Ausgabe: Dezember 2022, Tschüss, AKW – Kernenergie – zukunftsunfähig, unwirtschaftlich, hochriskant
Im Fokus
Porträt: Dr. Christoph Pistner (Öko-Institut)

Wissen die Deutschen eigentlich noch, warum ihr Land aus der Kernenergie aussteigt? Diese Frage stellt sich Dr. Christoph Pistner oft. „Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen sehr wenig über die Gründe wissen – etwa mit Blick auf hochradioaktive Abfälle oder die Gefahr von Unfällen“, sagt er. „Sie denken nicht daran, dass katastrophale Ereignisse wie Tschernobyl oder Fukushima auch in Europa jederzeit wieder passieren können.“ Kontinuierlich die tatsächlichen Risiken dieser Technologie zu verdeutlichen, Wissen zu erhalten und zu verbreiten, ist für den Leiter des Bereichs Nukleartechnik & Anlagensicherheit eine wesentliche Motivation für seine Arbeit.
„Die Atomindustrie steckt viel Geld in Werbung für die Kernenergie. Unabhängige, kritische Stimmen sind daher unverzichtbar für eine informierte Debatte.“
Dr. Christoph Pistner kommt aus der naturwissenschaftlichen Friedensforschung. Schon während des Studiums beschäftigte ihn die Frage, wie das bei der Abrüstung von Kernwaffen zurückbleibende Plutonium beseitigt wird. „Dieses sollte so entsorgt werden, dass daraus nie wieder Waffen gebaut werden können. Abrüstung sollte möglichst unumkehrbar sein. Dazu gehört auch, das Material nicht für lange Zeiträume aufzubewahren – was aber im Moment geschieht.“ Auch die Gefahr, dass zivile Kerntechnik für militärische Zwecke verwendet wird, stellt für den Physiker ein zentrales Risiko der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung dar.
Expertise
Erstellung von Gutachten und Stellungnahmen insbesondere zu den Themen:
- Anlagensicherheit und Systemanalyse
- Ereignisauswertung
- Kerntechnisches Regelwerk
- Anlageninterner Notfallschutz
- Neutronenphysikalische Analysen
- Nukleare Nichtverbreitung und nuklearer Terrorismus
- Technikfolgenabschätzung
Stellvertretender Vorsitzender der Reaktor-Sicherheitskommission (RSK) des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) sowie im Ausschuss Anlagen- und Systemtechnik (AST) der RSK; Vorstandsmitglied im Forschungsverbund Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS)
Wichtige Projekte
Sicherheitstechnische Analyse und Risikobewertung einer Anwendung von Small Modular Reactors (Auftraggeber: Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung)
Vertiefte Untersuchung von Betriebserfahrungen aus Kernreaktoren
(Auftraggeber: Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mbH für das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV))
Analyse und Bewertung des Entwicklungsstands, der Sicherheit und des regulatorischen Rahmens für sogenannte neuartige Reaktorkonzepte (Auftraggeber: Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung)
Weiterentwicklung und Prüfung europäischer Standards und Anforderungen der kerntechnischen Sicherheit auf Umsetzbarkeit im deutschen Regelwerk - Benchmarking und Peer Review (Auftraggeber: Physikerbüro Bremen (PhB) für das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS))
Aktualisierung der Analyse der Ergebnisse des EU-Stresstest des Kernkraftwerkes Fessenheim (Auftraggeber: Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg)
Ausbildung und Berufserfahrung
Studium der Physik an der Technischen Universität Darmstadt mit Abschluss Diplom-Physiker, Promotion Physik (Dr. rer. Nat.)
Wissenschaftlicher Mitarbeiter Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) der TUD
Am Öko-Institut e.V. seit März 2005
Aktuelle Publikationen
Präsentation „Hat Kernenergie eine Zukunft?“
Analyse „Advanced nuclear fuel cylces and nuclear waste disposal“
Working Paper „Nuclear Power and the „do no significant harm” criteria of the EU Taxonomy“
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