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BMU-Anhörung zum Umweltgesetzbuch: Experten schlagen Alarm

Das Umweltrecht soll neu und einheitlich geregelt werden: Industrieverbände nutzen dies für Angriff auf bestehende Umweltstandards – Rechtsexperten von Öko-Institut, Deutscher Umwelthilfe und Unabhängigem Institut für Umweltfragen sehen zukunftsfähige Umweltpolitik gefährdet – Auch Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) besorgt

Das Umweltrecht soll neu und einheitlich geregelt werden: Industrieverbände nutzen dies für Angriff auf bestehende Umweltstandards – Rechtsexperten von Öko-Institut, Deutscher Umwelthilfe und Unabhängigem Institut für Umweltfragen sehen zukunftsfähige Umweltpolitik gefährdet – Auch Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) besorgt

Industrie und Agrarlobby sehen das derzeit zwischen Bund und Ländern beratene einheitliche Umweltgesetzbuch (UGB) vor allem als Möglichkeit, etablierte Umweltstandards auszuhebeln. Dieses ernüchternde Fazit ziehen das Öko-Institut, die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und das Unabhängige Institut für Umweltfragen (UfU) nach einer dreitätigen Anhörung zum UGB-Entwurf im Bundesumweltministerium, die heute zu Ende ging. In der kommenden Woche werden die Bundesländer gehört. Besonders besorgt zeigen sich die drei Organisationen, die den Gesetzgebungsprozess des wichtigsten umweltrechtlichen Vorhabens der letzten Jahrzehnte von Beginn an fachlich begleitet haben, weil sich der „Versuch eines umweltpolitischen Rollbacks“ seit Monaten weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollzieht.

„Wir haben immer darauf hingewiesen, dass die im Grundsatz überfällige Vereinheitlichung des deutschen Umweltrechts nur erfolgreich sein kann, wenn sie unser Land auf die ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen der Zukunft vorbereitet. Dafür müsste das bestehende Umweltrecht dringend weiterentwickelt werden. Nun erzwingen Industrie, Landwirtschaftslobby und ihre Fürsprecher in der Politik einen harten Abwehrkampf. Das steht im Widerspruch zur weit verbreiteten Rhetorik und PR um Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility und den ernsthaften Bemühungen einiger Unternehmen, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Wenn es aber um die harten Fakten geht, also um die verbindlichen Regeln, nach denen in den nächsten Jahrzehnten in Deutschland darüber entschieden wird, welche Anforderungen Industrie und Landwirtschaft zum Schutz von Umwelt, Klima und Biodiversität einhalten müssen, fallen die Lobbyverbände zurück in alte Muster. Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit werden als Gegensätze zugespitzt, jegliche Innovation wird abgelehnt. Das Exportland Deutschland wird nur dann erfolgreich sein, wenn es ökologisch gegenüber anderen Nationen nicht zurückfällt“, erklärte Regine Barth, die Koordinatorin Umweltrecht & Governance des Öko-Instituts.
 
Es werden Regelungen verlangt, die die Möglichkeiten des Staates bei der Genehmigung von Industrieanlagen auf mögliche neue Erkenntnisse und ökologische Herausforderungen zu reagieren, weiter einschränken würden. Das Gegenteil wäre notwendig. Die Grundprinzipien des deutschen Genehmigungsrechts sind Jahrzehnte alt. Eine entscheidende Schwäche ist zum Beispiel, dass selbst bei langfristig genutzten umweltbelastenden technischen Anlagen wenige Spielräume für spätere entschädigungsfreie Nachrüstungsanforderungen bestehen. Notwendig wäre eine neue Balance. Auf der einen Seite wiegen sachgerechte Umweltstandards, die sicherstellen müssen, dass die aktuellen umweltpolitischen Ziele der Bundesrepublik erreichbar werden und der Staat seine unabdingbaren mittelfristigen Handlungsspielräume erhält. Auf der anderen Seite wiegen die Anliegen Investitionssicherheit, Bestandsschutz und Entbürokratisierung. Stattdessen wurde vorgeschlagen, bewährte Umweltstandards zurückzudrehen. Zum Beispiel bei der Benutzung von Gewässern. Aktuell haben Behörden die Möglichkeit, deren Benutzung nur für den Zeitraum einer Generation zu erlauben. Geht es nach den Wünschen der Industrie, soll diese gestrichen oder erheblich erschwert werden.

„Bedauerlich ist, dass versucht wird, die vorherige Information und Beteiligung von Nachbarn und Öffentlichkeit in einer Reihe von konfliktträchtigen Vorhabensarten zu streichen. Eine moderne Verwaltung sieht anders aus. Sie setzt auf Transparenz und Interessensausgleich. Viele Konflikte – gerade in kleineren Verfahren – können durch die Beteiligung der Öffentlichkeit frühzeitig gelöst werden und brauchen nicht vor Gericht getragen zu werden. Selbst wenn sich die Ressorts der Bundesregierung verständigen sollten, müssen wir fürchten, dass über den Bundesrat oder die Unionsfraktion später verbliebene Pluspunkte aus dem Entwurf des Bundesumweltministeriums gestrichen werden“, sagt Michael Zschiesche, der Geschäftsführer des UfU.

Mit Horrorszenarien über künftige Zumutungen bei Genehmigungsverfahren hätten die Industrieverbände während der Anhörung massiv versucht, insbesondere den Mittelstand gegen die Vereinheitlichung des deutschen Umweltrechts in Stellung zu bringen, sagte Cornelia Nicklas, die Leiterin Recht der Deutschen Umwelthilfe. „Wir sind erschüttert, dass die Wirtschaft hinter jeder Ecke Investitionshemmnisse, Wettbewerbsnachteile und Rechtsunsicherheit vermuten will. In den Industrieverbänden und beim Deutschen Bauernverband dominiert immer noch die altertümliche Vorstellung eines Fundamentalkonflikts zwischen Ökonomie und Ökologie. Wir erleben einen Frontalangriff auf den Rechtsschutz für Natur und Umwelt.“ Nach Überzeugung von DUH, Öko-Institut und Ufu sprechen die bei der Anhörung auftretenden Verbandsvertreter bei weitem nicht für die gesamte deutsche Wirtschaft oder alle Landwirte. Viele seien weiter und hätten längst verstanden, dass „die deutsche Volkswirtschaft nur dann florieren wird, wenn wir Ökonomie und Ökologie in Einklang miteinander bringen“, sagte Nicklas.

Ein zentraler Streitpunkt innerhalb der Bundesregierung und zwischen Bund und Ländern betrifft die so genannte Eingriffsregelung, also die Frage, ob künftig Belastungen des Naturhaushalts einfach durch Geldzahlungen ausgeglichen werden können, statt wie bisher durch eine entsprechende Entlastung an anderer Stelle. Über diese Änderung, die nach Überzeugung von Öko-Institut, DUH und UfU den Kernpunkt des Naturschutzrechts auf den Kopf stellen würde, gibt es innerhalb der Bundesregierung und zwischen Bund und Ländern Streit. Anlässlich der Vorstellung des Umweltgutachtens des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU) hatte sich am Mittwoch auch dessen Vorsitzender Hans-Joachim Koch besorgt über eine mögliche Änderung gezeigt. Die so genannte „Naturalkompensation“ sei für einen ernsthaften und nachhaltigen Naturschutz unverzichtbar, sagte Koch.

Eine Stellungnahme von Öko-Institut, Deutscher Umwelthilfe und unabhängigem Institut für Umweltfragen zum UGB-Entwurf des Bundesumweltministeriums finden Sie online unter www.umweltgesetzbuch.org

AnsprechpartnerInnen

Öko-Institut e.V. | Büro Darmstadt
Regine Barth
Koordinatorin des Forschungsbereichs Umweltrecht & Governance
Rheinstraße 95
64295 Darmstadt
Telefon: +49 (0)6151-81 91-30
Fax: +49 (0)6151-81 91-33
E-Mail: r.barth(at)oeko.de

Deutsche Umwelthilfe  |  Büro Berlin
Leiterin Recht
Dr. Cornelia Nicklas
Hackescher Markt 4 /
Neue Promenade 3 (Eingang)
10178 Berlin
Telefon: +49-(0)30 – 24 00 867-18
Fax: +49 (0)30 – 24 00 867-19
E-Mail: nicklas(at)duh.de

Unabhängiges Institut für (UFU)Umweltfragen e.V. – UfU
Fachgebiet Umweltrecht & Bürgerbeteiligung
Michael Zschiesche
Geschäftsführer
Greifswalder Str. 4
10405 Berlin
Telefon: +49 (0)30 – 42 84 99 3-31
Fax: +49 (0)30 – 42 80 04-85
E-Mail: recht(at)ufu.de