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Basteln für die Energiewende – Ökostromanteil sichtbar machen

Wie könnte man den Erfolg der Energiewende sichtbar machen? Das hat sich Jens Gröger gefragt und einen Anzeiger für den Anteil an Ökostrom im deutschen Stromnetz gebastelt. Hier erklärt er, was ihn bewegt hat und welche spannenden Erkenntnisse ihm das Gerät bereits beschert hat.

Wenn ich mit dem Zug durch Deutschland fahre, habe ich den Eindruck, dass die Energiewende ganz gut vorankommt: Immer mehr Windräder stehen am Horizont, ganze Felder sind mit Photovoltaik-Panels (PV) bedeckt und auf den Gebäuden entlang der Bahnlinien sind immer mehr PV-Anlagen zu sehen. Wenn ich mich umhöre, höre ich jedoch vor allem pessimistische Stimmen: Windräder stünden die meiste Zeit still und verspargelten unsere Landschaft, außerdem lohnten sich Solaranlagen längst nicht mehr .

Es fehlt also offenbar die positive Vision, dass wir die Energiewende erfolgreich schaffen und so eine bessere Zukunft gestalten. Dafür muss der Strom zu hundert Prozent aus erneuerbaren Energien erzeugt werden, zudem müssen CO2-Schleudern wie Kohlekraftwerke endgültig abgeschaltet werden. Radioaktiven Risikotechnologien sollte nicht hinterher getrauert werden.

Ich finde, wir müssten den Fortschritt der Energiewende besser sichtbar machen. Am besten noch mit einem Indikator messbar. Es muss auch, ohne durch das Land zu fahren, leicht möglich sein, zu überprüfen, ob wir auf einem guten Weg sind.

Ökostrom-Anteil als Fortschrittsindikator

Meine Idee dazu ist, dass man den Anteil an Ökostrom im Stromnetz als Indikator verwendet. Diese Zahl ist leicht zu interpretieren. 0 Prozent ist schlecht, 100 Prozent ist das Ziel und mehr als 100 Prozent ist grandios, weil wir dann Ökostrom exportieren oder mehr Wärmepumpen installieren können. Dieser Indikator soll nicht nur einmal im Jahr durch einen der Öffentlichkeit weitgehend verborgenen Monitoringbericht vermittelt werden, sondern live, dauernd und deutlich sichtbar. Wie die Schuldenuhr des Steuerzahlerbundes oder der Countdown-Timer des Erdüberlastungstages.

Während ich also im Zug sitze, male ich erstmal eine Skizze, wie diese Ökostrom-Anzeige aussehen könnte, zeichne dann ein Flussdiagramm, welche Daten eingesammelt und ausgewertet werden müssen und schaue mir die Datenbank der Strommarktdaten (SMARD) der Bundesnetzagentur genauer an.  Schließlich schreibe ich ein kleines Computerprogramm, das mir die gewünschte Prozentzahl auf den Bildschirm bringt:

Bastelprojekt

Da meine Ökostrom-Anzeige keine weitere Internet-Anwendung werden soll, für die ein voll ausgestatteter Computer nötig ist und auch keine Smartphone-App, sondern ein eigenständiges Messgerät, muss ich an der Idee zuhause weiterarbeiten. Basteln für die Energiewende.

Was braucht man dazu? Ein analoges Zeigermessinstrument, ein Gehäuse zum Einbau und einen kleinen Mikrocontroller mit WLAN-Schnittstelle. Die Materialkosten liegen um die 30 Euro. Der Mikrocontroller verbindet sich mit dem WLAN, holt sich die Stromerzeugungsdaten aus dem Internet und gibt den jeweils aktuellen Prozentwert auf der Anzeige aus. Das Ergebnis meines Bastelprojektes ist auf dem nachfolgenden Bild zu sehen:

Ökostrom-Anzeige im praktischen Einsatz

Seit die Ökostrom-Anzeige in meiner Küche steht, habe ich schon einiges über unser Stromnetz gelernt. Bei klarem Himmel erreichen wir zur Mittagszeit regelmäßig 100 Prozent, das war zu erwarten. Aber wer hätte gedacht, dass bei herbstlichem Schmuddelwetter ebenfalls 100 Prozent erreicht werden? Ich staune darüber, dass der Ökostrom-Anteil nachts häufig bei 70 Prozent oder mehr liegt und am Wochenende, wenn viele Betriebe in den Stromsparmodus gehen, ebenfalls bis zu 90 Prozent erreicht. Aber dann gibt es morgens an Werktagen auch wieder Flauten mit nur 20 Prozent. Wer sich genauer für unser Stromnetz interessiert, wird auch bei den Energy-Charts des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme fündig. Für alle, die nicht gerne Diagramme lesen, ist die eigenständige Ökostrom-Anzeige jedoch ein intuitiverer Zugang.

Beitrag zur Energiewende

Schon seit Jahren wird uns unter dem Stichwort Smart-Home versprochen, dass sich unsere Haushaltsgeräte dann automatisch einschalten, wenn der Strom besonders günstig ist. Nette Idee. Aber weder gibt es bis heute die passenden Stromtarife dafür (bis auf einige Pilotprojekte) noch möchte ich mich von einer Fernsteuerung bevormunden lassen. Stattdessen möchte ich selbst entscheiden, ob ich die Spülmaschine jetzt gleich einschalte oder doch noch ein paar Teller abwarte, bis auch die Sonne wieder scheint oder der Wind wieder bläst.

Die vielleicht noch wichtigere Wirkung bei der Sichtbarmachung des Ökostrom-Anteils ist, dass der Strombezug weniger abstrakt wird. Strom kommt nicht einfach nur aus der Steckdose, sondern unterliegt tages- und jahreszeitlichen Schwankungen. Genau wie Erdbeeren im Frühsommer reif werden und Äpfel im Herbst und sie dann auch am besten schmecken. Wer den Ökostrom-Anteil im Blick hat, kann den Strom genüsslich konsumieren, wenn er frisch geerntet wird. Vielleicht bekommt sogar die eine oder der andere Lust, selbst in neue erneuerbare Energien zu investieren.

Und wer das Stromnetz besser kennt, hat auch mehr Verständnis für die Windräder am Horizont. Freut sich vielleicht sogar über die riesigen Biogasspeicher, die nachts und bei Windflaute zum Einsatz kommen. Und akzeptiert, dass positive Veränderungen eben auch mit einem Abschied von Gewohnheiten einhergehen.

Jens Gröger ist Senior Researcher im Institutsbereich Produkte & Stoffströme im Büro Berlin und Experte für nachhaltige Informations- und Kommunikationstechnik.

Weitere Informationen

Bauanleitung der Ökostrom-Anzeige

Datenportal der Bundesnetzagentur

Energy-Charts des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme ISE

Bericht des BMWK zum Monitoring der Energiewende

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