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Im Fokus

Politikinstrumente für die Wärmewende

Ein behäbiges Schiff

Christiane Weihe

So wie es ist, kann es nicht bleiben: Der Gebäudebereich steuert auf eine große Klimaschutzlücke zu. Eigentlich sollen seine Treibhausgasemissionen laut dem Klimaschutzgesetz bis 2030 auf 70 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente (CO2e) sinken, das wäre im Vergleich zu 1990 eine Minderung um 67 Prozent. Mit den bisherigen Maßnahmen kann dieses Ziel jedoch nicht erreicht werden: Eine Analyse, die unter Leitung des Öko-Instituts durchgeführt wurde, erwartet eine Lücke von fast 17 Millionen Tonnen CO2e, wenn nicht gegengesteuert wird. Die Expertinnen und Experten aus dem Bereich Energie & Klimaschutz haben bereits in vielen Studien skizziert, wo die Wärmewende steht und mit welchen Instrumenten sich ein nahezu klimaneutraler Gebäudebestand doch noch erreichen lässt.

„Der Wärmesektor ist wie ein sehr schweres, behäbiges Schiff“, sagt Dr. Veit Bürger, Wissenschaftler am Öko-Institut, „wenn man verhindern will, dass es auf Grund läuft, muss man das Ruder rechtzeitig herumreißen, damit es genug Zeit hat, den Kurs zu ändern.“ Das heißt für den Wissenschaftler vom Öko-Institut: So schnell wie möglich, aber spätestens in der nächsten Legislaturperiode, die im Herbst 2021 beginnt. „Die Lücke mit Blick auf das Klimaschutzziel ist einfach zu groß.“ Darüber hinaus gibt es im Gebäudesektor sehr lange Investitionszyklen, umfangreiche Arbeiten etwa an Dächern oder der Außenhülle werden nur im Abstand von Jahrzehnten durchgeführt. „Ein weiteres Problem ist der Mangel an qualifizierten Handwerkern und Handwerkerinnen“, sagt Bürger, „auch das lässt sich nicht so schnell beheben, hier gibt es schließlich mehrjährige Ausbildungszeiten.“

Doch warum ist im Gebäudebereich nicht ausreichend passiert? Immerhin sind Heizung und Warmwasserverbrauch für mehr als 80 Prozent des Energiebedarfs von Privathaushalten verantwortlich. Durch Wärmedämmung könnte der Wärmebedarf unsanierter Häuser um bis zu 80 Prozent sinken. Und der Sanierungsbedarf ist hoch: So sind bei rund der Hälfte aller Ein- und Zweifamilienhäuser die Außenwände nicht gedämmt, bei vielen wärmegedämmten Gebäuden reichen die Dämmstandards nicht aus.

Die Ursachen für die schleppende Sanierung sind vielfältig, sagt der stellvertretende Leiter des Bereichs Energie & Klimaschutz in Freiburg. „Bei der Energiewende hat man sich lange auf den Stromsektor konzentriert, auch, weil die Transformation hier einfacher ist und weniger Entscheiderinnen und Entscheider betroffen sind. Im Gebäudesektor hat man es mit mehr als 15 Millionen Eigentümerinnen und Eigentümern zu tun, die man überzeugen und motivieren muss.“ Bei der Wärmeerzeugung sei nun aber unter anderem durch den Kohleausstieg ein erhöhter Handlungsdruck entstanden. „Wenn Kohlekraftwerke vom Netz gehen, fallen auch viele Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen weg. Die bislang durch sie erzeugte Wärme, die Kundinnen und Kunden über Fernwärmenetze versorgt, muss ersetzt werden.“

Fordern, fördern, informieren

Die Wärmewende kann durch viele unterschiedliche Instrumente vorangebracht werden, kleinere und größere, breit gefächerte und spezialisierte. „Es gibt quasi einen Dreiklang aus fördernden, fordernden und informierenden Elementen“, sagt Veit Bürger, „so gibt es inzwischen viele gute Förderprogramme und Informationskampagnen.“ Mehr als 5,5 Milliarden Euro stellt die Bundesregierung im laufenden Jahr für die Gebäudesanierung zur Verfügung. Damit wird die Dämmung von Fassaden und die Modernisierung von Fenstern ebenso gefördert wie der Einbau neuer Heizanlagen. „In Zukunft wird es aber noch mehr Geld für Förderungen brauchen.“ Gleichzeitig müssten die Förderbedingungen angepasst werden, um bessere Anreize für ambitioniertere Effizienzstandards zu setzen. So fördert der Staat noch immer das so genannte Effizienzhaus 100, das als Referenz in etwa dem aktuellen Standard des Gebäudeenergiegesetzes für Neubauten entspricht. „Wenn wir die Klimaziele im Gebäudesektor erreichen wollen, brauchen wir jedoch die effizienteren Standards 40, 55 oder 70, bei denen das Gebäude im Vergleich dann nur noch 40, 55 bzw. 70 Prozent der Primärenergie des Referenzgebäudes verbraucht“, fordert der Experte vom Öko-Institut. „Denn ein Großteil der Gebäude, in denen wir heute wohnen und arbeiten, wird auch 2050 noch stehen. Das heißt, wir werden die Klimaziele des Gebäudesektors nur dann erreichen, wenn wir heute nach ambitionierten Standards bauen und unseren heutigen Gebäudebestand ambitioniert durchsanieren.“

Die Förderungen können zudem eine wichtige Rolle bei einem verschärften Ordnungsrecht spielen – damit alle Eigentümerinnen und Eigentümer, die zur Sanierung verpflichtet werden, das auch finanzieren können. „Das Ordnungsrecht muss deutlich aktiver werden und Sanierungsanlässe schaffen, etwa indem besonders ineffiziente Gebäude ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr neu vermietet werden dürfen. Eine Möglichkeit wäre auch, dass immer dann, wenn Häuser verkauft oder vererbt werden, die neuen Eigentümer und Eigentümerinnen innerhalb einer vorgegebenen Frist das Gebäude auf eine bestimmte Effizienzklasse sanieren müssen“, so der Wissenschaftler. „Wichtig ist hier, dass die Auflagen mit der Zeit immer strenger werden, um eine immer höhere Effizienz zu erreichen.“ Auch eine Pflicht für Solaranlagen auf Neubauten und bei der Sanierung von Dächern bestehender Häuser, wie sie in Hamburg und Baden-Württemberg bereits eingeführt wurde, hält der Wissenschaftler für sinnvoll. „Wir brauchen diese Flächen dringend für die Energiegewinnung.“

Bereits seit Anfang 2021 werden zudem die Treibhausgasemissionen, die beim Heizen entstehen, mit einem CO2-Preis von zunächst 25 Euro pro Tonne versehen. Bis 2025 steigt der Preis auf 55 Euro. Ein Instrument, das aus Sicht des Öko-Instituts noch weiterentwickelt werden muss. „Wichtig ist eine weitere, sukzessive Erhöhung des CO2-Preises bei einer gleichzeitigen Senkung des Strompreises“, sagt Bürger. Letzteres sei notwendig, um bei Hauseigentümern und Hauseigentümerinnen die Anreize zu vergrößern, Wärmepumpen einzusetzen, die eine der Schlüsseltechnologien der Wärmewende darstellen. „In der Heizkostenverordnung sollte zudem festgelegt werden, dass durch den CO2-Preis in vermieteten Gebäuden nicht allein die Mietenden belastet werden, sondern auch die Besitzenden, da sie die Sanierungsentscheidungen treffen.“

Sinnvoll ist es auch, fossile Energien im Heizungskeller langfristig zu verbieten. „Ab 2026 gibt es bereits ein Verbot für neue, reine Ölheizungen – eine solche Entscheidung braucht es nun auch für Erdgasheizungen.“ Öl- und Gaskessel können auch mit erneuerbaren Energien kombiniert werden, so etwa in Form einer sogenannten Hybrid-Wärmepumpe. Aus Sicht des stellvertretenden Bereichsleiters muss dabei sichergestellt werden, dass die Einsatzzeit des fossilen Kessels auf die besonders kalten Tage im Jahr beschränkt wird.

Nicht nur eine Kombination aus fordernden und fördernden Instrumenten ist sinnvoll, auch das Zusammenspiel von fördernden und informierenden Elementen kann sich lohnen: beim gebäudeindividuellen Sanierungsfahrplan. In diesem bewerten Energieberater und -beraterinnen den gesamten Sanierungsbedarf eines Hauses und in welchen Schritten die Sanierung sinnvoll umgesetzt werden kann. „Wenn jemand eine Förderung für nur eine einzelne Maßnahme beantragt – etwa für die Dachsanierung oder den Heizungsaustausch – sollte er den Zuschlag nur bekommen, wenn ein Sanierungsfahrplan vorliegt“, erklärt der Experte, „so wird verhindert, dass einzelne Maßnahmen durchgeführt werden, die später vielleicht nicht mit weiteren Sanierungsschritten harmonieren.“

Wegweiser für die Wärmewende

Im Projekt „Systemische Herausforderung der Wärmewende“ für das Umweltbundesamt hat sich das Öko-Institut gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE und dem Hamburg Institut ausführlich der Wärmewende gewidmet. „Hier haben wir einen Fahrplan entwickelt, wie die Sanierungsraten steigen müssen, ab wann Verbote für Öl- und Gasheizungen gelten sollten und die Fernwärme CO2-ärmer werden muss“, sagt Bürger, „erarbeitet haben wir diesen Fahrplan vom Ziel her, dem klimaneutralen Gebäudebestand.“ Betrachtet wurden außerdem die relevanten Akteurinnen und Akteure im Wärmemarkt sowie die Rolle der Wärmenetze für die Wärmewende. Zusätzlich hat das Projektteam eine Instrumenten-Roadmap entwickelt, die Gesetze und Förderprogramme skizziert, mit denen dieser Fahrplan umgesetzt werden kann. Dazu gehören neben den meisten zuvor erläuterten Politikinstrumenten unter anderem auch konsequente Nachwuchs- und Umschulungsprogramme im Handwerk, eine Förderung regionaler Beratungsnetzwerke, Mindestquoten an erneuerbaren Energien für Wärmenetzbetreiber sowie eine Anpassung des Regulierungsrahmens für die Fernwärme oder auch eine verpflichtende Wärmeplanung für Kommunen (siehe hierzu ausführlich „Hier Einzelheizung, da Fernwärme“ auf Seite 10).

Ausstieg mit Folgen

Eine wichtige Frage, die noch nicht gelöst ist, ist für den Wissenschaftler auch jene nach der Zukunft des Erdgasnetzes. „Wenn Gasheizungen verboten werden, gibt es mit dem Gasverteilnetz eine Infrastruktur, die nach und nach überflüssig wird. Bislang wird dieser Frage noch viel zu wenig Beachtung geschenkt, das muss sich dringend ändern. Der Ausstieg aus dieser Infrastruktur muss strategisch angegangen werden, hier braucht es auch Konzepte, wie das reguliert werden kann.“ Viele Gasversorger argumentierten, man könne das Netz langfristig für Wasserstoff nutzen. „Dessen Verfügbarkeit ist aber begrenzt und Wasserstoff ist viel zu teuer, um ihn als Heizenergie einzusetzen“, so der Wissenschaftler vom Öko-Institut. „Deswegen wird das Erdgasverteilnetz langfristig deutlich an Bedeutung verlieren.“

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Die nachhaltige Transformation des Wärmesektors steht im Mittelpunkt der Arbeit von Dr. Veit Bürger. Der Physiker und Energiewirtschaftler entwickelt, bewertet und evaluiert entsprechende Politikinstrumente, insbesondere mit Blick auf die energetische Modernisierung des Gebäudebestandes sowie die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung. In seinen Projekten widmet er sich der Wärmewende auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene.