erreicht wird“, sagt Graichen. Bei vorherigen Krisen wie etwa dem Golfkrieg oder der Wirtschaftskrise von 2008 habe dies etwa zwei bis sechs Jahre gedauert. „Der Kompensationsbedarf unter CORSIA hätte sich daher nur minimal geändert: Die Auswirkungen des niedrigeren Referenzwerts und der niedrigeren Emissionen hätten sich gut ausgeglichen“, sagt der Senior Researcher. Doch bereits vor diesen Änderungen hatte CORSIA erhebliche Schwächen, betont er. „Das System adressiert allein das Emissionswachstum, deckt nur einen Teil der globalen Emissionen ab und die Qualität der zugelassenen Ausgleichszertifikate ist fragwürdig. So müssen zum Beispiel Waldprojekte nur für etwa zwanzig Jahre garantieren, dass der Wald auch effektiv stehen bleibt. In der jetzigen Form bringt CORSIA nichts für den Klimaschutz.“

EIN NEUER ANLAUF?

Klimaschutz im Luftverkehr – aussichtslos? Nicht ganz, sagt Jakob Graichen. Denn es gibt Bewegung in der Politik. Im November 2019 sprachen sich neun EU-Mitgliedsstaaten – darunter auch Deutschland – für eine stärkere Besteuerung aus. Auch die EU-Kommission will sich im Rahmen des Green Deal den Steuerausnahmen für Kerosin widmen. „Bis Juni 2021 soll es einen Vorschlag für ein überarbeitetes Energiesteuerrecht geben“, so der Senior Researcher. „Bislang sind alle Versuche hierfür gescheitert, unter anderem, weil es beim Steuerrecht Einstimmigkeit geben muss und sich immer wieder Länder querstellen. Vielleicht gibt es nun endlich einen erfolgreicheren Anlauf. Oder aber eine „Allianz der Willigen“, bei der sich Mitgliedsstaaten bilateral auf eine Kerosinbesteuerung einigen.“

Wenn in Zukunft in Frankfurt ein Flugzeug nach New York startet, könnte das Ticket dann vielleicht ein Stück teurer sein. Bislang ist das Fliegen jedoch unangemessen billig, eine sinnvolle Besteuerung und ein wirksamer Emissionshandel sind unverzichtbar. „Ich bin persönlich kein strikter Gegner des Luftverkehrs“, sagt Jakob Graichen, „aber wir brauchen endlich tiefergehende Maßnahmen, um das unbegrenzte Wachstum zu beenden, den Luftverkehr zu reduzieren und diesen klimaneutral zu gestalten.“

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Jakob Graichen ist Senior Researcher im Bereich Energie & Klimaschutz des Öko-Instituts. Er forscht zu Politiken und Maßnahmen, mit denen die Emissionen des Luft- und Schiffsverkehrs reduziert werden können. Darüber hinaus arbeitet der Physiker unter anderem zum Green Deal der EU und zur Weiterentwicklung des europäischen Emissionshandels.