
Umweltpolitik und gesellschaftliche Transformation
Wir stehen heute vor großen ökologischen Herausforderungen: Klimawandel, Verlust von Biodiversität, Umweltverschmutzung – die globalen Umweltprobleme sind so weitreichend, dass es notwendig ist, jenseits der Beschäftigung mit einzelnen Ursachen und Lösungsansätzen das große Ganze in den Blick zu nehmen.
So sind in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, wie beispielsweise Energie, Verkehr und Ernährung umfassende Transformationsprozesse nötig. Von Transformationen sprechen wir, wenn Veränderungen in Technologien, Infrastrukturen, Konsum, Kultur und Politik ineinandergreifen und sich wechselseitig verstärken.
Transformationen führen dazu, dass gesellschaftliche Bedürfnisse, beispielsweise nach Mobilität, grundlegend anders erfüllt werden als zuvor. So kam mit dem Automobil nicht nur eine neue Technologie ins Spiel. Vielmehr entstanden völlig neue Wirtschaftszweige, von der Autoproduktion über Wartungs- und Reparaturbetriebe bis zur Kraftstoffindustrie, „autogerechte“ Infrastrukturen (Autobahnen, Parkplätze, Ampeln, Tankstellen), politische Regelungen von der Straßenverkehrsordnung bis zum Dienstwagenprivileg, ein verändertes Mobilitätsverhalten und neue Leitbilder wie „Freie Fahrt für freie Bürger“.
Teilverbesserungen reichen nicht aus
Die Ursachen von hartnäckigen Umweltproblemen, wie dem Klimawandel oder dem Verlust biologischer Vielfalt, liegen oft tief verwurzelt in komplexen Problemzusammenhängen. So sind unökologische Verhaltensweisen und Technologien etwa eingebettet in kulturell geprägte, nicht-nachhaltige Leitbilder, die sich nicht so einfach ändern.
Eine systemische Perspektive kann helfen, Probleme und mögliche Lösungen besser zu verstehen. Transformationsfelder wie Verkehr und Ernährung lassen sich als soziotechnische Systeme betrachten, die von verschiedenen Systemelementen, beispielsweise Werten, Verhalten, Produkten, Infrastrukturen, sozialen Strukturen und Politik, geprägt werden. Diese hängen wechselseitig miteinander zusammen, wie das Beispiel der Automobilität zeigt. Gemeinsam wirken sie sich auch auf den Umweltverbrauch des Systems aus.
Um solche Umweltprobleme zu lösen, reichen Teilverbesserungen nicht aus. Diese können zu Problemverschiebungen und teils auch zu Rebound-Effekten führen, also zum Mehrverbrauch von Energie oder Rohstoffen trotz Entlastungen oder Effizienzsteigerungen im Einzelnen. Daher sind umfassendere Prozesse des Wandels – eben Transformationen – erforderlich. Während bisherige Transformationen (wie die Automobilisierung, die industrielle Revolution etc.) meist zu größeren Umwelt- und Ressourcenverbräuchen führten, sind nun „Nachhaltigkeitstransformationen“ nötig, die Umweltbelastungen massiv reduzieren.
Transformativer Wandel und Umweltpolitik
Transformative Umweltpolitik versucht, Nachhaltigkeitstransformationen in Gang zu setzen und zu befördern (zum Beispiel die Energiewende) oder ohnehin laufende Wandlungsprozesse umweltverträglicher zu gestalten (zum Beispiel die Digitalisierung).
Dabei ist es unabdingbar, dass Umweltpolitik ihren Blick von der Bekämpfung einzelner Symptome und Ursachen (zunächst) löst und versucht, systemische Zusammenhänge zu adressieren. Transformative Umweltpolitik nutzt die Dynamiken von Transformationsprozessen und kann auf einen Werkzeugkasten mit unterschiedlichen Gestaltungsansätzen zugreifen (siehe weiter unten). Diese ersetzen klassische Politikinstrumente nicht, sondern ergänzen sie und können ihre Durch- und Umsetzung auch erleichtern.
Transformationsprozesse sind häufig konfliktreich und erzeugen Widerstände. Bislang gültige Überzeugungen, Verhaltensmuster, Institutionen, Investitionen und Qualifikationen werden in Frage gestellt. Neue Akteure treten auf, es kommt zu Macht- und Verteilungskonflikten. Transformative Umweltpolitik steht vor der Herausforderung, mit solchen Konflikten umzugehen, und zugleich sozial verträglich und gesellschaftlich akzeptiert zu sein.
Ansätze zur Förderung und Gestaltung von Transformationen
Transformative Umweltpolitik nimmt zuvorderst einen systemischen Blickwinkel bei der Analyse von Problemen („Transformationsfeldern“) ein. Sie unterstützt die Entwicklung von Zukunftsvisionen fördert technische, sozialen und institutionelle Innovationen. In Experimentierräumen können diese zeitlich und räumlich begrenzt getestet werden.
Zudem bindet transformative Umweltpolitik neue Akteure ein und versucht, gesellschaftliche Trends frühzeitig zu erkennen, zu bewerten und ökologisch zu gestalten. Schließlich ist es in Transformationsprozessen wichtig, den Ausstieg aus nicht-nachhaltigen Strukturen zu gestalten (Exnovation).
Die einzelnen Handlungsansätze lassen sich kombinieren, bauen aber nicht unbedingt aufeinander auf. Auch müssen sie nicht alle zum Einsatz kommen.
Transformationsdynamiken und die Rolle von Umweltpolitik in unterschiedlichen Phasen
In Transformationsprozessen löst sich ein vormals stabiler Systemzustand auf und nach einer Übergangsphase konfiguriert sich das System neu. Der Wandel beinhaltet verschiedene Phasen:
In der „Vorlaufphase“ finden technische oder soziale Veränderungen in Nischen statt. Pioniere (Change Agents) entwickeln Visionen und Innovationen, die auch miteinander in Konkurrenz stehen können. Umweltpolitik kann in dieser Phase gezielt Dynamik erzeugen, etwa indem sie Innovationen breit fördert und neue Akteure einbindet.
Daran schließt sich eine „Beschleunigungsphase“ an, in der sich das System rasch verändert. Diese Phase ist konfliktreich, denn nun konkurriert Neues mit Altem. Zugleich beginnen verschiedene Innovationen ineinanderzugreifen und sich gemeinsam zu entwickeln. Beispielsweise hat die Entwicklung von Smartphones und ihren Anwendungen Auswirkungen auf Nutzerpraktiken in den Systemen Wohnen oder Mobilität und umgekehrt. Durch umweltpolitische Maßnahmen kann Richtungssicherheit erzeugt und so die Transformation unterstützt werden.
In der „Stabilisierungsphase“ etabliert sich ein neuer Zustand des Systems. Umweltpolitik hilft nun, neue Spielregeln zu setzen, und stimmt ihre Instrumente und Ziele auf das neue System ab.
Exnovation – nicht-nachhaltige Strukturen beenden
Bisher hat sich die Transformationsforschung und -politik vornehmlich auf Innovationen und ihre Förderung fokussiert. Allerdings sind technologische Innovationen allein nicht ausreichend, um umweltschädigende Systeme zu transformieren. Gleichzeitig muss ein bewusster Ausstieg aus den bisher vorherrschenden umweltschädlichen Technologien erfolgen, die sogenannte Exnovation. So reicht es nicht aus, Windräder und Solarzellen zu installieren – die fossile und atomare Energieproduktion muss im selben Maße abgebaut werden.
Damit kann ein umgreifender wirtschaftlicher Strukturwandel einhergehen. Ihn gilt es sozialverträglich zu gestalten. Dies ist insbesondere nötig, wenn ganze Branchen betroffen sind, wie beispielsweise die Kohle- oder die Autoindustrie, zumal wenn diese regional konzentriert sind. Die Regionen und die in den alten Industrien beschäftigten Menschen brauchen eine Perspektive für die Zukunft. Hier muss Politik unterstützen und soziale Verwerfungen abfedern.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Politik- und Sozialwissenschaften forschen am Öko-Institut interdisziplinär zu Transformationsprozessen und entwickeln Handlungsoptionen für die Politik. Unter anderem arbeiten sie in folgenden Projekten:
Forschungsprojekte: Transformationsprozesse verstehen und befördern
Um Transformationsprozesse fördern zu können, muss man sie zunächst verstehen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts haben in diesem Themenbereich mit verschiedenen Projektpartnern unter anderem das Vorhaben „Transformative Umweltpolitik“ für das Umweltbundesamt (UBA) und das Projekt „Trafo 3.0“ für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) durchgeführt.
Im UBA-Projekt wurde ein Konzept mit konkreten Handlungsansätzen für eine transformative Umweltpolitik entwickelt. In die Entwicklung flossen Erkenntnisse aus der internationalen Transformationsforschung und der umweltpolitischen Wirkungsforschung ein sowie Erfahrungen mit strategisch angelegter Umweltpolitik. Workshops dienten dazu, Fachleute aus Verwaltung und Gesellschaft einzubinden. Konzeptpapiere, ein Handlungsleitfaden („Wegweiser“) für das BMU und seine nachgeordneten Behörden sowie eine Abschlusskonferenz transportierten die Ergebnisse zurück zu den politisch Verantwortlichen.
Über die Zielgruppe staatlicher Umweltpolitik hinaus diente das BMBF-Projekt „Trafo 3.0“ dazu, ein Gestaltungsmodell sozialökologischer Transformationsprozesse zu entwickeln und in der Praxis zu erproben. In drei konkreten Anwendungsfeldern erarbeiteten die Expertinnen und Experten Analysen und Handlungsoptionen: papierloses Publizieren und Lesen, die Nutzung von Elektrofahrrädern im Stadt- und Regionalverkehr sowie nachhaltiges Produzieren und Konsumieren von Fleisch.
Forschungsprojekte: Transformationsprozesse sozialverträglich gestalten („Just Transition“)
In Transformationsprozessen gibt es in der Regel Akteure, die vom Wandel profitieren, und solche, denen Verluste drohen: Umweltschädliche Technologien und Geschäftsfelder werden durch umweltfreundlichere ersetzt, Arbeitsplätze gehen an einer Stelle verloren und entstehen an anderer Stelle. Aus Gerechtigkeits- und Akzeptanzgründen ist es wichtig, den Wandel sozialverträglich zu gestalten. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts forschen zu diesen Fragestellungen in mehreren Projekten.
Das Projekt „Ökologischer Strukturwandel“ im Auftrag des Umweltbundesamtes erstellte Analysen und Handlungsempfehlungen zur proaktiven Gestaltung und Flankierung von ökologisch bedingten Strukturwandelprozessen. Im Rahmen von Fallstudien, unter anderem zur Automobil- und Chemieindustrie, fand ein intensiver Austausch mit Unternehmen und Beschäftigten statt.
Für die Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission analysierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Öko-Instituts soziale Effekte von Umweltpolitik. Sie systematisierten mögliche positive und negative Auswirkungen von Umweltpolitik auf Arbeitsplätze und Konsumenten. Hierauf aufbauend erarbeitete das Team des Öko-Instituts Empfehlungen, um negative Effekte zu vermeiden und den Wandel zu mehr Nachhaltigkeit sozialverträglich zu gestalten („Just Transition“). Hintergrund des Auftrags waren die Arbeiten der EU-Kommission zum „European Green Deal“ und dem 8. Umweltaktionsprogramm.
Zu Transformationsprozessen allgemein:
Zu Exnovation und Strukturwandel:
Stiftung-Zukunftserbe-Projekt „Exnovations-Governance“ (2016)