„Klimaschutz und Sozialpolitik von Anfang an zusammendenken“

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Das Soziale kommt
Klimaschutz ist eine Querschnittsaufgabe und muss daher in allen Politikfeldern verankert sein. Seine soziale Perspektive wurde lange Zeit vernachlässigt. „Im diskursiven Raum hat sich das in den vergangenen fünf Jahren deutlich verändert. Inzwischen gibt es zahlreiche Studien, die sich mit sozialen Fragen befassen – egal, ob es um Verkehr, Gebäude oder Ernährung geht – und auch Ideen für Maßnahmen, die Menschen mit geringem Einkommen gezielt unterstützen“, sagt Astrid Schaffert. In der Realpolitik sei bei der Stärkung des Sozialen aber noch „Luft nach oben“.

Es ist unumgänglich, die soziale Komponente immer systematisch mitzubetrachten. Nicht nur für die Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen, sondern auch und vor allem wegen der Gerechtigkeit.
„Es gab in der vergangenen Legislaturperiode erste Ansätze, etwa beim CO2-Kosten-Aufteilungsgesetz oder beim Einkommensbonus für die Heizungsförderung.“ Trotz Rezession und auch mit einer neuen Regierung bleibt Schaffert „Berufsoptimistin“. „Einkommensärmere Menschen, die keine finanziellen Spielräume haben und jetzt schon überlastet sind, sollten nicht auch noch einen höheren Anteil ihres Geldes für die Transformation ausgeben müssen. Deshalb darf etwa der weitere Ausbau der Stromnetze – der ohne Frage wichtig ist – nicht über eine Umlage finanziert werden. Das belastet die falschen Gruppen.“
Klimaschutz braucht einen Sozialcheck
Bei Klimaschutzmaßnahmen wird, meist noch bevor sie eingeführt werden, analysiert, welche Auswirkungen sie voraussichtlich haben. Auf die Emissionen, natürlich. Oder auf die Wirtschaft. Eine Frage bleibt dabei in der Regel außen vor: Wie wirken sie in sozialer Sicht? „Schon bei Initiativen zur Gebäudesanierung oder Maßnahmen für Photovoltaik-Anlagen auf Dächern hätte man sich von Anfang an anschauen müssen: Wer profitiert davon? Und wer zahlt drauf? Es braucht einen Sozialcheck für Klimaschutzmaßnahmen. Wenn es etwa um den Einsatz von neuen Batterietechnologien geht, können Haushalte mit hohem Einkommen ihren Stromverbrauch viel leichter zeitlich steuern. Daher müssen Einkommensärmere in die Lage versetzt werden, Strom ebenfalls dann zu verbrauchen, wenn er günstig ist.“ Ein Schritt in die richtige Richtung sei es, dass nun auch Mieterhaushalte von Balkonsolarkraftwerken profitieren können. „Das kann man durch eine gezielte Unterstützung von Menschen mit wenig Einkommen ausweiten.“
Mit Recht und Steuern
Klimaschutz kennt viele Ansätze und Maßnahmen, die auch einkommensärmeren Menschen ein nachhaltigeres Verhalten erleichtern – sichere Radwege oder ein gut ausgebauter und preisgünstiger ÖPNV. Gleichzeitig brauche es aber das Ordnungsrecht und Lenkungssteuern, so Astrid Schaffert. „Dazu gehört es, den Einbau von Öl- und Gasheizungen zu verbieten und fossile Energien zu verteuern – inklusive einer finanziellen Kompensation für vulnerable Gruppen. Um einkommensärmere Haushalte zu unterstützen, sind sozial gestaffelte Förderprogramme für die Gebäudesanierung oder eine einkommensgestaffelte Förderung von E-Autos denkbar. Denn bislang sind entsprechende Förderprogramme vor allem einkommensstarken Haushalten zugutegekommen.“
Bei den Nachbarn vorbeischauen
Wertvolle Ansätze für sozial gerechten Klimaschutz sieht Astrid Schaffert bei den europäischen Nachbarn. „In Frankreich dürfen zum Beispiel die Gebäude mit der schlechtesten Energieeffizienz nicht mehr vermietet werden. Hier gibt es außerdem ein staatlich subventioniertes Leasing von Elektroautos. Wer in Belgien die Miete erhöhen will, darf das nur, wenn er die Effizienz verbessert. In Zürich haben kommunale Wohnungsunternehmen eine Mindestbelegungsquote, die verhindern soll, dass Menschen auf zu großen Wohnflächen wohnen. Etwa, wenn die Kinder ausgezogen sind. Ihnen werden dann Alternativen vorgeschlagen.“ Und auch ein Blick in den Norden lohnt sich: In Dänemark wird seit Jahren konsequent die Wärmewende vorangetrieben. „Der Einbau von Öl- und Gasheizungen ist hier schon seit über zehn Jahren verboten.“
Es geht um mehr als Geld
Natürlich geht es bei sozialem Klimaschutz um Finanzen. Um die Frage, wer die Kosten trägt und wer Unterstützung erfährt. „Es gibt aber noch deutlich mehr Dimensionen, bei denen Ungleichheiten entstehen können. So zum Beispiel bei der Frage, wer im politischen Diskurs Gehör findet, wer besonders unter den aktuellen (Lärm-)Emissionen leidet oder wie der öffentliche Raum aufgeteilt ist“, sagt Schaffert. Wenn wir einen Chancenblick für Menschen im unteren und mittleren Einkommenssegment einführen, profitieren diese von sozialer Klimapolitik. Armutslagen könnten überwunden, Gesundheit und Teilhabechancen gestärkt werden.
Astrid Schaffert ist Expertin für soziale Klimapolitik. Von 2015 bis 2024 arbeitete sie beim Deutschen Caritasverband. Hier widmete sie sich unter anderem der Wohnungspolitik, der Stadtentwicklung sowie der Sozialraumorientierung und entwickelte die Strategie und fachliche Ausrichtung für den Bereich „Soziale Klimapolitik“. Im Jahr 2024 hat die Diplom-Sozialwirtin bei der Gründung der wissenschaftlichen Denkfabrik Zukunft KlimaSozial mitgewirkt und erarbeitet dort seitdem Analysen und Politikvorschläge, die sie in den öffentlichen Diskurs einbringt.
Weitere Informationen
Porträt von Astrid Schaffert im Magazin eco@work, Ausgabe 02/2025
11 Thesen für eine Klimasozialpolitik auf der Website von Zukunft KlimaSozial
KlimaSozial kompakt: Beispiele für klimasoziale Maßnahmen in Europa
Porträt Astrid Schaffert © Frank Woelffing