Wie die Kerosinsteuer dem Klimaschutz hilft
In seinem Standpunkt hat Professor Joachim Weimann am Dienstag argumentiert, dass eine Extra-Steuer im Flugverkehr kosteneffizienter Klimapolitik entgegen stehen würde, wenn es einen Emissionshandel gebe. Jakob Graichen vom Öko-Institut widerspricht: Eine Kerosinsteuer treibe die notwendige Dekarbonisierung des Sektors voran. Zudem werde der Wasserbetteffekt durch die Marktstabilitätsreserve im Emissionshandel vermieden.
Professor Joachim Weimann zufolge hat eine Steuer zusätzlich zum EU-Emissionshandel keinen Klimanutzen und ist kontraproduktiv. Er begründet dies im Wesentlichen mit zwei Argumenten: Kosteneffizienz erfordere erstens einen einheitlichen CO2-Preis; ohne Kosteneffizienz würde die Klimapolitik scheitern. Zweitens würden vermiedene Emissionen im Luftverkehr wegen des EU Emissionshandels zu höheren Emissionen in der Industrie und im Energiesektor führen. Der Artikel kumuliert mit der Aussage, man könne in Europa ohne „schlechtes Klimagewissen“ fliegen. Starke Worte mit einem absoluten Wahrheitsanspruch, die auf dünnem Fundament stehen. Kosteneffizienz als Maxime der Klimapolitik Um das Mindestziel des Pariser Abkommens, eine Begrenzung des Klimawandels auf deutlich unter zwei Grad, zu erreichen, müssen die globalen Treibhausgas-Emissionen in 50 Jahren gegen Null gehen. Zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels bleibt deutlich weniger Zeit. Der Ausstieg aus der energetischen Nutzung von fossilen Brennstoffen muss deshalb schon in der Mitte des Jahrhunderts weitestgehend abgeschlossen sein, damit das verbliebene Restemissionsbudget für Sektoren wie zum Beispiel Landwirtschaft und einige Industrieprozesse übrigbleibt, in denen die Minderung deutlich schwieriger ist. Die Langfriststrategie der EU-Kommission hat sogar zum Ziel, Netto-Null-Emissionen schon bis 2050 zu erreichen. Dies wird nur möglich sein, wenn die dafür notwendige Transformation in allen Sektoren unverzüglich beginnt, da die Investitionszyklen für Anlagen und Infrastrukturen oft 30 Jahre überschreiten. Und genau hier greift die reine Bewertung von Klimapolitiken aus Sicht der Kosteneffizienz zu kurz: ein CO2-Preis von 40 Euro pro Tonne reicht, um die Kohleverstromung unrentabel zu machen. Im Verkehrssektor würde zu den Kosten kein nennenswerter Wandel angestoßen werden. Neben den relativ hohen Kosten vieler technischer Lösungen ist gerade im Verkehr die Zahlungsbereitschaft in großen Teilen der Bevölkerung so hoch, dass die relativen CO2-Vermeidungskosten eine untergeordnete Rolle spielen. Der Homo oeconomicus würde auf den meisten Strecken Fahrrad statt Auto fahren und sich einen verbrauchsarmen Kleinwagen statt einem überdimensionierten Straßenkreuzer zulegen. Die Realität sieht anders aus. Für den Flugverkehr bedeutet dies: bei allen absehbaren CO2-Preisen würde höchstens das Wachstum des Sektors leicht gebremst, eine Dekarbonisierung würde nicht angeschoben. Alle Projektionen gehen von einem stetigen und starken Wachstum sowohl der Nachfrage als auch der Emissionen des Flugverkehrssektors bis 2050 aus. Diverse Ansätze zu emissionsfreien Flügen existieren, die aber alle nicht kurzfristig umgesetzt werden können und ohne klare Anreize von der Industrie nicht eingeführt werden. Eine zentrale Rolle insbesondere für Langstreckenflüge wird dabei aus erneuerbaren Energien hergestelltes synthetisches Kerosin spielen. Auch wenn erste Versuchsanlagen schon existieren, wird der Aufbau der notwendigen globalen Produktionskapazitäten und Infrastruktur Jahrzehnte benötigen. Wenn damit gewartet wird, bis das letzte fossile Kraftwerk abgeschaltet und der CO2-Preis hoch genug ist, bleibt nicht genug Zeit um bis 2050 emissionsneutral zu werden. Eine Steuer nur auf fossiles Kerosin würde die Kostendifferenz zu dem synthetischen Kraftstoff reduzieren, weitere flankierende Maßnahmen wären aber auch dann noch zur Einführung notwendig. Neben der rechtzeitigen Transformation gibt es auch andere gute Gründe, Kosteneffizienz nicht als Hauptkriterium der Klimapolitik zu setzen. Dazu gehören technische Innovation und Marktführerschaft, eine Minimierung von möglichen negativen sozialen Auswirkungen und die Signalwirkung über Deutschland und die EU hinaus. Klimanutzen einer Kerosinsteuer In einem Emissionshandelssystem (ETS), wie es im Lehrbuch steht, hat eine staatliche Intervention in einem Sektor kurzfristig tatsächlich keine Auswirkungen auf die gesamte Emissionsmenge des Systems. Wenn ein Sektor weniger emittiert, stehen den anderen Sektoren im ETS mehr Zertifikate zur Verfügung und dort wird entsprechend mehr CO2 produziert („Wasserbetteffekt“). Aber selbst in so einem System würde die Maßnahme mittelfristig Wirkung zeigen: bei der Festlegung der Emissionsmenge für zukünftige Handelsperioden würden die Auswirkungen der staatlichen Interventionen berücksichtigt, das Cap könnte schneller reduziert werden. Die Realität im EU ETS geht aber weit über die Vereinfachungen im Lehrbuch hinaus: Der Überschuss an Emissionsberechtigungen ist derzeit so hoch, dass es keine echte Knappheit an Zertifikaten gibt. Deshalb hat sich die EU auf die Marktstabilitätsreserve (MSR) geeinigt, ein Mechanismus, der jedes Jahr einen Teil des Überschusses dem Markt entzieht. Das Entscheidende dabei ist: Die Menge der Zertifikate in der MSR ist gedeckelt, überschüssige Mengen werden ungültig. Dadurch werden bis 2025 ca. zwei Milliarden Zertifikate vollständig dem Markt entzogen. Wenn im Flugverkehrssektor zum Beispiel wegen einer Kerosinsteuer die Emissionen sinken, steigt der Überschuss, die MSR nimmt mehr Zertifikate auf und sie verlieren dort ihre Gültigkeit. So lange es einen Überschuss im EU ETS gibt, verhindert die MSR den Wasserbetteffekt. In Szenarien mit hohen Emissionen wird dies noch mindestens bis 2025 der Fall sein. Werden die beschlossenen Energie- und Klimaziele der EU erreicht, wird die MSR nach den derzeitigen Regeln im ETS sogar bis 2030 dem Markt dauerhaft Zertifikate entziehen. Selbst wenn man der MSR misstraut, könnte die Bundesregierung mit den Einnahmen einer Kerosinsteuer leicht eine entsprechende Menge an Zertifikaten auf dem Markt kaufen und löschen. Im Energiesteuergesetz ist ein Satz für Kerosin in Höhe von 65,5 Cent pro Liter festgelegt, dies entspricht einem CO2-Preis von 260 Euro pro Tonne Fliegen ohne schlechtes Klimagewissen? Selbst wenn man der Argumentation von Herrn Weimann folgt, ist seine Schlussfolgerung nicht korrekt. Neben den CO2-Emissionen beeinflusst der Flugverkehr auch über andere Mechanismen das Klima, insbesondere durch Wolkenbildung, Kondensstreifen sowie Emissionen von NOx und Ruß. Die Klimawirkung dieser Effekte hängt von der Flughöhe, der Tagesszeit und den atmosphärischen Bedingungen ab und kann nur mit erheblichen Unsicherheiten berechnet werden. Der durch diese Mechanismen verursachte Treibhausgas-Effekt ist aber mindestens so hoch wie der des CO2, könnte aber auch das Dreifache betragen. Mit anderen Worten: eine vermiedene Tonne CO2 im Stromsektor gleicht höchstens eine halbe Tonne im Flugverkehr aus, eventuell auch nur ein Viertel. Und zwei Drittel der Emissionen des europäischen Flugverkehrs sind sowieso nicht im Emissionshandel erfasst. Fliegen bleibt der größte negative Einzelposten der persönlichen Klimabilanz. Unter Berücksichtigung der „komplizierten Zusammenhänge“ gibt es also viele gute Gründe, warum zusätzlich zum Emissionshandel noch eine Kerosinsteuer eingeführt werden kann und sollte. Der Artikel ist zuerst am 16. August 2019 im Newsletter „Tagesspiegel BACKGROUND Energie & Klima“ erschienen.
Jakob Graichen ist Senior Researcher im Bereich Energie & Klimaschutz am Öko-Institut in Berlin und forscht u.a. zu Politiken und Maßnahmen zur Reduktion der Emissionen des Luftverkehrs.