Ausgabe: März 2016, Kreisverkehr statt Einbahnstraße – Wie funktioniert eine nachhaltige Abfallwirtschaft?
Im Fokus
„Die Zero Waste Society beginnt bei der Herstellung“
Im Interview: Stéphane Arditi, European Environmental Bureau (EEB)

Politische Zusammenarbeit, aufgeklärte Verbraucher, Herstellerverantwortung – auf dem Weg zu einer europäischen Kreislaufwirtschaft nimmt Stéphane Arditi alle in die Pflicht. Arditi ist beim European Environmental Bureau (EEB), einem Verband europäischer Umweltorganisationen, für den Themenbereich Produkt- und Abfallpolitik zuständig. Er befasst sich mit den Potenzialen der Gesetzgebung ebenso wie mit den Möglichkeiten von Wirtschaftsinstrumenten auf dem Weg zur Zero Waste Society, einer Gesellschaft ohne Müll. Im Interview mit eco@work spricht Arditi über Anforderungen an Deutschland ebenso wie über den Strategieentwurf für eine Kreislaufwirtschaft, den die Europäische Kommission im Dezember 2015 vorgelegt hat.
Herr Arditi, wie beurteilen Sie den Strategieentwurf der Europäischen Kommission?
Kurz gesagt: Er müsste ambitionierter sein. Die nun veröffentlichten Ziele, welche Mengen des Hausmülls bis 2030 recycelt werden sollen, sind schwächer als jene im vorherigen Entwurf, sie liegen nun bei 65 statt bei 70 Prozent. Der Entwurf wirkt wie ein politischer Kompromiss und nicht wie die bestmögliche Option, für die sich die Europäische Kommission eigentlich einsetzen müsste. Probleme sehe ich außerdem bei den Themen Bioabfall und Mülldeponierung.
Welche Probleme?
Bis zu zehn Prozent des Hausmülls können nach dem Entwurf bis 2030 deponiert werden – ohne dass dabei recyclingfähige oder kompostierbare Abfälle ausgeschlossen sind. Die getrennte Sammlung von Bioabfällen ist nicht vorgeschrieben, sondern soll umgesetzt werden, wenn sie technisch, wirtschaftlich und ökologisch machbar ist. Das bietet viele Schlupflöcher.
Wie sieht es beim Thema Ökodesign aus?
Ein ökologisches Design ist wesentlich für Abfallvermeidung und Ressourceneffizienz. Leider hat die Kommission lediglich bestehende Initiativen zusammengefasst. Was wir brauchen, ist ein ganz neuer Ansatz, der die Hersteller wirklich in die Pflicht nimmt und ihre Produkte transparenter macht. Und zwar nicht auf freiwilliger Basis. Sinnvoll wäre eine Datenbank, in der für jedes Produkt wesentliche Informationen erfasst werden müssen – so etwa zu seiner Reparierbarkeit oder den verwendeten Rohstoffen. Für die Verbraucher ist das ebenso wichtig zu wissen wie für jene Unternehmen, die das Produkt am Ende des Lebenszyklus recyceln sollen.
Wo stehen wir in Europa auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft?
Das ist je nach Mitgliedstaat sehr unterschiedlich. Natürlich gibt es immer noch viele Länder mit sehr schlechten Recyclingquoten. Um das anzugehen, ist es wichtig, dass wir eine gemeinsame europäische Vision entwickeln. Dass wir gute Ansätze wie die Produzentenverantwortung in Frankreich oder das Recyclingsystem und die vorbildliche Mülltrennung aus Deutschland teilen. Aber auch dort sehe ich übrigens noch große Herausforderungen.
Was kann Deutschland besser machen?
Kurz gesagt: Deutschland produziert zu viel Müll, ungefähr doppelt so viel wie pro Kopf etwa in Tschechien oder Polen anfällt. Die deutsche Regierung müsste sich ebenso für Müllvermeidungsziele einsetzen, die es in anderen europäischen Ländern ja bereits gibt, und außerdem die Müllverbrennung begrenzen.
Sie arbeiten für eine Gesellschaft ohne Müll. Kann das erreicht werden?
Wenn wir denken, dass es nicht möglich ist, werden wir sie nie erreichen. Meiner Ansicht nach definiert die Zero Waste Society zudem kein Ziel, sondern eine kontinuierliche Bewegung, die man ernsthaft und strategisch angehen muss. Die Kreislaufwirtschaft beginnt dort, wo das Produkt, die Dienstleistung oder das Businessmodell erdacht werden. Abfall ist ein Bestandteil unserer Produktzyklen, das müssen wir ändern. Wenn ich zum Beispiel nicht mehr will, dass nicht recycelbares Plastik verwendet wird, darf ich auch keine Verbrennungskapazitäten dafür einrichten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Christiane Weihe.
Im Interview mit eco@work: Stéphane Arditi vom European Environmental Bureau (EEB)
Stéphane Arditi
Products & Waste Policy Manager
European Environmental Bureau (EEB)
Boulevard Waterloo 34
1000 Brüssel
Belgien
Tel.: +32 2289 1090
stephane.arditi--at--eeb.org
www.eeb.org
Der gebürtige Franzose Stéphane Arditi ist beim European Environmental Bureau (EEB), einem Verband europäischer Umweltorganisationen, in dem auch das Öko-Institut Mitglied ist, für den Themenbereich Produkt- und Abfallpolitik verantwortlich. Er absolvierte eine Ausbildung in Philosophie und Umweltmanagement und hat vor seiner Tätigkeit für das EEB unter anderem im Automobilsektor gearbeitet. Seit 2009 ist Stéphane Arditi für das European Environmental Bureau in Brüssel tätig, wo er sich mit der Weiterentwicklung der Gesetzgebung ebenso befasst wie Wirtschaftsinstrumenten für die Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft.
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