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Bringt die geplante EU-Verpackungsverordnung die Wende?

Das zweite Brennglas aus dem Spendenprojekt untersucht, wie Verpackungen reduziert werden können. Andreas Hermann und Günter Dehoust analysieren den Entwurf der neuen EU-Verpackungsverordnung.

Im Rahmen des Spendenprojekts Circular Economy: Aufruf und Vorschläge zur zirkulären Wirtschaft  des Öko-Instituts will die Forschungsgruppe herausfinden, wo derzeit die größten Hemmnisse für eine echte Kreislaufwirtschaft liegen. Das zweite Brennglas untersucht, wie Verpackungen reduziert werden können. In diesem Blogbeitrag analysieren Andreas Hermann und Günter Dehoust den Entwurf der neuen EU-Verpackungsverordnung.

Ende November 2022 hat die Europäische Kommission nach langer, intensiver Vorbereitung einen Entwurf der „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Verpackungen und Verpackungsabfälle“ (EU-VerpackVO) veröffentlicht. In der Begründung zum Entwurf wird ausgeführt, dass ohne entschiedene Vorgaben zur Reduktion des Verpackungsaufkommens und zur Steigerung der Wiederverwendung von Verpackungen das Verpackungsaufkommen in der EU weiter ansteigen wird. Dieses lag im EU-weiten Durchschnitt 2006 bei 151 kg je Einwohner*in und Jahr und ist bis 2020 auf 180 kg angestiegen. Deutschland ist mit 226 kg in Europa Spitzenreiter. Bis 2030 wird von der EU-Kommission ein weiterer Anstieg des EU-Mittelwerts um 27 Prozent auf 209 kg je Einwohner*in und Jahr prognostiziert, wenn nicht massiv dagegen angegangen wird. Für Kunststoffverpackungen wird ohne Gegensteuern bis 2040 sogar ein Anstieg um 61 Prozent erwartet. Auf Verpackungen entfallen zudem 40 Prozent des Primärkunststoff- und 50 Prozent des Primärpapierverbrauchs, Verpackungsabfälle machen 36 Prozent der festen Siedlungsabfälle aus.

Ausreichend Gründe, um das Verpackungsaufkommen wirksam eingrenzen und für einen nachhaltigeren Umgang mit Verpackungen sorgen, gibt es also. Doch reicht der Verordnungsentwurf der EU aus, um die notwendige Wende einzuleiten?

Ziele der EU-Verpackungsverordnung

Alle Ziele des Entwurfs der Verpackungsverordnung sind unterstützenswert:

Bislang mangelt es jedoch an konkreten Maßnahmen, um diese Ziele zu erreichen. Viele sind zu wenig ambitioniert, wie beispielsweise die vorgegebenen Quoten zur Wiederverwendung von Verpackungen. Erfolgversprechende Maßnahmen, die maßgeblich zur Zielerreichung beitragen könnten, fehlen vollständig – so etwa eine Verpackungssteuer, eine Abgabe auf nicht hochgradig (also zu mindestens 90 Prozent) recyclingfähige Verpackungen oder Maßnahmen zur Ausdehnung von Unverpackt- und Mehrwegsystemen auf weitere Produktbereiche im Handel.

Eine wichtige Frage ist außerdem, welche Rolle in Zukunft das chemische Recycling spielen kann, um Recycling- und Rezyklateinsatzquoten zu erreichen. Vorgaben hierzu fehlen gänzlich. Aus unserer Sicht ist eine konkrete Einordnung der verschiedenen Recyclingverfahren in der Abfallhierarchie erforderlich. Hierzu sollte die Stufe Recycling in der aktuell fünfstufigen Abfallhierarchie auf drei „Recyclingstufen“ erweitert werden:

  • Abfallvermeidung

  • Wiederverwendung

  • hochwertiges werkstoffliches Recycling

  • chemische Depolymerisation zu Vorprodukten

  • rohstoffliches Recycling (thermisch-chemische Verfahren) und Downcycling (Kunststoffe ersetzen Beton oder Holz)

  • sonstige Verwertung (insbesondere energetische und baustoffliche Verwertung)

  • Beseitigung

Das thermisch-chemische Recycling kann im günstigsten Fall eine sinnvolle Ergänzung zum hochwertigen werkstofflichen Recycling sein, wenn dort die im werkstofflichen Recycling aussortierten Rückstände genutzt werden. Aufgrund der geringeren Wirkungsgrade und des deutlich höheren Energiebedarfs des rohstofflichen Recyclings muss davon unabhängig die Recyclingfähigkeit der Verpackungen mit allem Nachdruck verbessert werden.

Nicht zuletzt sollte das Verbot von Schadstoffen wie etwa Schwermetallen in Verpackungen ausgedehnt und verschärft werden, um den sicheren Umgang mit Verpackungen und deren Recyclingfähigkeit zu steigern.

Die geplante Rechtsform

Zu begrüßen ist, dass statt der bislang gewählten Rechtsform einer „Richtlinie“ nunmehr eine „Verordnung“ gewählt wird. Damit sind die Regelungen der Verpackungsverordnung unmittelbar in der gesamten EU verbindlich. Dies führt zu einer einerseits wichtigen und erwünschten Vereinheitlichung im Umgang mit Verpackungen und Verpackungsabfällen in der EU. Der Nachteil ist, dass Staaten, die höhere Anforderungen an die Umweltverträglichkeit der Verpackungen beibehalten oder erlassen möchten, dies in der Regel dann verwehrt ist.

Im Folgenden werden einige wichtige Inhalte des Verordnungsentwurfs kurz skizziert.

Recyclingfähigkeit und recyclingorientierte Gestaltung

Ab dem 1.1.2030 müssen alle Verpackungen recycelbar und recyclingorientiert gestaltet sein laut Artikel 6 in Verbindung mit Anhang II EU-VerpackVO. Das heißt, alle Bestandteile müssen so gestaltet sein, dass „ihre Recyclingfähigkeit im Rahmen von Sammel-, Sortier- und Recyclingverfahren nach dem allgemein anerkannten Stand der Technik sichergestellt wird“. Allerdings reicht zunächst eine Recyclingfähigkeit von 70 Prozent. Sinnvoll wäre es, wenn von Anfang an mindestens 80 Prozent einer Verpackung recyclingfähig sein müssen und dieser Wert nach spätestens zwei Jahren auf 90 Prozent angehoben wird.

Alle Verpackungsabfälle müssen in den gesamten Gebieten der Mitgliedsstaaten zudem „wirksam und effizient getrennt gesammelt werden“ (Art. 43 Absätze 1 und 2). Die Wirksamkeit dieser Vorgabe ist dadurch eingeschränkt, dass

  • nicht näher ausgeführt wird, was mit wirksam und effizient gemeint ist,

  • sie auf private und gewerbliche Endabnehmer begrenzt ist, wodurch der wichtige Bereich von Transport- und Umverpackungen unbeachtet bleibt und

  • dass umfangreiche Ausnahmen zugelassen werden.

Recyclingquoten

Die Recyclingquoten im Artikel 46 EU-VerpackVO wurden im Entwurf der EU-VerpackV gegenüber der EU-Richtlinie in der Fassung von 2018 nicht geändert. Die Tabelle zeigt die Quotenvorgaben ab 2025 und 2030.

Wiederverwendungs- und Wiederbefüllungsziele

In zahlreichen Bereichen müssen alle betroffenen Akteure Verpackungen in Wiederverwendungssystemen (Mehrweg) oder zum Teil zur Wiederbefüllung nutzen nach Artikel 26 und 37 EU-Verpack-VO:

  • Ab 1.1.2030 wiederverwendbare Transportverpackungen für 90 Prozent der großen Haushaltsgeräte.

  • Ab 1.1.2030 20 Prozent (ab 2040: 80 Prozent) der heißen oder kalten Getränke, die zur Mitnahme bereitgestellt werden.

  • Ab 1.1.2030 10 Prozent (ab 2040: 40 Prozent) der Lebensmittel, die zum Sofortverzehr angeboten werden.

  • Ab 1.1.2030 10 Prozent (ab 2040: 25 Prozent) nahezu aller alkoholhaltigen und alkoholfreien Getränke , die zur Mitnahme bereitgestellt werden (außer Wein).

  • Ab 1.1.2030 5 Prozent (ab 2040: 15 Prozent) der auf dem Markt bereitgestellten Getränke auf Basis von Wein (außer Schaumwein).

  • Ab 2030 30 Prozent (ab 2040: 90 Prozent) der Transportverpackungen in Form von Paletten, Kunststoffkästen, klappbaren Kunststoffkisten, Kübeln und Fässern für den Transport.

  • Ab 2030 10 Prozent (ab 2040: 30 Prozent) der Transportverpackungen in Form von Palettenumhüllungen und Umreifungsbändern, die zur Stabilisierung und zum Schutz von auf Paletten transportierten Produkten verwendet werden.

  • Ab 2030 10 Prozent (ab 2040: 25 Prozent) der Umverpackungen in Form von Kisten (ausgenommen Kartons) in einem Wiederverwendungssystem zu nutzen.

Mindestrezyklatanteil in Kunststoffverpackungen

Um die Nachfrage nach Kunststoffrezyklaten anzureizen, werden ab 2030 für folgende Verpackungsarten Mindestrezyklatanteile nach Artikel 7 EU-Verpack-VO je Verpackungseinheit eingeführt und ab 2040 erhöht:

  • für kontaktempfindliche Verpackungen aus PET: 30 Prozent (keine Änderung ab 2040),

  • für solche aus anderen Kunststoffmaterialien: 10 Prozent (50 Prozent ab 2040),

  • für Einwegkunststoffgetränkeflaschen: 30 Prozent (65 Prozent ab 2040),

  • für alle anderen Kunststoffverpackungen: 35 Prozent (65 Prozent ab 2040).

Vorgaben zum Rezyklatanteil von Produkten und Verpackungen werden von fast allen Beteiligten begrüßt. Sie sollen die Nachfrage nach Rezyklaten erhöhen und damit die Wirtschaftlichkeit des Recyclings insgesamt erhöhen. Noch fehlt eine Regelung, wer den Nachweis über die Rezyklatgehalte wie erbringen soll. Technisch ist der Nachweis derzeit nicht möglich. Werden Liefernachweise, Anlagenkontrollen und -zertifizierungen verwendet, führt dies daher zu einem sehr hohen Aufwand. Bis Ende 2026 soll eine transparente und praxistaugliche Methode entwickelt sein, um den Rezyklatanteil in Verpackungen zu berechnen und zu überprüfen – so zum Beispiel mit Hilfe eines fälschungssicheren digitalen Verpackungspasses. Dies wäre ein großer Schritt in die gewünschte Richtung, hin zu einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft bei Verpackungen.

Im Verordnungsentwurf ist noch nicht geregelt, welche Rezyklate zur Erfüllung der vorgegebenen Quoten angerechnet werden dürfen. Für das chemische Recycling liegen derzeit keine transparenten Daten über deren Wirkungsgrade, Energie-, Massen- und Schadstoffbilanzen vor. Demzufolge können für Rezyklate aus dem chemischen Recycling keine Nachweise zur ökologischen Nachhaltigkeit für den gesamten Lebenszyklus von Verpackungen vorgelegt werden. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Quoten durch Rezyklate aus einem hochwertigen werkstofflichen Recycling erreicht werden müssen. Um die vorgegebenen Quoten so zu erfüllen, ist zumindest im Bereich der kontaktempfindlichen Lebensmittelverpackungen noch erheblicher Entwicklungsbedarf notwendig. Dies beginnt beim Verpackungsdesign, geht über Sammelsysteme, Aufbereitungs- und Recyclingverfahren bis hin zur Normung, unter welchen Bedingungen Rezyklate für den Einsatz in diesem Bereich zugelassen werden.

Unsere wissenschaftliche Arbeit

In den folgenden Studien und Texten zeigen wir, wie die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen und Instrumente – also eine Verpackungssteuer, eine Abgabe auf nicht hochgradig recyclingfähige Verpackungen und eine Angebotspflicht für Unverpackt- und Mehrwegsysteme – maßgeblich dazu beitragen können, das Verpackungsaufkommen zu reduzieren sowie das Verpackungsrecycling und den Rezyklateinsatz in Verpackungen zu steigern:

„Factsheet Circular Economy – Reduktion des Verpackungsaufkommens“

„Ökologische Verbrauchsteuer zur umweltfreundlichen Lenkung des Getränkeverpackungsmarktes“ 

„Modell Deutschland: Circular Economy – Politik Blueprint”, Öko-Institut, Fraunhofer ISI und FU Berlin im Auftrag des WWF Deutschland 

„Modell Deutschland: Circular Economy – Folgenabschätzung einer Circular Economy in 9 Sektoren in Deutschland”, Öko-Institut, Fraunhofer ISI und FU Berlin im Auftrag des WWF Deutschland

„Überprüfung der Wirksamkeit des § 21 VerpackG und Entwicklung von Vorschlägen zur rechtlichen Weiterentwicklung“

Günter Dehoust ist Senior Researcher im Bereich Ressourcen & Mobilität und arbeitet zur Kreislaufwirtschaft im Büro Berlin. Andreas Hermann arbeitet als Senior Researcher im Bereich Umweltrecht & Governance im Büro Darmstadt und forscht zu rechtlichen Fragen insbesondere im Bereich Verpackungs- und Kreislaufwirtschaftsrecht.

Weitere Informationen

Factsheet „Circular Economy – Rücknahme von Elektroaltgeräten“

Factsheet „Circular Economy – Reduktion des Verpackungsaufkommens“

Factsheet „Circular Economy – Lebens- und Nutzungsdauerverlängerung von Elektro- und Elektronikgeräten“

Factsheet „Circular -Economy - Ein neues Konsumverhalten etablieren“

Blogbeitrag „Entsorgung von Elektro- und Elektronik-Altgeräten: Sollten die Verbraucher*innen die Verantwortung tragen?“, erstes Brennglas im Rahmen des Spendenprojekts „Circular Economy: Aufruf und Vorschläge zur zirkulären Wirtschaft“

Blogbeitrag „Nachhaltige Elektro- und Elektronikgeräte als Standard: Bestehende Kostenstruktur verändern", drittes Brennglas im Rahmen des Spendenprojekts „Circular Economy: Aufruf und Vorschläge zur zirkulären Wirtschaft“

Blogbeitrag „Ein neues Wohlstandsverständnis: Mehr Lebensqualität statt mehr Konsum", viertes Brennglas im Rahmen des Spendenprojekts „Circular Economy: Aufruf und Vorschläge zur zirkulären Wirtschaft“

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