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Editorial

Still und mit Sahnehäubchen

Das Vorwort von Anke Herold, Sprecherin der Geschäftsführung des Öko-Institut e.V.

Sie läuft gerade still ab, die Mobilitätswende. Damit meine ich ausnahmsweise nicht, dass Elektrofahrzeuge leiser sind als Verbrenner, sondern dass sich die Mobilität in Deutschland relativ unbemerkt verändert. Denn bereits seit über zehn Jahren geht der motorisierte Individualverkehr kontinuierlich zurück. 2014 lag er bei 31,7 Personenkilometern, 2022 nur noch bei 27,7. Auch die durchschnittliche Fahrleistung pro Fahrzeug hat deutlich abgenommen – zwischen 2011 und 2021 um 17 Prozent. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der zugelassenen Pkw und Motorräder um 15 Prozent gestiegen.

Gleichzeitig fahren die Menschen häufiger mit dem Fahrrad sowie dem ÖPNV. Während auf Bundesebene der große Wurf in Sachen Verkehrswende bislang ausbleibt, verhalten die Bürger*innen sich immer klimabewusster. In Kommunen in ganz Deutschland gibt es zudem viele Initiativen, Mobilität nachhaltiger und gerechter zu gestalten. Wie positiv sich das auswirken kann, zeigt ein Blick nach Belgien: In Gent hat ein ambitionierter Mobilitätsplan die Lebensqualität aller Bürger*innen immens verbessert. Nachdem die Stadt zunächst den Ausbau von ÖPNV sowie Fuß- und Radwegen massiv vorangetrieben hat, wurden 2015 der Zugang zur Innenstadt für Autos und die Parkmöglichkeiten stark eingeschränkt. Darüber hinaus wurden zahlreiche Flächen entsiegelt und begrünt, das Stadtbild hat sich deutlich zum Positiven verändert. Eine bessere Luftqualität und sinkende Unfallzahlen sind das Sahnehäubchen – und auch die Schnelligkeit des Wandels. Schon 2019 konnte Gent die eigentlich für 2030 gesetzten Ziele für die Verkehrswende erreichen – innerhalb von nur sieben Jahren ist der Anteil der Autonutzung um etwa die Hälfte zurückgegangen.

Große Hürden mit Blick auf den Güterverkehr gibt es hierzulande vor allem aufgrund des schleppenden Ausbaus der Infrastruktur. Die Politik muss hier der Elektromobilität deutlich Vorrang einräumen, anstatt wie 2024 Gelder für anwendungsorientierte Forschung in diesem Bereich massiv zu kürzen. Dagegen haben wir in einem breiten Bündnis aus Wissenschaftler*innen und Unternehmen protestiert. Denn Deutschland ist heute schon dabei, den Anschluss zu verlieren. Das gefährdet die Industrie ebenso wie das Klima.

Viele Politiker*innen scheuen sich zudem davor, stark in den Individualverkehr einzugreifen. Oftmals aus Angst, nicht wiedergewählt zu werden. Sie sollten eines wissen: Nach Umsetzung der Maßnahmen in Gent wurde der stellvertretende Bürgermeister Filip Watteeuw mit großer Mehrheit wiedergewählt. Das hätten Sie mit Blick auf den enormen Gewinn an Lebensqualität doch sicher auch getan, oder?

Ihre

Anke Herold
a.herold@oeko.de