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Von der autogerechten zur menschenfreundlichen Stadt

Wie eine Transformation zu nachhaltiger Mobilität gelingen kann und was die Digitalisierung damit zu tun hat, erklärt Dr. Manuela Weber im Interview.

Sicher ist auch das individuelle Verhalten wichtig, um gesamtgesellschaftlich zu einer nachhaltigen Mobilität zu kommen. Die Rahmenbedingungen dafür schaffen jedoch Politik und Verwaltung. Ebenfalls eröffnet die Digitalisierung ganz neue Optionen, vor allem für plattformbasierte Mobilitätsdienstleistungen. Zu letzterem Thema wird Dr. Manuela Weber auch bei der Jahrestagung des Öko-Instituts am 24. Oktober 2019 an einer Podiumsdiskussion teilnehmen.

Der Wunsch nach einer höheren Lebensqualität nimmt vor allem bei der urbanen Bevölkerung in den letzten Jahren stark an Bedeutung zu. Wie kann die Transformation von der autogerechten zur menschenfreundlichen Stadt gelingen?

Ganz wesentlich für eine nachhaltige Entwicklung des städtischen Verkehrs ist eine Verlagerung der Personenverkehre auf den öffentlichen Verkehr sowie den Rad- und Fußverkehr. Gleichzeitig sind eine Verringerung des Verkehrs durch weniger und kürzere Wege sowie eine deutliche Abnahme der Anzahl an privat besessenen Pkw notwendig. Die Förderung von umweltfreundlichen Alternativen allein reicht dazu nicht aus, ist aber in der Regel die einzige strategische Säule der heutigen Verkehrspolitik. Signifikante Verlagerungseffekte können nur in Kombination aus fordernden und fördernden Instrumenten auf kommunaler, Länder- und Bundesebene erzielt werden.

Welchen Beitrag können Politik und Verwaltung leisten, damit der Stellenwert des privaten Pkws sinkt? Was können sie konkret tun?

Es liegt in der Verantwortung der Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik sowie der kommunalen Verwaltung, die Rahmenbedingungen für eine lebenswerte Stadt mit einer Mobilität für alle zu schaffen. Zunächst bedeutet das, nachhaltige Alternativen zum eigenen Pkw – allen voran den Umweltverbund – zu stärken. Fahrrad- und Fußwegeinfrastrukturen, aber auch der ÖPNV müssen weiter ausgebaut werden. Auch im Wohnquartier kann die Verkehrswende beispielsweise durch Sharing-Modelle oder Radabstellanlagen vorangetrieben werden. Letztlich wird es aber nicht funktionieren, wenn nicht auch der Pkw-Besitz und dessen Nutzung maßgeblich erschwert werden. Es braucht eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung und das Privileg des Anwohnerparkens muss auf ein Niveau gehoben werden, welches dem tatsächlichen Wert des dafür benötigten Straßenraums entspricht. Daneben können auch kommunikative Kampagnen (z.B. für Kinder) dabei helfen, die BürgerInnen wach zu rütteln und ihnen eine Vision lebenswerter Städte mit weniger Lärm, Emissionen und Stau und dafür mehr Aufenthaltsqualität mit auf den Weg zu geben.

Welche Chancen bietet die Digitalisierung für mehr Nachhaltigkeit im Verkehr und wo liegen die Grenzen?

Derzeit sind durch Digitalisierung, Vernetzung und Automatisierung Veränderungen im Verkehrssystem zu beobachten, die sich zukünftig noch deutlich verstärken werden. Im Sharing-Bereich zeigen sich die Chancen der Digitalisierung aktuell vor allem in digitalen Plattformen. Diese bieten mit Echtzeitinformationen und mobilen Buchungs- und Bezahlsystemen im öffentlichen Verkehr eine größere Transparenz und Flexibilität sowie auch einen einfacheren Zugang. Das macht den Sektor bereits heute spürbar attraktiver. Daneben profitieren vor allem die neuen Sharing-Modelle wie Car- und Ridesharing von der Digitalisierung bzw. werden dadurch überhaupt erst ermöglicht.

Wir sollten aber auch die Herausforderungen und Risiken der Digitalisierung im Blick behalten. Auch weiterhin werden insbesondere verkehrspolitische Entscheidungen bestimmen, in welche Richtung sich das Mobilitätsverhalten verändern wird. So bedarf es sowohl einer Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes, um den Ridesharing-Dienstleistern einen geeigneten rechtlichen Rahmen zu geben, als auch der Anpassung weiterer rechtlicher Rahmenbedingungen (u.a. Straßenverkehrsordnung). Diese stammen noch aus Zeiten vor der Digitalisierung und müssen auf die neuen Mobilitätsdienstleistungen angepasst werden Nur so lassen sich eventuelle Mehrverkehre durch Car- und Ridesharing vermeiden und die Potenziale der neuen Mobilitätsdienstleistungen als Unterstützung des öffentlichen Verkehrs in nachfrage-schwachen Zeiten und Räumen neu organisieren.

Auch intermodales Verkehrsverhalten, also die Nutzung verschiedener Verkehrsmittel während einer Wegstrecke, wird nicht nur durch analoge Mobilitätsstationen, sondern vor allem auch durch digitale Plattformsysteme vereinfacht. Um das dahinterstehende Potenzial in seiner Gänze zu nutzen, sollte verstärkt aber auch überregional geplant und beispielsweise Verkehrsverbünde miteinander verknüpft werden.

Wie sieht es im ländlichen Raum aus?

Im ländlichen Raum stellen vor allem die (bislang) noch geringeren Nutzerzahlen und die damit einhergehende fehlende Rentabilität eine Herausforderung für plattformbasierte Mobilitätsdienstleistungen dar. In Ballungsgebieten lassen sich diese durchaus kostendeckend betreiben, im ländlichen Raum sind es jedoch nach wie vor häufig Bürgerinitiativen, die ehrenamtlich nachbarschaftliche Mobilitätsdienstleistungen anbieten und beispielsweise private Autos und (Lasten-)Fahrräder teilen. Auch der privat organisierte Bürgerbus zur Sicherung der Daseinsvorsorge und Mobilität als Ergänzung zum öffentlichen Verkehr erlebt durch den Digitalisierungstrend einen Aufschwung. Doch ohne personelle und finanzielle Unterstützung auf kommunaler, Landes- und Bundesebene sind solche zivilgesellschaftlichen Angebote ebenfalls schwer zu verstetigen und – etwa durch Einbindung digitaler Buchungsplattformen – weiterzuentwickeln.

Wird der Markt für Carsharing weiter wachsen?

Der Modal Split, also der prozentuale Anteil des Carsharing am Verkehrsaufkommen, liegt der aktuellen repräsentativen Studie „Mobilität in Deutschland

(2017)“ zufolge immer noch unter zwei Prozent. Darunter fällt sowohl der Anteil stationsbasierter als auch der des free-floating Carsharing. Es besteht also durchaus noch Wachstumspotenzial für Carsharing in Deutschland. Dazu muss man allerdings sagen, dass gerade das Free-floating-Angebot kaum im Stadtrandlagen angeboten wird, wo es ebenfalls eine sinnvolle Alternative zum eigenen (Zweit-)Pkw darstellen würde. Bedenkt man die aktuellen Tendenzen hin zu einer „Mobility as a Service“, also der (digitalen und analogen) Vernetzung verschiedener Mobilitätsangebote, ist das Carsharing als flexible Mobilitätsform auch in Zukunft nicht mehr wegzudenken. Car- und vor allem auch das Ridesharing werden nicht zuletzt auch durch das autonome Fahren im Rahmen der SAVs (Shared autonomous vehicles) einen neuen Aufschwung erfahren.

Um Car- und Ridesharing als Ergänzung zum öffentlichen Verkehr in ihren vielfältigen Ausprägungen aus der Nische zu holen, sind deshalb die Erprobung der Fahrdienste in geeigneten Experimentierräumen und eine Evaluation der Nachfrage ebenso erforderlich wie eine zeitnahe Umsetzung fördernder rechtlicher und politischer Rahmenbedingungen. Nur so ist es langfristig möglich, Car- und Ridesharing als wirtschaftlich tragfähige Geschäftsmodelle in ein nachhaltiges Gesamtsystem für Stadt und Land zu integrieren.

Dr. Manuela Weber ist Expertin für nachhaltige Individualmobilität und arbeitet im Bereich „Ressourcen & Mobilität“ am Standort Berlin.

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