„Gute Ideen gibt es fast überall“

Christiane Weihe
In Frankreich können Bürger*innen ein Elektroauto leasen, auch wenn sie nicht viel Geld haben. In Irland profitieren Einkommensschwächere von Windenergie, die ansonsten abgeregelt worden wäre. Überall in Europa gibt es gute und wirkungsvolle Ideen für sozialen Klimaschutz. Für diese Ausgabe der eco@work haben wir mit Louise Sunderland gesprochen, einer Expertin für sozial gerechte Energiepolitik von der NGO Regulatory Assistance Project. Sie spricht über effektive Wege, Energiearmut zu bekämpfen.
Frau Sunderland, wo stehen wir in Europa in Sachen Energiegerechtigkeit?
Im Zuge der Energiekrise ist die Energiearmut in ganz Europa größer geworden – trotz der sehr teuren Gegenmaßnahmen der nationalen Regierungen. Man hat sich nun auf einen neuen Rahmen für die Energiepolitik geeinigt, der die Linderung von Energiearmut viel stärker in den Mittelpunkt rückt. Nun muss dieser aber auch wirksam umgesetzt werden, damit sich das positiv auf das Leben der Menschen auswirkt.
Ist es im Gebäudesektor besonders schwierig, Energiegerechtigkeit herzustellen?
Grundsätzlich braucht Energiegerechtigkeit aus meiner Sicht ein systemisches Denken und kein sektorales. Es stimmt aber, dass im Gebäudesektor große strukturelle Ungleichheiten bestehen, die zu Ungerechtigkeiten führen. So leben Menschen mit geringerem Einkommen überproportional oft in den schlechtesten Wohnungen. Hier muss natürlich in die Wohnqualität investiert werden, genauso wichtig ist aber auch neuer, bezahlbarer Wohnraum. Das ist eine komplexe Aufgabe, die in der EU übrigens der erste Kommissar für Wohnungswesen angehen soll.
Was sind die wirksamsten Instrumente, um Energiearmut im Gebäudesektor zu bekämpfen?
Die Sanierung von Gebäuden, da sie den Energiebedarf und damit auch die Kosten senken. Wir merken immer häufiger, dass auch der Zugang zu lokal erzeugten erneuerbaren Energien ein wichtiges Instrument ist – etwa über eine Energiegemeinschaft oder eine Solaranlage auf dem Dach. Das gilt insbesondere für Haushalte, die mit Strom heizen oder kühlen. Zunehmend steht außerdem ein flexibler Verbrauch zur Verfügung – also ein Zugang zu günstigerem Strom zu bestimmten Zeiten. Hier wird die Endrechnung ebenso vom Zeitpunkt des Energieverbrauchs bestimmt wie von von seiner Höhe.
Wie effektiv wird aus Ihrer Sicht die EU-Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden mit Blick auf eine bessere Unterstützung von einkommensschwachen Haushalten sein?
Sie enthält eine Menge wichtige neue Bestimmungen. So etwa, dass sich die Sanierung zunächst auf die Gebäude mit der schlechtesten Energieeffizienz konzentriert, oder auch die Schaffung von zentralen Anlaufstellen für Haushalte mit niedrigen Einkommen. Ihre volle Wirkung wird die Richtlinie aber erst im Zusammenspiel mit anderen Instrumenten entfalten, so etwa dem Klima-Sozialfonds oder der Energieeffizienz-Richtlinie.
Wie können auch Haushalte mit geringerem Einkommen an profitablen Klimaschutzmaßnahmen teilhaben?
Die Strommärkte belohnen immer stärker jene Haushalte, die flexibel Strom verbrauchen können. Das kann heute schon über bestehende Anlagen gelingen, wie etwa Warmwasserspeicher oder Elektroheizungen, aber auch über die Fähigkeit ihres Hauses, Wärme zu speichern. Wirkungsvoll sind natürlich auch intelligente Haushaltsgeräte, Elektrofahrzeuge oder Wärmepumpen. Ein flexibler Energieverbrauch unterstützt zudem ein effizientes Stromsystem.
Welche europäischen Länder sind bei der Bekämpfung von Energiearmut besonders weit fortgeschritten?
Schottland und Frankreich haben ziemlich umfassende Maßnahmen, um Haushalte zu unterstützen – vor allem im Gebäudesektor. So gibt es Sanierungsprogramme, die insbesondere Haushalte mit geringem Einkommen in den Blick nehmen, aber auch für andere Haushalte etwas bieten. In Frankreich gibt es einige Innovationen wie etwa das Social Leasing von Elektrofahrzeugen, das eine saubere Individualmobilität auch jenen Menschen zugänglich macht, die sich kein Auto leisten können. Gute Ideen gibt es aber fast überall. Ich denke da zum Beispiel auch an EnergyCloud – ein irisches Sozialunternehmen, das einkommensschwächeren Haushalten Windenergie zur Verfügung stellt, die sonst abgeregelt worden wäre.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Christiane Weihe.
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Im Interview mit eco@work: Louise Sunderland, Leiterin des Europaprogramms beim Regulatory Assistance Project (RAP)
Weitere Informationen
Louise Sunderland
Director, Europe Programme
Regulatory Assistance Project
E-Mail: lsunderland@raponline.org
Web: www.raponline.org/experts/louise-sunderland
Zur Person
Louise Sunderland beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit der Energiewende. Sie legt heute einen Schwerpunkt auf sozial gerechte Energiepolitik, zu ihren Fokusthemen gehören Energiegerechtigkeit, Energieeffizienz und die Dekarbonisierung von Gebäuden sowie Energiepreise und Energiearmut. Seit 2019 ist sie für das Regulatory Assistance Project (RAP) tätig, eine Nichtregierungsorganisation, die sich für eine saubere, zuverlässige und kosteneffiziente Energieversorgung für alle einsetzt und vor diesem Hintergrund unter anderem politische Entscheider*innen bei der Entwicklung von regulativen Maßnahmen berät. Bei RAP leitet Louise Sunderland seit März 2025 das Europaprogramm, sie ist unter anderem verantwortlich für die Strategieentwicklung mit Blick auf Europa und Großbritannien.
Louise Sunderland hat einen Master in Umwelttechnik sowie in Literatur. Über die Arbeit in der internationalen und schließlich der kommunalen Entwicklung kam sie in den Energiebereich. Ihre Arbeit zur sozial gerechten Energiepolitik sei das Ergebnis ihres etwas ungewöhnlichen Weges, sagt Sunderland.