Damit Weniger Mehr wird

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Weniger Fleisch essen. Am besten kaum noch tierische Produkte. Nicht mehr fliegen. Und das Auto stehen lassen. Keine Heizenergie verschwenden. Und Produkte leihen und teilen statt neu kaufen. Die meisten Verbraucher*innen kennen die Ansätze gut, mit denen sie ihren Verbrauch von Energie und anderen Ressourcen reduzieren können. Und natürlich ist ein „Weniger“ dringend notwendig, wenn wir die planetaren Belastungsgrenzen einhalten, wenn wir Klima und Biodiversität schützen wollen. Gerade mit Blick auf überbordenden Konsum. Oder anders gesagt: Wir brauchen Suffizienz.
Zur Umsetzung dieses Weniger braucht es gleichzeitig ein „Mehr“. Ein Mehr an Unterstützung. Ein Mehr an passenden Rahmenbedingungen, die Verhaltensänderungen anreizen und fördern. Und ein Weniger an Fehlanreizen. Wenn in der Kantine das vegetarische Essen teurer ist als die Bratwurst und die nächste Haltestelle für den Weg zur Arbeit viele Kilometer entfernt, ist es schwer, von Bürger*innen zu erwarten, dass sie sich für die nachhaltigere Alternative entscheiden. Bislang gibt es in Deutschland zwar einzelne Suffizienzmaßnahmen. Im Gegensatz zu anderen Bereichen wie etwa der Kreislaufwirtschaft – und übrigens auch im Gegensatz zu unserem Nachbarland Frankreich – haben wir jedoch keine übergeordnete Suffizienzstrategie. Dabei ist das Potenzial gewaltig. Und es gibt zahlreiche Möglichkeiten, Suffizienz politisch zu steuern – dazu gehören, wie beschrieben, passende Infrastrukturen und Angebote ebenso wie Regulierungen und Anreizsysteme.
Durch die Förderung von Suffizienz schaffen wir gleichzeitig Antworten auf viele ökonomische, ökologische und soziale Herausforderungen. Systematische Einsparung von Energie bringt nicht nur die Energiewende schneller ans Ziel, sondern verringert auch die Importabhängigkeit bei Rohstoffen und fördert soziale Gerechtigkeit. Das zeigen wir in einem Impulspapier, das wir gemeinsam mit dem Wuppertal Institut und der Europa-Universität Flensburg entwickelt haben. Darin stellen wir in den Handlungsfeldern Wohnen, Mobilität, Ernährung und Landwirtschaft sowie Konsum und Produktion Zielbilder und konkrete Maßnahmen vor, bewerten ihr Potenzial, beschreiben deren vielfältige Vorteile und skizzieren eine nationale Suffizienzstrategie.
Die Maßnahmen in allen Handlungsfeldern sind vielfältig. Sie reichen von einem Recht auf Wohnungstausch und einer Priorisierung des öffentlichen sowie des Fußgänger- und Rad-Verkehrs bei der Verkehrsplanung über Anreize für eine pflanzenbasierte Ernährung etwa über die Mehrwertsteuer bis hin zur Etablierung von langen Herstellergarantien für Produkte und der Erleichterung von Reparaturen. Im Rahmen der vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt geförderten Nachwuchsforschungsgruppe EnSu haben wir über 350 Maßnahmen zudem in der „Energiesuffizienz-Politikdatenbank“ zusammengefasst, die öffentlich und kostenlos zur Verfügung steht.
Allein der Begriff Suffizienz ist leider oft sehr negativ besetzt. Er wird mit Verzicht gleichgesetzt, gegen den sich viele wehren. Gerade in Krisenzeiten, in denen wir sowieso schon vor vielen Herausforderungen stehen. Ich bin davon überzeugt: Wenn wir die Vorteile eines suffizienten Verhaltens hervorheben, etwa mit Blick auf die eigene Gesundheit und Lebensqualität, können wir diese Vorurteile überwinden. Im Zusammenspiel mit attraktiven Rahmenbedingungen könnte so der nötige kulturelle Wandel hin zu weniger Energie- und Ressourcenverbrauch eingeleitet werden.
Bereits 2023 haben wir außerdem analysiert, welche Ideen repräsentativ besetzte Bürgerräte in Europa für eine klimaneutrale Zukunft haben. Über ein Drittel der vorgeschlagenen Maßnahmen waren solche, die Suffizienz fördern. So etwa ein besserer ÖPNV, das Verbot von Kurzstreckenflügen oder eine längere Haltbarkeit von Produkten. Vor allem die ordnungsrechtlichen Vorschläge wurden in den Bürgerräten mit einer sehr hohen Zustimmung von über 90 Prozent verabschiedet. In den nationalen Energie- und Klimaplänen der EU-Mitgliedsstaaten sind aber durchschnittlich nur zu acht Prozent entsprechende Maßnahmen enthalten. Wir Bürger*innen sind also bereit, damit Weniger Mehr wird. Zeit, dass die Politik es auch ist.
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Carina Zell-Ziegler hat einen Bachelor in Geoökologie und Ökosystemmanagement sowie einen Master in Global Change Management. Sie ist seit 2014 für das Öko-Institut tätig, inzwischen als Senior Researcher im Bereich Energie & Klimaschutz. Hier befasst sie sich unter anderem mit den Potenzialen von Politikinstrumenten für Suffizienz – zu letzterem Thema promoviert sie aktuell an der TU Berlin.