Komplexe Datenlage: Herausforderungen bei der THG-Bilanzierung im LULUCF-Sektor

Komplexität der THG-Bilanzierung
© Öko-Institut
Um darzustellen und zu verstehen, wie hoch Emissionen von Treibhausgasen (THG), aber auch von Festlegungen von Kohlenstoff durch Aktivitäten in dem Sektor sind und wie sie sich entwickeln werden, gibt es zwei wichtige Instrumente:
- Die nationale THG-Bilanz, also den Rückblick auf die vergangenen Jahre,
- und THG-Projektionen der Bundesregierung, die einen Ausblick in die Zukunft geben.
In den letzten Jahren wurden die Methoden zur Berechnung der Treibhausgasbilanz im LULUCF-Sektor mehrfach weiterentwickelt und erfuhren methodische Änderungen. Das hat dazu geführt, dass sich die Ergebnisse der THG-Bilanzen im LULUCF-Sektor zum Teil stark verändert haben – und zwar unabhängig davon, ob es politische Maßnahmen gab oder nicht.
Hinzu kommen nun sich schnell und stark ändernde Entwicklungen im Wald durch Trockenheit und Käferschäden, was die aktuellen Ergebnisse der vierten Bundeswaldinventur (BWI-4) eindrucksvoll zeigen. Die neuesten Zahlen aus dem Treibhausgas-Inventar und den Treibhausgas-Projektionen machen deutlich: Der LULUCF-Sektor ist inzwischen zu einer klaren Treibhausgasquelle geworden. Die im Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) festgelegten Senkenziele von -25 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente (Mio. t CO2-Äq) im Jahr 2030 und -40 Mio. t CO2-Äq. im Jahr 2045 erscheinen derzeit kaum noch erreichbar. Für eine ausgewogene Positionierung in diesem Themenfeld ist es aber unerlässlich, die Hintergründe und die Datenlage zu verstehen:
- Wie wirken sich die methodischen Änderungen und die aktuellen Daten aus der 4. Bundeswaldinventur auf die THG-Bilanz im LULUCF-Sektor aus?
- Wie sind die aktuell vorliegenden Treibhausgas-Projektionen für den LULUCF-Sektor einzuordnen?
Die Frage, ob die Ziele des Bundes-Klimaschutzgesetztes grundsätzlich noch erreichbar sind, thematisieren wir an dieser Stelle nicht, sondern verweisen dazu auf ein aktuelles Faktenblatt des Umweltbundesamtes.
Die Besonderheiten im LULUCF-Sektor
Im Nationalen Treibhausgas-Inventar ist die Landnutzung der komplexeste Sektor – dies zeigt allein schon der englische Name land use, land-use change and forestry (kurz LULUCF). Im LULUCF-Sektor werden THG-Emissionen, die mit der Landnutzung zusammenhängen, berichtet. Unterschieden werden Wälder, Ackerland, Grünland, verschiedene Feuchtgebietstypen und Siedlungen. Hinzu kommt der Holzproduktspeicher ohne Flächenbezug. Je Flächentyp werden dann auch noch unterschiedliche Kohlenstoffpools unterschieden: lebende Bäume, abgestorbene Bäume, und anderes totes Pflanzenmaterial auf und im Boden. Böden werden in verschiedene Kategorien unterteilt, insbesondere werden Böden mit niedrigem und hohem Anteil an Bodenkohlenstoff (mineralische versus organische Böden) unterschieden. Die organischen Böden werden häufig auch als Moorböden bezeichnet.
Besonders hohe THG-Emissionen treten auf trockengelegten Moorböden auf, die als Acker- oder Grünland genutzt werden.
Zudem gibt es im LULUCF-Sektor drei Besonderheiten:
- Die Flächennutzung ist nicht starr und Flächen werden durch den Menschen von einer in eine andere Nutzungskategorie umgewandelt. Für die neu umgewandelten Flächen, zum Beispiel einen neuen Wald auf einer ehemaligen Ackerfläche, sind die THG-Emissionen andere als für bereits bestehenden Flächen.
- Flächen können CO2 und andere Treibhausgase freisetzen (Quellen) oder CO2 in Form von Kohlenstoff einbinden (Senken). Eine große CO2-Quelle sind trockengelegte organische Böden, die als Acker- oder Grünland genutzt werden wie Moorböden, Moorfolgeböden und Anmoore. Eine CO2-Senke entsteht, wo zum Beispiel Wälder wachsen, die im Zeitverlauf höher und dichter werden.
- Es handelt sich um natürliche Systeme, die insbesondere auf Wetterbedingungen reagieren.
Zusätzlich zu den folgenden Darstellungen sind weitere Informationen in den Analysen zur THG-Bilanz im LULUCF-Sektor und Ergebnisse klimasensitiver Szenarien im Wald-modell FABio-Forest verfügbar.
Historische Entwicklung der THG-Emissionen und Kohlenstofffestlegungen im LULUCF-Sektor: Wo entstehen Emissionen und wo wird CO2 gebunden?
Quelle: Eigene Darstellung nach Thünen-Institut (2025), Detaildaten von UBA bereitgestellt. Positiv: Quelle; negativ: Senke. Sonstige: Summe der Quellgruppen, deren Betrag in keinem Jahr größer ist als 0,014 Mio. t CO2-Äq. orgB = organische Böden; minB = mineralische Böden.
In der Darstellung der Detailanalyse sind die THG-Emissionen der einzelnen LULUCF-Kategorien ausgewiesen. Dabei haben wir bewusst auch Unterkategorien wie die lebende Biomasse im Wald getrennt dargestellt, um genau zu zeigen, wo Treibhausgase freigesetzt bzw. gebunden werden. Werte größer als Null bedeuten, dass Treibhausgase ausgestoßen werden – man spricht hier von Quellen (THG-Emissionen). Werte kleiner als Null zeigen Senken, also Bereiche, an denen CO2 aus der Atmosphäre aufgenommen und gespeichert wird ̶ sogenannte Negativemissionen. Folgende Muster sind dabei gut erkennbar:
- Große Quellen sind vor allem organische Böden, insbesondere unter Acker- und Grünlandflächen. Aber auch mineralische Böden unter Ackerland setzen Treibhausgase frei.
- Senken finden sich hauptsächlich im Wald, und zwar in lebenden Bäumen, in mineralischen Böden und im Totholz. Auch Holzprodukte speichern CO2. Bäume in Siedlungsgebieten sowie Pflanzen und mineralische Böden im Grünland speichern auch Kohlenstoff und bilden eine Senke.
- Die Schwankungen der Emissionen von Jahr zu Jahr haben verschiedene Gründe:
- Die Emissionen aus Böden hängen stark vom Wetter ab, da dieses den Abbau von Bodenkohlenstoff durch Bodenorganismen fördern oder verlangsamen kann.
- Der Kohlenstoffspeicher in Holzprodukten hängt von den aktuellen Zuflüssen an geerntetem Holz sowie der Holzverwendung in den vergangenen Jahrzehnten ab, vor allem auch davon, wie lange Holzprodukte verwendet werden.
- Die CO2-Bilanz der lebenden Bäume im Wald ist die Bilanz aus Wachstum und natürlichem Absterben sowie der Ernte von Bäumen durch den Menschen. Diese Bilanz hat den größten Einfluss auf die Veränderungen der THG-Bilanz im LULUCF-Sektor und wird durch Waldinventuren, die als Voll- und Teilinventuren alle fünf Jahre durchgeführt werden, ermittelt.
Die Inventurperiode von 2002 bis 2007 war von Sturmereignissen und Trockenheit geprägt, was zu einer geringeren CO2-Senkenleistung führte. In der Periode von 2008 bis 2017 herrschten dagegen gute Wachstumsbedingungen und die Wälder konnten viel CO2 binden und speichern. In den Jahren 2018 bis 2022 haben jedoch langanhaltende und ausgedehnte Trockenheit und damit einhergehender Käferbefall vor allem bei der Fichte zu hohen Absterberaten und bei allen Baumarten reduzierten Zuwächsen geführt. Dadurch wurde die lebende Biomasse im Wald zu einer deutlichen Treibhausgasquelle. Mehr dazu auch in unserem Blogbeitrag „Entwicklungen der CO2-Speicherleistung des Waldes frühzeitiger abschätzen – Einordung der Ergebnisse der Bundeswaldinventur“.
Insgesamt war die Nettobilanz des LULUCF-Sektors in Jahren mit gutem Waldwachstum eine Senke oder nur eine leichte Quelle. In Jahren mit schlechtem Waldwachstum – etwa von 2002 bis 2007 und ab 2018 – wurde der LULUCF-Sektor in Summe eine deutliche Quelle.
Verbesserungen im LULUCF-Sektor können erreicht werden, indem Quellen reduziert werden, zum Beispiel durch den Schutz von Moorböden durch Wiedervernässung. Gleichzeitig können Senken erhalten oder sogar gesteigert werden, etwa durch den Ausbau des Holzproduktspeichers oder durch die Förderung der Waldsenke.
Unsicherheiten und methodische Herausforderungen bei der Treibhausgasbilanzierung im LULUCF-Sektor
Die Methoden zur Berechnung der Treibhausgasbilanz im LULUCF-Sektor werden fortlaufend vom Thünen-Institut weiterentwickelt. Dabei fließen kontinuierlich neue Daten ein, sobald diese verfügbar werden. Diese sehr wichtige und hoch spezialisierte Arbeit am Thünen-Institut hat zur Folge, dass sich die Ergebnisse der LULUCF-Bilanz von einem THG-Inventar zum nächsten ändern können.
Quelle: Eigene Darstellung auf Basis der LULUCF-Datenbank des UBA zum THG-Inventar 2025 und CRF-Tabellen zum THG-Inventar 2021 und 2023. Dargestellt sind die Mittelwerte der Jahre 2013 bis 2017 und der Jahre 2018 bis 2019.
Im Überblick zur methodischen Veränderung der THG-Bilanz sind die Ergebnisse aus den Inventaren der Jahre 2021, 2023 und 2025 dargestellt. Dabei wurden jeweils die Durchschnittswerte für die Jahre 2013 bis 2017 – eine Periode mit guten Wachstumsbedingungen im Wald – und für 2018 bis 2019, eine Zeit mit schlechten Wachstumsbedingungen, betrachtet (siehe Details in Analysen zur THG-Bilanz im LULUCF-Sektor und Ergebnisse klimasensitiver Szenarien im Wald-modell FABio-Forest; 2019 ist das letzte berichtete Jahr im THG-Inventar 2021).
- Im THG-Inventar 2021 lag die Treibhausgas-Bilanz für diese beiden Zeiträume noch bei etwa -20 bzw. -17 Mio. t CO2-Äq. Diese Werte bildeten die Grundlage für die Festlegung des Zielwerts von -25 Mio. t CO2-Äq bis 2030. Die Waldzahlen basierten damals auf einer Fortschreibung der Kohlenstoffinventur aus den Jahren 2013 bis 2017.
- Bis zum THG-Inventar 2023 wurden methodische Veränderungen vorgenommen, zum Beispiel durch eine neue Methode zur Bilanzierung des Kohlenstoffspeichers in mineralischen Waldböden und die neu hinzukommende Berücksichtigung von Methanemissionen aus stehenden künstlichen Gewässern. Dadurch verschlechterte sich die Treibhausgas-Bilanz des LULUCF-Sektors. Die Senkenleistung für die beiden Perioden sank auf -12 bzw. -7 Mio. t CO2-Äq. Die Waldzahlen basierten weiterhin auf einer Fortschreibung der Kohlenstoffinventur aus den Jahren 2013-2017.
- Im THG-Inventar 2025 gab es weitere methodische Veränderungen, vor allem bei der Bilanzierung der Kohlenstoffspeicher in Böden. Das THG-Inventar verschlechtert sich dadurch in den Jahren 2013-2017 um ca. 14 Mio. t CO2-Äq und in den Jahren 2018-2019 um ca. 20 Mio. t CO2-Äq. Zudem wurden erstmals die Daten der vierten Bundeswaldinventur berücksichtigt. Für die Jahre 2013 bis 2017 führte das zu einer kleinen Korrektur von rund 4 Mio. t CO2-Äq, da für diese Periode für den Wald bereits Ergebnisse aus der Kohlenstoffinventur 2017 vorlagen. Für die Jahre 2018-2019 war die Korrektur für die Summe der Kohlenstoffpools der lebenden Bäume und des Totholzes im Wald mit etwa 65 Mio. t CO2-Äq erheblich. Insgesamt wurde der LULUCF-Sektor für 2013 bis 2017 zu einer Quelle von 6 Mio. t CO2-Äq und für 2018 bis 2019 sogar zu einer Quelle von 78 Mio. t CO2-Äq.
Zum Vergleich: Die Maßnahmen zum Schutz von Moorböden sollen laut einer Bund-Länder-Vereinbarung bis 2030 eine Treibhausgasminderung von 5 Mio. t CO2-Äq. erreichen. Die Veränderungen in den Berechnungsmethoden und die Aufnahme der neu verfügbaren Daten zeigen, wie stark sich die Einschätzung der Treibhausgasbilanz im LULUCF-Sektor verändern kann – und wie wichtig es ist, diese Änderungen zu verstehen.
Wie beeinflussen methodische Veränderungen und neue Daten aus der vierten Bundeswaldinventur die Treibhausgasbilanz im LULUCF-Sektor?
Seit 2018 zeigen die Treibhausgas-Inventare, dass der LULUCF-Sektor mit über 70 Mio. t CO2-Äq weit von den Zielen des Bundesklimaschutzgesetzes (KSG) entfernt ist. Das Treibhausgas-Inventar von 2021 bildete die Grundlage für die Ausweisung der Senkenziele im KSG, zum Beispiel -25 Mio. t CO2-Äq bis 2030. Seitdem haben methodische Veränderungen die Bilanz um etwa 20 bis 25 Mio. t CO2-Äq verschlechtert. Dieser methodisch bedingte Effekt ist unabhängig von Wetterbedingungen oder politischen Maßnahmen zum Klimaschutz. Zusätzlich führten Trockenheit und Käferbefall zu hohen Absterberaten und geringeren Zuwächsen, was die Emissionen um rund 65 Mio. t CO2-Äq steigen ließ.
Einordnung der Treibhausgas-Projektionen
Die Bundesregierung veröffentlicht für den LULUCF-Sektor alle zwei Jahre drei Projektionsszenarien:
- Das Mit-Maßnahmen-Szenario (MMS) berücksichtigt bereits beschlossene und umgesetzte Klimaschutzmaßnahmen.
- Das Mit-Weiteren-Maßnahmen-Szenario (MWMS) bezieht zusätzlich von der Bundesregierung geplante Klimaschutzmaßnahmen mit ein.
- Das Ohne-Maßnahmen-Szenario (OMS) geht davon aus, dass keine der zuvor genannten Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt werden.
Quelle: Eigene Darstellung auf Basis der Projektionsberichte 2024 (Harthan et al. 2024) und 2025 (vorläufig, Wehnemann et al. 2025). Die Daten wurden auf Basis der Abbildungen in den Berichten digitalisiert. OMS = Ohne-Maßnahmen-Szenario. MMS = Mit-Maßnahmen-Szenario, MWMS = Mit-Weiteren-Maßnahmen-Szenario, FortSchr = Fortschreibung der Bedingungen im Wald aus Basis der berichteten Waldinventurdaten für 2013-2017, 2013-2022 oder 2018-2022, KSG = Bundes-Klimaschutzgesetz.
Die Abbildung zeigt die Projektionsergebnisse verschiedener Veröffentlichungsjahre:
- Die Projektionen von 2023 werden durch die unteren drei gepunkteten Linien repräsentiert. Blau das OMS, grün das MMS und lila das MWMS. Mit den Klimaschutzmaßnahmen wird gegenüber dem OMS eine THG-Minderung um ca. 10 Mio. t CO2-Äq. erreicht. Das KSG-Ziel von -25 Mio. t CO2-Äq. in 2023 wird mit dem MWMS im besten Fall um etwa 6 Millionen Tonnen verfehlt – eine Lücke, die durch weitere Maßnahmen schließbar erscheint.
- Mit den methodischen Veränderungen im THG-Inventar, dargestellt durch die kurz gestrichelten Linien, verschlechtern sich die Projektionen 2024 deutlich. Die erwartete Minderung durch Klimaschutzmaßnahmen im LULUCF-Sektor bleibt zwar bei etwa 10 Mio. t CO2-Äq da sich die Maßnahmen wenig verändert haben. Das KSG-Ziel im Jahr 2030 wird aber nun aufgrund der methodischen Veränderungen statt um 6 Millionen um knapp 25 Mio. t CO2-Äq. verfehlt (THG-Projektionen 2023).
- In den Projektionen 2025, dargestellt durch die durchgezogenen Linien, wird der LULUCF-Sektor sogar zu einer deutlichen Quelle von über 30 Mio. t CO2-Äq. Die Differenz zu den KSG-Zielen wächst weiter, weil neben methodischen Veränderungen nun auch die Ergebnisse der vierten Bundeswaldinventur (BWI-4) berücksichtigt werden. Dabei werden die Bedingungen im Wald aus den Jahren 2013 bis 2022, die zu gleichen Teilen aus Jahren mit guten und schlechten Wuchsbedingungen bestehen, fortgeschrieben. Die Wirkung der Klimaschutzmaßnahmen bleibt mit etwa 10 Mio. t CO2-Äq. Einsparung stabil – die abschließenden Ergebnisse des MWMS stehen aber noch aus.
- Für das OMS gibt es zwei Varianten:
- Eine Variante, dargestellt durch die blaue lang-gestrichelte Linie, geht von weiterhin günstigen Waldwachstumsbedingungen wie in den Jahren 2013-2017 aus und schätzt eine Quelle von etwa 10 Mio. t CO2-Äq. Diese OMS-Variante liegt somit nahe an den OMS-Projektionen aus dem Jahr 2024.
- Die zweite Variante (blaue punkt-gestrichelte Linie) nimmt an, dass dauerhaft schlechte Wuchsbedingungen wie in den Jahren 2018-2022 vorherrschen, wodurch der LULUCF-Sektor eine hohe Quelle von über 60 Mio. t CO2-Äq. bleibt.
Klimasensitive Waldmodellierung in FABio-Forest
Die Treibhausgas-Projektionen im LULUCF-Sektor hängen sehr stark davon ab, wie sich die lebende Bäume Biomasse im Wald entwickelt – und damit auch von den erwarteten Wetter- und Klimabedingungen. Um diese Zusammenhänge besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Ergebnisse unseres Waldmodells FABio-Forest, das Klimaeffekte auf das Waldwachstum berücksichtigt.
Im Waldklimafond-Projekt DIFENs wurde in FABio-Forest ein von Klimaparametern abhängiger Term in die Funktion zur Beschreibung des Baumwachstums integriert. Die dafür nötigen Zusammenhänge wurden in Kooperation mit Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung mithilfe des prozessbasierten Waldmodels 4C abgeleitet. Wesentliche Einflussfaktoren in FABio-Forest sind:
- jährliche Wetterdaten, wie die klimatische Wasserbilanz der Vegetationsperiode, die Anzahl und Temperatur von Wachstumstagen mit einer Tagesmitteltemperatur von mehr als 5 Grad Celsius, und die mittlere jährliche Sonneneinstrahlung,
- die jährliche Sterberate verschiedener Baumartengruppen, basierend auf der Waldzustandserhebung des Thünen-Instituts,
- sowie die jährliche Holzentnahme, die auf den Daten der Einschlagsrückrechnung des Thünen-Instituts beruht.
Zur Feinabstimmung des Modells wurden die Ergebnisse der Kohlenstoffinventur von 2017 sowie der vierten Bundeswaldinventur von 2022 genutzt. So kann FABio-Forest die historische Waldentwicklung bis 2022 gut abzubilden, wie die Abbildung zur „Klimasensitiven Waldmodellierung in FABio-Forest“ zeigt:
Quelle: Eigene Darstellung, FABio-Forest. THG-Inventar nach Thünen-Institut (2025), Detaildaten von UBA bereitgestellt. 1J = jährliche Werte, M5J = 5-jähriger Mittelwert. Die Karten stellen die Anomalie der klimatischen Wasserbilanz gegenüber der Periode 2003 bis 2012 dar (gelb=trocken, blau=feucht, Daten des Deutschen Wetterdienstes, aufbereitet durch PIK.). Details zum Waldmodell FABio-Forest finden sich in Böttcher et al. (2018), Pfeiffer et al. (2023) und Pfeiffer et al. (2025).
- Die dünne hellblaue Linie stellt die jahresscharfen, klimasensitiven Ergebnisse aus FABio-Forest dar. In trockenen Jahren fällt die CO2-Bilanz der lebenden Bäume schlechter aus als in feuchteren Jahren.
- Die Durchschnittswerte für die Jahre 2014 bis 2017 und 2018 bis 2022 stimmen gut mit den Ergebnissen der BWI-4 überein.
- Die Ergebnisse des offiziellen THG-Inventars, repräsentiert durch die graue Linie, zeigen kaum Schwankungen. Das liegt daran, dass die Waldinventuren nur alle fünf Jahre durchgeführt werden und lediglich die jährlichen Holzentnahmemengen zu Schwankungen führen, wohingegen jährliche klimabedingte Schwankungen und zeitlich variierende Absterberaten der Bäume nicht einfließen.
Klimasensitive Fortschreibung der Treibhausgas-Bilanz der lebenden Bäume: Ergebnisse für 2023 und Ausblick
Die vierte Bundeswaldinventur stellt die Situation im Wald im Jahr 2022 dar, die nächste Waldinventur findet dann erst wieder 2027 statt. Die Auswertung dieser neuen Daten wird voraussichtlich erst 2028 abgeschlossen und 2029 im THG-Inventar berücksichtigt. Bis dahin muss die THG-Bilanz der lebenden Bäume für die Jahre nach 2022 fortgeschrieben werden.
Im aktuellen THG-Inventar wird für das Jahr 2023 die Waldentwicklung der Jahre 2018-2022 fortgeschrieben und geringfügig anhand der Holzentnahme angepasst. Daraus ergibt sich für 2023 für die lebenden Bäume eine Quelle von 24,7 Mio. CO2-Äq. Die klimasensitive Modellierung mit FABio-Forest kommt dagegen auf eine deutlich kleinere Quelle von nur 2,2 Mio. t CO2-Äq. also um 22,5 Mio. t CO2-Äq. günstiger. Das liegt daran, dass FABio-Forest neben Daten zur Holzernte zusätzlich auch aktuelle Wetter- und Mortalitätsdaten der Bäume berücksichtigt. Diese Daten zeigen klar: Im Jahr 2023 waren die Wachstumsbedingungen günstiger und die Baumabsterberaten niedriger als im Zeitraum 2018 bis 2022.
Bis zum THG-Inventar 2024 wurde für die Jahre 2018 bis 2022 basierend auf der vereinfachten Fortschreibung für die lebenden Bäume im Wald im Mittel eine Senke von -32,2 Mio. t CO2-Äq. berichtet. Im Treibhausgas-Inventar 2025 wurden diese Werte jedoch rückwirkend um über 60 Mio. t CO2-Äq korrigiert, da nun die Ergebnisse der BWI-4 einfließen.
Bleibt die vereinfachte Fortschreibungsmethode im Inventar bestehen, könnte sich eine ähnliche Korrektur im Jahr 2029 wiederholen, wenn die nächste Zwischeninventur ausgewertet sein wird. Die klimasensitive Waldmodellierung mit FABio-Forest bietet hier die Möglichkeit, schon früher Änderungen der Situation im Wald aufgrund von Witterung und Holzernte darzustellen und somit richtungssichere THG-Bilanzen für die lebenden Bäume zu liefern.
Auch für die Treibhausgas-Projektion kann die klimasensitive Waldmodellierung mit FABio-Forest eine wertvolle Ergänzung sein. Die Herausforderung dabei ist jedoch, dass weder die zukünftigen Wetterbedingungen noch die Holzentnahme bekannt sind. Deshalb haben wir für FABio-Forest vier verschiedene Szenarien entwickelt, die unterschiedliche Annahmen zu diesen Faktoren abbilden:
Quelle: Eigene Darstellung. Anmerkungen: Jährliche historische Daten zu den Klimaparametern werden für die Fortschrei-bung herangezogen, das räumliche Muster der Verteilung ist aber zufällig verändert. Für die Veränderung der Mortalität der Bäume werden jährliche Daten der Waldzustandserhebung (WZE 2024) berücksichtigt und dem jeweils ausgewähltem Jahr zugeordnet. Die Holznachfrage wird aus der historischen Holzentnahme nach der Einschlagsrückrechnung (Jochem et al. 2025) abgeleitet.
In der Abbildung „FABio-Forest: Waldmodellierung Klima1Holz1“ sind beispielhaft die detaillierten Modellierungsergebnisse für das Szenario K1H1 dargestellt. Dieses Szenario kombiniert Annahmen zu Klimabedingungen und Holznutzung. Um die langfristigen Trends der verschiedenen Szenarien besser vergleichen zu können, verwenden wir 20-Jahres-Mittelwerte, sogenannte Bi-Dekaden. Diese Zeitspanne entspricht der Länge der zugrundeliegenden Wetterdatenzyklen, die für die Modellierung genutzt werden, und macht die verschiedenen Szenarien vergleichbarer und längerfristige Trends sichtbarer.
Quelle: Eigene Darstellung, FABio-Forest. THG-Inventar nach Thünen-Institut (2025), Detaildaten von UBA bereitgestellt.
1J = jährliche Werte, M20J = 20-jähriger Mittelwert, W = jährliche Witterung abgleitet aus den Jahren 2003 bis 2022 bzw. 2013 bis 2022 (zyklische Wiederholung), H = Holzentnahme als Mittelwert der Jahre 2013 bis 2017 bzw. 2013 bis 2022 laut Ein-schlagsrückrechnung des Thünen-Instituts (Jochem et al. 2025).
Vergleich der Szenarien: Warum realistische Annahmen wichtig sind
Quelle: Eigene Darstellung, FABio-Forest. THG-Inventar nach Thünen-Institut (2025), Detaildaten von UBA bereitgestellt.
1J = jährliche Werte, M20J = 20-jähriger Mittelwert, W = jährliche Witterung abgleitet aus den Jahren 2003 bis 2022 bzw. 2013 bis 2022 (zyklische Wiederholung), H = Holzentnahme als Mittelwert der Jahre 2013 bis 2017 bzw. 2013 bis 2022 laut Ein-schlagsrückrechnung des Thünen-Instituts (Jochem et al. 2025). OMS = Ohne-Maßnahmen-Szenario in den THG-Projektionen 2025 (Ergebnispräsentation des Thünen-Instituts am 10.04.2025: „Vierte Bundeswaldinventur: Der Kohlenstoffspeicher Wald“).
Die Abbildung zeigt die durchschnittlichen Treibhausgasbilanzen der vier FABio-Szenarien aus Tabelle „FABio-Forest: Waldmodellierung – Klima- und Holznachfrage-Szenarien“ über 20-Jahres-Zeiträume. Die Ergebnisse zeigen: Für die Jahre 2024 bis 2043 spannt sich ein möglicher Korridor von -21 bis 0 Mio. t CO2-Äq. und von -16 bis 7 Mio. t CO2-Äq. für die Jahre 2044 bis 2063 auf. Zum Vergleich: Die Projektionen der Bundesregierung im Ohne-Maßnahmen-Szenario (OMS) gehen von einer durchschnittlichen Quelle von etwa. 9 Mio. t CO2-Äq. aus – also genau in der Mitte unseres Szenarienkorridors. Allerdings ist der Unsicherheitsbereich in den offiziellen Projektionen zu Beginn dreimal größer.
Warum dieser Unterschied? Der Grund liegt darin, dass die OMS-Varianten der offiziellen Projektionen auf zwei sehr extremen Annahmen basieren: entweder dauerhaft sehr schlechte Wachstumsbedingungen wie in den Dürrejahren 2018 bis 2022 oder konstant gute Bedingungen wie in den Jahren 2013 bis 2017. Beide Szenarien sind in der Praxis sehr unwahrscheinlich. Die vier FABio-Szenarien bilden dagegen realistischere Zwischenstufen ab, die unterschiedliche Kombinationen von Holznutzungen und zeitlich variablen Klimabedingungen mit variierenden Häufigkeiten von Extremjahren. Der engere FABio-Korridor zeigt: Selbst ohne zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen könnte der LULUCF-Sektor je nach Waldentwicklung noch leicht als Senke fungieren oder eine moderate Quelle sein.
Die extremen Werte für den Korridor der offiziellen Projektionen verdeutlichen, wie wichtig es ist, Projektionen basierend auf erwartbaren Annahmen zu erstellen und dabei auch moderne Modelle wie FABio-Forest einzusetzen, die sowohl Klima als auch Holznutzung dynamisch jahresscharf abbilden können. Auf Basis jährlich verfügbaren Daten zu Wetterbedingungen und Holzentnahme können Waldmodelle wie FABio-Forest die Datenlücke zwischen den 5-jährigen Waldinventuren richtungssicherer überbrücken, und für Projektionen können erwartbare Korridore besser abgeschätzt werden.
Wie sind die Treibhausgas-Projektionen für den LULUCF-Sektor einzuordnen?
Die Ergebnisse im OMS stellen eine erwartbare Treibhaugas-Projektion dar. Da die höchsten Unsicherheiten im OMS für die Entwicklung der lebenden Bäume im Wald bestehen, haben wir diesen Aspekt in diesem Blogbeitrag besonders ausführlich betrachtet. Der in den offiziellen Projektionen ausgewiesene Korridor zu möglichen Entwicklungen basiert auf sehr extremen, kaum zu erwartenden Annahmen. Solche Extremannahmen sind für die politische Diskussion wenig hilfreich, da sie die tatsächlichen Unsicherheiten zu stark über- oder unterschätzen. Wir empfehlen für die Waldentwicklung, klimasensitive Analysen wie in FABio-Forest bei der Bestimmung von Unsicherheiten einzubeziehen. In jedem Fall sollten im THG-Inventar für die Herleitung berichteter Werte zum Wald vorhandene Wetterdaten berücksichtigt werden, insbesondere für die Jahre, in denen noch keine neuen Daten der Waldinventur vorliegen.
Können die LULUCF-Ziele im Bundes-Klimaschutzgesetz noch erreicht werden?
Im Raum steht die wichtige Frage, ob die im Bundes-Klimaschutzgesetz festgelegten Ziele für den LULUCF-Sektor tatsächlich noch erreichbar sind. In diesem Blog haben wir uns bewusst auf die methodischen Grundlagen und die Datenlage konzentriert, um ein besseres Verständnis dafür zu schaffen, wie die Datenlage zur Beantwortung dieser Frage sich darstellt.
Grundsätzlich gibt es zahlreiche Maßnahmen, mit denen die Ziele im LULUCF-Sektor erreicht werden können. Das Umweltbundesamt zeigt dies im Szenario „CARESupreme“ auf. Dieses Szenario geht von ambitionierten politischen und gesellschaftlichen Anstrengungen aus, die den Schutz und die nachhaltige Nutzung von Wäldern, Mooren und landwirtschaftlichen Flächen fördern. Dazu gehören Maßnahmen wie Moorbodenschutz durch Wiedervernässung, klimafreundliche Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen (zum Beispiel Agroforstsysteme) und eine Waldbewirtschaftung, die an Klimaschutzzielen ausgerichtet ist. Gleichzeitig sind auch langlebige Holzprodukte ein wichtiger Baustein, um mögliche Lücken zu schließen.
Damit ein solcher Weg gelingt, ist ein breiter politischer und gesellschaftlicher Diskurs erforderlich. Dabei müssen die Herausforderungen für die Akteure im Landnutzungssektor ebenso berücksichtig werden wie die Belastungen für die Bevölkerung, und zudem die gesamte deutsche Klimaarchitektur. Denn sollten die LULUCF-Ziele im Jahr 2045 nicht erreicht oder abgeschwächt werden, hätte das Konsequenzen für andere Bereiche: In den Sektoren Industrie und Landwirtschaft müssten dann weniger Restemissionen verbleiben oder es müssen verstärkt technische CO2-Senken, wie etwa Anlagen zur CO2-Abscheidung und -Speicherung, eingesetzt werden, um bis zum Jahr 2045 Treibhausgasneutralität zu erreichen.
Dr. Hannes Böttcher ist Forstwissenschaftler und arbeitet zu Klimaschutzpolitik im Landnutzungssektor. Er koordiniert das Team Biogene Ressourcen und Landnutzung im Bereich Energie & Klimaschutz am Standort Berlin. Zusammen mit Dr. Klaus Hennenberg, Biologe und Experte für Waldmodellierung und Nachhaltigkeitsbewertungen in Darmstadt, hat er das Waldentwicklungsmodell FABio Forest entwickelt. Dr. Mirjam Pfeiffer ist als Expertin für Ökosystemdynamik und Waldmodellierung ebenfalls am Standort Darmstadt tätig.
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