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Eindrücke aus Bali – wie Erkenntnisse vor Ort die Forschung beeinflussen

Dr. Hannes Böttcher stellt ein großes EU-Projekt vor und berichtet über seine Reise nach Bali. Es gibt gute Gründe, hin und wieder zu Projekttreffen zu reisen, um die Gegebenheiten vor Ort besser zu verstehen und theoretische Erkenntnisse praktisch zu überprüfen.

Ist es notwendig, dass sich 26 Personen aus 18 Ländern für eine Woche auf Bali treffen, um an einem EU-Projekt zu arbeiten?

Es gibt wohl kaum ein Gebiet auf der Erde, das nicht vom Menschen beeinflusst ist. Wir bewirtschaften und verändern Land direkt und indirekt für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und andere Aktivitäten. Wie und wo wir das tun, hat auch Auswirkungen auf das Klima.

Das Projekt LANDMARC, das die Auswirkungen der Landbewirtschaftung untersucht und vom EU-Programm Horizon Europe finanziert wird, ist nicht einzigartig. Es zeichnet sich jedoch durch einen besonderen Ansatz aus, der die Interessen von Menschen, die das Land besitzen oder bewirtschaften, einbezieht und mit Messungen vor Ort, Fernerkundungsdaten und der Anwendung von Simulationsmodellen kombiniert. Mit letzteren können die regionalen Ergebnisse auf nationale und globale Ebene übertragen werden. Als das Projekt im Jahr 2020 inmitten der weltweiten Pandemie und den damit verbundenen Kontaktbeschränkungen startete, schien ein solcher Ansatz zum Scheitern verurteilt. Wie sollten die Informationen von Landwirt*innen, Waldbesitzer*innen, Landverwalter*innen und politischen Entscheidungsträger*innen ohne persönlichen Kontakt zusammengetragen werden?

Wie wir Land nutzen, Pflanzen anbauen und Wälder bewirtschaften, lässt sich aus dem Weltraum beobachten. Auch Computermodelle, die menschliches Verhalten, das Wachstum von Pflanzen und den Austausch von Treibhausgasen zwischen Land und Atmosphäre simulieren, können das beschreiben. Ohne Überprüfung an konkreten Beispielen bleiben solche Beobachtungen jedoch spekulativ. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass derartig gewonnene Ergebnisse für Anwendungen im wahren Leben irrelevant sind.

Wiedervernässung von Weideflächen

Daher war es während der ersten Phase des LANDMARC-Projekts die größte Herausforderung, die Überprüfung anhand von Beispielen tatsächlich durchzuführen und die Relevanz der Erkenntnisse aus Modellen und Messungen für alle Beteiligten sicherzustellen. Im Juni 2022 konnten sich die Forscher*innen zum ersten Mal in ihrem Forschungsgebiet treffen: auf dem Land. Das erste Treffen in Präsenz fand im niederländischen Utrecht statt. Dort besuchte die Forschungsgruppe einen Landwirt, der einen Teil seiner Weideflächen wiedervernässt. Unter den Wiesen, auf denen seine Kühe in aller Ruhe grasen, befinden sich mächtige Torfschichten. Diese haben sich im Laufe von mehreren tausend Jahren angesammelt, bauen sich aber nun rasch ab, da das Land zur Steigerung der Produktivität trockengelegt wurde und sich der Torf dadurch zersetzt. Die Folgen sind enorme Emissionen und dass das Land, das bereits unter dem Meeresspiegel liegt, weiter absinkt. Der niederländische Landwirt nutzt das Entwässerungssystem nun in umgekehrter Weise und verteilt das Wasser auf seine Felder. Dadurch sorgt er dafür, dass der Torf feucht bleibt. Der Tierbestand muss auf dem feuchten Land deutlich verringert werden, einen Ausgleich für den finanziellen Verlust erhält der Landwirt durch die Einnahmen aus Kohlenstoffmärkten und Prämien für Vogelbrutplätze.

Schon der erste Realitätscheck hat gezeigt, dass "naturbasierte Lösungen" oder landbasierte Klimaschutztechnologien (LMTs), wie sie von Wissenschaftler*innen und politischen Entscheidungsträger*innen oft technokratisch genannt werden, immer Menschen brauchen, die vor Ort handeln. Zudem haben die Maßnahmen Folgen, mit denen nicht nur die Landwirt*innen, sondern auch viele andere Beteiligte zurechtkommen müssen. Auf diesem Projekttreffen haben wir gelernt, dass Kohlenstoffmärkte ein Instrument zur Finanzierung dieser Art von Maßnahmen sein können. Um das inzwischen bereits sehr komplexe System von Anreizsystemen, freiwilligen Vermarktungsmöglichkeiten und den Synergien aber auch Konflikten mit nationalen und regionalen Gesetzen vollständig zu verstehen, müssen Landwirt*innen jedoch fast wie Börsenmakler*innen geschult werden.

Das LANDMARC Team und lokale Pflanzhelfer*innen nach dem Einsatz

Vor Ort forschen: Erkenntnisse aus Bali in die Forschung übertragen

Ein Projekt wie das LANDMARC-Projekt, das sich auf die Einbindung von Interessensgruppen konzentriert, erfordert mehr solcher Überprüfungen der Realität vor Ort. Im März 2023 konnten wir in den abgelegenen Landschaften der spanischen Extremadura, einer der am dünnsten besiedelten Regionen der EU, und in der landwirtschaftlich geprägten Umgebung von Evora in Portugal die Auswirkungen von Landnutzungsänderungen beobachten und diskutieren. Dabei sprachen wir sowohl über die Extensivierung (schonendere Nutzung) als auch die Intensivierung der Landwirtschaft, und die damit verbundenen Herausforderungen und Chancen bezüglich Feuermanagement, der Erhaltung der biologischen Vielfalt und der Wiederherstellung übernutzter Landschaften. Eine unserer Erkenntnisse: Um das Feuerrisiko in der Extremadura erfolgreich zu bewältigen, braucht man entweder enorme Investitionen in die Landschaftspflege oder ein paar begeisterte Ziegenhirt*innen.

Das LANDMARC-Projekt umfasst insgesamt 14 Fallstudien. Neben Portugal, Spanien und den Niederlanden werden auch in Vietnam, Schweden, Burkina Faso, Venezuela, der Schweiz, Nepal, Kenia, Deutschland, Kanada, der Ukraine und Indonesien Beispiele untersucht. Um mehr über die indonesischen Bedingungen für die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen im Lannutzungssektor zu erfahren, lud der Projektpartner su-re.co das Team im Februar 2024 zu einem Besuch seiner Fallstudienstandorte auf Bali ein.

 

Im Austausch mit dem Vorsitzenden des Subak (Bewässerungsgemeinschaft)

Komposterzeugung ist einfach und kann zum Klimaschutz beitragen

Während des Projekttreffens gab es mehrere Vor-Ort-Besuche bei verschiedenen regionalen Akteuren. Dort haben wir beispielsweise gelernt, dass Kompostierungssysteme dazu beitragen können, Emissionen zu reduzieren, den Bedarf an chemischen Düngemitteln zu verringern, Nährstoffkreisläufe zu schließen und das massive Abfallproblem vieler Regionen, darunter auch Bali, zu lösen. Der in Canggu ansässige Sammel- und Kompostierdienst Urban Compost hat ein Eimersystem eingeführt, mit dem er organische Abfälle, die er von Privathaushalten und Restaurants einsammelt und daraus wertvollen Kompost für den Gartenbau gewinnt. Auf einer Fläche, die so groß ist wie ein Garten in einem ländlichen Wohngebiet in Deutschland, produziert er monatlich fünf Tonnen Kompost aus etwa der fünffachen Menge organischer Abfälle – dank des tropischen Klimas innerhalb von zehn Wochen. Das ist nicht nur ein Beitrag zum Klimaschutz, sondern auch eine Möglichkeit, das Bewusstsein für das Abfallproblem zu schärfen. Und die Motivation der Kund*innen ist hoch: Nachhaltigkeit ist für die Einwohner*innen Balis ein wichtiges Thema, nicht zuletzt wegen des Hinduismus, der den Schutz der Erde in den Mittelpunkt stellt und die größte Religionsgemeinschaft auf der Insel stellt.

Absolut low-tech, absolut sinnvoll: Biogas aus Gülle zum Kochen im Gemeinschaftsgarten

Im Gemeinschaftsgarten werden Methoden der Permakultur vermittelt

 

Im Anschluss an die Exkursionen, die das Projektteam am Vormittag oft nur wenige Kilometer in die Umgebung des Tagungsortes führten, wurde diskutiert, was die Ergebnisse für die Modellierung und die Interpretation der Modellergebnisse von LANDMARC bedeuten. Und es gab viel zu diskutieren, da die Arbeiten im letzten Projektjahr bereits fortgeschritten waren. So waren Fernerkundungsdaten bereits ausgewertet und integriert worden, und durch die Ergebnisse der Befragung von Interessensgruppen hatten wir bereits die Sichtweisen verschiedener Akteure der Landnutzungspolitik eingeholt. Konkret beinhaltete die Woche in Bali auch einen Austausch mit regionalen Akteuren aus Bali und der indonesischen Regierung sowie dem Privatsektor und Finanzierungseinrichtungen.

 

Was haben wir aus dem Austausch in Bali gelernt?

Damit die Ergebnisse des LANDMARC-Projektes für die Beteiligten relevant sind, müssen einige Bedingungen erfüllt sein: Die Interessengruppen müssen unter anderem

  1. klimakompetent sein, das heißt sie müssen ein grundlegendes Verständnis dafür haben, wie die Informationen potenziell nützlich sein können, zum Beispiel saisonale Klimavorhersagen, um die Zeit für die Aussaat von Nutzpflanzen zu optimieren;
  2. mit ihrem Wissen und ihrer Geschichte respektiert werden. Denn sie haben Erfahrung damit, was vor Ort funktioniert und was nicht;
  3. Anreize oder angemessene Bezahlung für ihre Leistungen erhalten, sei es Kohlenstoffspeicherung oder Nahrungsmittelproduktion und
  4. darüber informiert werden, wo die Daten und das Wissen, das sie mit den Wissenschaftler*innen teilen, verwendet werden und wie dies zu einer besseren Politikgestaltung beiträgt.

Die Kaffeekirsche, am Anfang einer langen Lieferkette

Ich habe gezögert, an dem Projektreffen in Bali teilzunehmen: Für eine Woche Treffen ist es ein langer Flug mit entsprechenden Emissionen, auch wenn diese über das Öko-Institut kompensiert werden. Aber die Erfahrung eines gut organisierten Austauschs mit den Akteuren vor Ort lässt sich nicht anders umsetzen als durch ein physisches Treffen: Hände schütteln, mit den Verantwortlichen sprechen, den Kompost riechen, die Kaffeekirschen probieren und die klimatischen Bedingungen erleben. All diese Erfahrungen haben auch Einfluss auf die Forschung. Um die Forschungsergebnisse von LANDMARC in vollem Umfang nutzen zu können, wären mehr solcher Überprüfungen mit realen Bedingungen vor Ort erforderlich. Tatsächlich sind die durch derartige Projekttreffen gewonnenen Erkenntnisse nur eine sehr kleine Stichprobe und reichen nicht aus, um Modelle oder Fernerkundungsprodukte wissenschaftlich zu validieren. Aber gerade auch Anekdoten und persönliche Erfahrungen in der angewandten Forschung, wie sie das Öko-Institut durchführt, sind für politische Entscheidungsträger*innen oft ebenso überzeugend wie Statistiken und ermöglichen es den Forscher*innen, das Mosaik aus Schlussfolgerungen und Empfehlungen für eine verbesserte Landnutzungspolitik abzurunden.

Die Antwort auf die Frage, ob eine solche Reise unbedingt notwendig ist, lautet also: Nein, aber es gibt viele gute Gründe dafür.

Dr. Hannes Böttcher ist Senior Researcher im Bereich Energie & Klimaschutz am Standort Berlin. Ein Arbeitsschwerpunkt sind Klimaschutzmaßnahmen in der Land- und Forstwirtschaft.

 

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