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Abfallwirtschaft in Indien: Eine Frau kämpft für die Circular Economy

Jeden Tag kümmert sich ihr Unternehmen um etwa 100 Tonnen Abfall. 90 bis 95 Prozent davon werden recycelt oder weiterverarbeitet. Dafür sorgt Wilma Rodrigues mit ihrem Unternehmen Sahaas Zero Waste im indischen Bangalore. Wir haben sie und ihr Projekt für die eco@work kennengelernt und berichten auch hier im Blog.

Jeden Tag kümmert sich ihr Unternehmen um etwa 100 Tonnen Abfall. 90 bis 95 Prozent davon werden recycelt oder weiterverarbeitet. Dafür sorgt Wilma Rodrigues mit ihrem Unternehmen Sahaas Zero Waste im indischen Bangalore. Ihr Ziel: So viele Ressourcen wie möglich aus dem Abfall zu retten und einem geschlossenen Kreislauf zuzuführen. Und dabei ökologisch und sozial zu arbeiten. Eine Aufgabe mit vielen Herausforderungen, denn in Indien ist ein großer Teil der Abfallwirtschaft informell organisiert. Wir haben sie und ihr Projekt für die eco@work kennengelernt und berichten auch hier im Blog.Wilma Rodrigues, Quelle: privat

Ihr Unternehmen kümmert sich um 100 Tonnen Abfall. Jeden Tag. Bis 2026 sollen es über 500 Tonnen sein. Das Ziel: Die Ressourcen aus dem Abfall zu retten und in geschlossene Kreisläufe zu überführen. „Indien hat ein großes Abfallproblem, schon seit vielen Jahren“, sagt Wilma Rodrigues, „es gibt überall Vermüllung. Plastik landet in Flüssen, Elektroschrott wird unkontrolliert verbrannt. All das bedroht die Ökosysteme immens.“

Ihren Frust über das schlechte Abfallmanagement setzte Rodrigues produktiv ein, als es mit der Abfallgesetzgebung aus dem Jahr 2000 in Indien zum ersten Mal eine strukturierte Regulierung für Abfälle gab. Nur ein Jahr später gründete sie in Bangalore die NGO Sahaas. „Wir haben uns zum Ziel gesetzt, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass wir unser Abfallaufkommen verringern müssen. Dafür arbeiten wir in ganz Indien, oft auch zusammen mit kommunalen Organisationen. Wir setzen zum Beispiel Kampagnen und Bildungsprogramme um.“ Eine große Herausforderung dabei: Die NGO ist auf Förderungen angewiesen. Läuft die finanzielle Unterstützung nach wenigen Jahren aus, müssen die Projekte oft an kommunale Stellen übergeben werden. „Häufig fehlt es dort leider an Menschen, die sie managen können, wertvolle Projekte werden daher oft nicht fortgesetzt.“

Für eine stärkere Wirkung gründete Wilma Rodrigues 2010 zusätzlich Sahaas Zero Waste, das Unternehmen, Institutionen und Organisationen ein komplettes dezentrales Abfallmanagement anbietet. „Unsere Kund*innen erzeugen täglich zwischen fünf und zehn Tonnen Müll, 90 bis 95 Prozent davon können wir recyceln oder anders verarbeiten“, so Rodrigues. „Eine immense Quote, die zeigt, dass sich Abfall nicht negativ auf die Umwelt auswirken muss.“ Denn Sahaas Zero Waste führt Papier, Plastik und Glas dem Recycling zu. Organische Abfälle beziehungsweise Biomasse, die bis zur Hälfte des Abfallaufkommens ausmachen, werden zu Kompost oder Biogas. „Was wir nicht weiternutzen können sind Abfälle, die kontaminiert sind, oder Abfallfraktionen, die nur schwer zu recyceln sind wie etwa Textilien.“

Ökologisch, sozial und fair

Die NGO Sahaas und Sahaas Zero Waste sollen dabei nicht nur eine ökologische Wirkung haben, sondern auch eine soziale. Denn in Indien ist der Abfallsektor zum größten Teil informell organisiert, unzählige Menschen kümmern sich um die Abfälle. „Diese Menschen werden konsequent ausgebeutet. Sie arbeiten für weniger als den Mindestlohn, bekommen keine Unterstützung der Abfallverursacher*innen, haben keine soziale Sicherheit. Diese Zustände wollte ich ändern. Doch es braucht eine sehr strukturierte Herangehensweise, damit das Abfallmanagement formell funktioniert.“ Bei Sahaas Zero Waste haben die fast 300 Arbeitnehmer*innen Zugang zu Mindestlohn und sozialer Sicherheit, 60 Prozent von ihnen sind Frauen, die oft aus einem schwierigen ökonomischen Hintergrund kommen. „Da wir mit dem informellen Sektor konkurrieren, ist es für uns leider eine große Herausforderung, für anständige Löhne für unsere Mitarbeiter*innen zu sorgen.“ Durch die große Zahl an Arbeitnehmer*innen, die informell und für viel zu wenig Geld arbeiten, seien die Unternehmen daran gewöhnt, nicht für das Abfallmanagement zu bezahlen oder sogar Geld für jene Abfälle zu erhalten, die sich gut weiterverwerten lassen wie etwa Zeitungen. „Es ist für uns oft schwer, ihnen klar zu machen, welcher Aufwand hinter unseren Dienstleistungen steckt.“

Ein systematischer Wandel

Eine große Herausforderung sieht Wilma Rodrigues auch in den Rahmenbedingungen ihrer Arbeit. „Es gibt in Indien bislang keine ausreichenden Investitionen in das Abfallmanagement und keine ausreichende Infrastruktur. Wir fangen gerade erst an, Abfälle zu trennen, und es gibt etwa beim Plastikrecycling eine starke Konzentration auf harte Kunststoffe.“ Auch die Wirtschaft nehme sich ihrer – durchaus bestehenden – Pflichten nicht ausreichend an. „Viele sind hier sehr gleichgültig, auch jene, die es sich ohne Weiteres leisten könnten, für ein anständiges Abfallmanagement zu bezahlen. Sie denken, dass das mit ihren Steuern abgegolten ist und die Regierung sich kümmern muss.“ Aus ihrer Sicht braucht es daher einen systematischen Wandel, eine stärkere Zusammenarbeit von Müllverursachern und lokalen Stellen. Laut der aktuellen Abfallgesetzgebung müssen indische Firmen bis 2025 insgesamt 30 Prozent der durch sie in den Verkehr gebrachten Verpackungen recyceln. „Es ist völlig unklar, ob die Firmen in drei Jahren so weit sein werden“, sagt Rodrigues. Und ergänzt: „Wir brauchen eine deutlich stärkere Durchsetzung der bestehenden Regulierung als bislang.“

Die beste Entscheidung

Vor 21 Jahren gründete sie eine NGO, vor zwölf ein Unternehmen. Doch trotz aller Herausforderungen bereut Wilma Rodrigues diese Schritte nicht – im Gegenteil. Sie, die lange Jahre als Wirtschaftsjournalistin gearbeitet hat, sieht in diesem Berufswechsel „die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe. Nach all diesen Jahren sehe ich, wie die Organisation gewachsen ist, welche Wirkung sie gebracht hat und welche Lösungen wir entwickelt haben. Ich habe das Gefühl, aus dieser Entscheidung ist etwas wirklich Gutes erwachsen.“

Nach ihrem Abschluss in Biowissenschaften arbeitete Wilma Rodrigues als Journalistin. Im Jahr 2001 gründete sie Sahaas Zero Waste in Bangalore, zunächst als NRO, dann als Abfallwirtschaftsunternehmen mit sozialem Schwerpunkt, das Mindestlöhne und soziale Sicherheit gewährleistet. Inzwischen arbeiten fast 300 Menschen für das Unternehmen. Sahaas Zero Waste bewältigt derzeit täglich etwa 100 Tonnen Abfall. Ihr Ziel ist es, diese Zahl bis 2026 auf mehr als 500 Tonnen zu erhöhen. Im Jahr 2015 erhielt Wilma Rodrigues die Auszeichnung "Social Entrepreneur " von Action for India. Sowohl Sahaas Zero Waste als auch die Gründerin haben zahlreiche weitere Auszeichnungen erhalten, darunter den BCIC Award for Excellence in Women Diversity and Inclusion 2021.

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