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„Die neue Biodiversitätsstrategie spricht verschiedene EU-Politiken an“

Interview mit Stefan Leiner (Europäische Kommission)

Christiane Weihe

Die biologische Vielfalt ist auch in Europa stark bedroht, es gibt keinen ausreichenden Schutz für Tier- und Pflanzenarten sowie ihre Lebensräume. Deutliche Verbesserungen der Rahmenbedingungen soll die EU-Biodiversitätsstrategie bringen, die im Rahmen des Green Deal erarbeitet wurde. Ihre Ziele beinhalten unter anderem den gesetzlichen Schutz von Landflächen und Meeresgebieten, die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme sowie die Umkehr des Rückgangs von Bestäubern wie Wildbienen oder Schmetterlingen. Im Gespräch mit eco@work erklärt Stefan Leiner, Leiter des Referats Biodiversität bei der Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission, wie diese Ziele erreicht werden können und ob es realistisch ist, bis 2050 einen guten Zustand der Ökosysteme zu ermöglichen.

Herr Leiner, was sind die Vorteile der neuen EU-Biodiversitätsstrategie?

Sie ist wissenschaftlichen Erkenntnissen gefolgt. Wir haben jetzt Maßnahmen, die direkt auf die Ursachen für den Verlust der biologischen Vielfalt ausgerichtet sind – und ganz konkrete, messbare Ziele. So etwa, dass mindestens 30 Prozent der Landfläche und Meere zu Schutzgebieten werden und ein Drittel davon, also insgesamt zehn Prozent, unter sehr strengem Schutz stehen sollen. Gleichzeitig spricht die neue Biodiversitätsstrategie verschiedene EU-Politiken an und konzentriert sich nicht nur auf die Umweltpolitik. Da geht es auch um Land- und Forstwirtschaft, um Forschung und Entwicklung, um Finanzen und Ökonomie sowie die Entwicklungszusammenarbeit.

Warum spielt das Thema Konsum in der Biodiversitätsstrategie kaum eine Rolle?

Weil es nicht so einfach ist, hier auf europäischer Ebene etwas zu tun. Hier sind eher die nationalen und lokalen Stellen gefragt. Gleichzeitig werden viele Maßnahmen oder Verordnungen, die wir initiieren, einen Einfluss auf den Konsum haben. So etwa mit Blick auf die Zusammenarbeit mit Unternehmen oder die Ziele zum Biolandbau. Darüber hinaus spricht die Farm-to-fork-Strategie, also die Hof-auf-den-Teller-Strategie, die gleichzeitig mit der Biodiversitätsstrategie verabschiedet wurde, ja mehrere Konsumthemen an. So etwa in Hinsicht auf die Kennzeichnung von Lebensmitteln oder die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung.

Die sogenannten Restoration Targets sollen in Zukunft dabei helfen, Biodiversität wiederherzustellen. Wie kann das gelingen?

Indem ein allgemeines Ziel in einem EU-Rechtsakt formuliert wird, dass 2050 die Ökosysteme in einem guten Zustand sind. Darüber hinaus brauchen wir ganz konkrete, rechtlich verbindliche Ziele für die Mitgliedsstaaten, einen bestimmten Anteil der unterschiedlichen Ökosysteme, die in den EU-Naturschutzrichtlinien aufgeführt werden, bis 2030, 2040 und 2050 wiederherzustellen. Es braucht ganz klare Anforderungen an die Mitgliedsstaaten, die deutlich mehr erreichen müssen als bislang. So sollten die Anteile an Flächen, die in diesem guten Zustand sind, deutlich steigen. Und auch auf den Bestäuberpopulationen, der Wiederherstellung von Meeresökosystemen sowie der Steigerung von Grünflächen in Städten liegt ein besonderes Augenmerk. Die Mitgliedstaaten sollen hierzu nationale Wiederherstellungspläne für die Natur erstellen.

Ist es realistisch, bis 2050 einen guten Zustand der Ökosysteme zu erreichen?

Wenn die verschiedenen rechtlichen, finanziellen und gesellschaftlichen Anreize, die es durchaus gibt für den Schutz und die Wiederherstellung von gesunden Ökosystemen, wirklich genutzt werden, ist es machbar. Es bestehen ja viele Beispiele, etwa erfolgreiche EU-LIFE-Projekte, bei denen wir auch in Deutschland sehen, was in kurzer Zeit möglich ist – etwa bei der Renaturierung von Mooren.

Wie müsste eine Agrarpolitik aussehen, die stärker auf Biodiversität ausgerichtet ist?

Sie müsste die Förderung zum Beispiel so ausrichten, dass Landwirtschaftsbetriebe, die mehr biologische Vielfalt auf ihren Flächen haben, auch mehr Geld bekommen. Das ist im Moment leider nicht der Fall.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Christiane Weihe.

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Im Interview mit eco@work:  Stefan Leiner, Leiter des Referats Biodiversität bei der Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission