Wo kommt’s hin?
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Christiane Weihe
Bis 2032 sollen in Deutschland zwei Prozent der Flächen für Windenergie ausgewiesen werden. Das entspräche gut 700.000 Hektar. Nur 0,3 Prozent der Fläche der Bundesrepublik hingegen bräuchte es, um den Bedarf an Freiflächen-Photovoltaik bis 2030 zu decken. Gibt es hierfür genug Flächen? Wo liegen diese und wie kann Nutzungskonflikten begegnet werden? Oder auch: Wie lassen sich die Erneuerbaren gerecht in den Regionen verteilen?
Es reicht. Sagt die Wissenschaftlerin. Und meint damit: Es gibt ausreichend Flächen für den Ausbau von Wind- und Sonnenenergie. Genug, um die entsprechenden Ziele zu erreichen. „Bei der Freiflächen-Photovoltaik zum Beispiel gibt es sehr viele Flächen ohne größere Nutzungskonflikte, die perfekt für Solaranlagen genutzt werden können – so etwa neben Bahnschienen oder Autobahnen“, erklärt Dr. Marion Wingenbach, Senior Researcher am Öko-Institut. Aber auch für Photovoltaikanlagen auf landwirtschaftlichen Flächen gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Das zeigt die Analyse „Potenzialflächen für Agri-Photovoltaik“, die das Öko-Institut im Rahmen des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Vorhabens EmPowerPlan durchgeführt hat. In diesem untersucht das Öko-Institut gemeinsam mit dem Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung sowie dem Reiner-Lemoine-Institut, wie der Ausbau erneuerbarer Energien regional gerecht, systemisch sinnvoll und sozial verträglich gestaltet werden kann. „Agri-PV ist eine gute Option, um Flächennutzungskonflikten mit der Landwirtschaft entgegenzuwirken, da sie eine gleichzeitige Nutzung ermöglicht. Die PV-Anlagen werden dabei über den Anbauflächen oder dazwischen angebracht.“ In der Analyse hat das Öko-Institut bestehende Ausbaupotenziale ermittelt. „Dabei zeigte sich zum Beispiel, dass es beim Wein-, Obst- und Gemüseanbau hohe Potenziale gibt. Denn hoch aufgeständerte Anlagen können hier gleichzeitig die Pflanzen schützen – etwa vor Hagelschäden. Solche Synergieeffekte zeigen sich in Deutschland auf einer Gesamtfläche von über 400.000 Hektar.“ Darüber hinaus eignen sich vor allem Flächen mit einer geringen oder mittleren Bodengüte für Agri-PV. „Hier sprechen wir über eine Potenzialfläche von fast vier Millionen Hektar.“
Nicht konfliktfrei
Flächenkonflikte kann es natürlich durchaus geben. „Zudem werden die Flächen noch nicht optimal genutzt. In der Regel bieten Projektierer*innen den Inhaber*innen an, Flächen zu pachten. Die Flächenauswahl sollte durch die Kommunen deutlich besser gesteuert werden. Denn so kann es natürlich passieren, dass besonders fruchtbare und ertragreiche Böden unter Solarzellen verschwinden.“ Sinnvoll sind klare Leitlinien, anhand derer Kommunen Flächen für unterschiedliche Nutzungen priorisieren können – und dann eben auch für erneuerbare Energien. „Die sollten dann Kriterien wie etwa Nutzungskonflikte mit der Landwirtschaft, die Nähe zum Netzanschluss oder auch Doppelnutzungspotenziale enthalten.“
Was ist gerecht?
Ein weiterer, zentraler Punkt beim Erneuerbaren-Ausbau und der Verfügbarkeit von Flächen ist eine gerechte Verteilung über die Bundesländer und Regionen hinweg. Wie also kann sie aussehen, die regional gerechte, systemisch sinnvolle und sozial verträgliche Verteilung der Erneuerbaren in Deutschland? Für die Diskussion dieser Frage liefert das Öko-Institut nun eine Datengrundlage mit zwei Analysen unter der Überschrift „Gerechtigkeit im EE-Ausbau“, die ebenfalls im Rahmen von EmPowerPlan entstanden sind. Darin definierten die Wissenschaftler*innen unterschiedliche Gerechtigkeitsaspekte und eine Methodik, diese anzuwenden beziehungsweise verschiedene Perspektiven übereinanderzulegen. „Dazu gehört etwa, dass der Ausbau mit Blick auf die verfügbaren Flächen gleichmäßig verteilt wird, dass der Fokus auf Regionen mit hoher Stromnachfrage liegt oder die Bevölkerung gleichmäßig belastet wird“, erklärt Wingenbach. „Natürlich gibt es unterschiedliche Vorstellungen davon, was eine faire Verteilung bedeutet. Mit unserem Ansatz lassen sie sich systematisch erfassen und in eine Raumplanung übersetzen. Er berücksichtigt technische ebenso wie gesellschaftliche Fragen.“ Mit den Datensätzen können darüber hinaus so genannte Konsensräume gefunden werden, in denen sich die verschiedene Gerechtigkeitsvorstellungen überschneiden und die daher zuerst für den Ausbau genutzt werden sollten. Die Arbeit des Projektteams ermöglicht es zudem, konfliktarme Flächen zu identifizieren und Prioritäten bei der Planung sichtbar zu machen. „Bei der Windenergie unterscheiden sich je nach gewähltem Verteilungsprinzip etwa die Systemkosten und der Importbedarf erheblich – das zeigt, dass manche Formen der Gerechtigkeit systemisch vorteilhafter sind. Bei Freiflächen-Photovoltaikanlagen hingegen gibt es kaum Unterschiede, was Gestaltungsspielräume schafft, um etwa die lokale Teilhabe oder den Landschaftsschutz stärker zu gewichten.“ Die Datensätze stehen öffentlich zur Verfügung und können für eine Verteilungsanalyse herangezogen werden.
Hohe Wälder, alte Industrie
Das Projekt „Planwende durch die Transdisziplinäre Integration regionaler und sozio-kultureller Faktoren in die Planung von Energiewende-Maßnahmen vor Ort“, kurz PlanTieFEn, widmet sich der Frage, wie die Energiewende vor Ort umgesetzt werden kann. In drei Modellregionen in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern führt das Öko-Institut dafür so genannte partizipative Planungslabore durch. „Ziel ist es, unterschiedliche lokale Identitäten, regionale Planungskulturen und Erneuerbaren-Potenziale zu identifizieren und daraus regional angepasste Instrumente zu entwickeln und zu erproben“, so die Expertin aus dem Bereich Energie & Klimaschutz. „Wir schauen uns dabei an, wie die Regionen ganz frei von regulatorischen Rahmenbedingungen selbst Erneuerbare-Energien-Anlagen bauen würden, welche spezifischen Bedürfnisse sie haben und wie sich die Regionen voneinander unterscheiden.“
Dabei zeigt sich etwa, dass die Wahrnehmung von neuen Vorhaben sehr stark von zurückliegenden Transformationserfahrungen geprägt ist und sich regionale Identitäten in ländlichen Räumen häufig auf landschaftliche Merkmale beziehen. „Wichtig ist zudem eine frühe Kommunikation und Partizipation und hierbei eine Berücksichtigung der regionalen Identität sowie eine echte Beteiligung mit Gestaltungsmöglichkeiten.“ So zeige sich etwa im Hochschwarzwald – der Heimat von Dr. Marion Wingenbach –, dass die Natur- und Kulturlandschaft von hoher Bedeutung ist, also etwa bewaldete Berge und offene Weiden. Das Ruhrgebiet hingegen wird durch eine dichte Bebauung und einen hohen Siedlungsdruck bestimmt sowie eine Industriekultur, die von fossilen Energien geprägt ist. „Hier besteht die Herausforderung darin, dies in eine erneuerbare Zukunft zu übertragen. So unterschiedlich die Regionen sind, so unterschiedlich ist auch der Weg, den regenerativen Energien den Weg zu ebnen.“ PlanTieFEn wird gemeinsam mit der ILS Research gGmbH und dem Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM) sowie zahlreichen Akteur*innen aus Planungspraxis und Gesellschaft durchgeführt und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert.
Privat erneuerbar
Zahlreiche Flächen für erneuerbare Energien gibt es auch auf unseren Dächern und Balkonen. „Solarenergie spielt hier eine zentrale Rolle, etwa zwei Drittel der deutschen Photovoltaikleistung sind hier installiert“, sagt Dr. Marion Wingenbach. Gleichzeitig lasse sich der Zubau hier schwerer steuern, daher brauche es ebenfalls Freiflächen für Photovoltaik. „Ich bin aber optimistisch, dass Dach- und Balkon-PV weiter stark bleiben werden. Nicht zuletzt, weil immer mehr Bundesländer für neu gebaute Wohngebäude eine Solarpflicht einführen.“
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Wie lassen sich die Erneuerbaren in das Energiesystem integrieren? Was ist wichtig für Akzeptanz bei einer Transformation der Energieinfrastruktur? Und welchen Einfluss haben sozial-ökologische Faktoren auf den Ausbau von Stromerzeugungsanlagen? Mit diesen und weiteren Fragen befasst sich Dr. Marion Wingenbach im Bereich Energie & Klimaschutz, für den sie seit 2019 tätig ist.
Ansprechpartnerin am Öko-Institut
Weitere Informationen
Schwerpunkt: Erneuerbare Energien
Analyse: Potenzialflächen für Agri-Photovoltaik. Eine GIS-basierte Potenzialanalyse für Deutschland
Meldung: Erneuerbare Energien gerecht verteilen
Studie: Gerechtigkeitsaspekte bei der Verteilung von Wind und FF-PV Anlagen in Deutschland
Präsentation: Energiewende regional passend gestalten – drei Modellregionen im Vergleich
Präsentation: Transformation der Planung durch die Integration regionaler soziokultureller Faktoren?