
Governance: Umweltpolitik auf dem Prüfstand
Regieren, Regeln, Steuern, Koordinieren – hinter dem Begriff „Governance“ verbergen sich vielfältige Aspekte politischen Handelns. Die Akteure können staatliche sein, wie die Bundesregierung, Behörden oder Kommunen. Aber auch gesellschaftliche Akteure und Unternehmen tragen zur Regelung unseres Zusammenlebens bei.
Mit Blick auf Natur und Umwelt bezeichnet Governance Steuerungsansätze, die dazu beitragen, die Umwelt zu schonen, weniger Ressourcen zu verbrauchen, das Klima zu schützen, Verschmutzung zu mindern oder biologische Vielfalt zu erhalten. Dies reicht von Verfassungsgrundsätzen über Politikinstrumente verschiedener Art: Ge- und Verbote, Steuern, Informationskampagnen, aber auch Verbändeanhörungen und Bürgerbeteiligung.
Nicht zuletzt fallen unter Governance auch Selbstverpflichtungen und Managementansätze in der Wirtschaft (beispielsweise zur nachhaltigen Unternehmensführung), Standards von Verbänden (zum Beispiel zur Nachhaltigkeitszertifizierung) oder Runde Tische mit verschiedenen Stakeholdern.
Ausgestaltung von Governance: Vom Wissen zum Handeln
Welche Formen von Governance gibt sich eine Gesellschaft? Wie kommt sie vom Wissen zum Handeln? Sowohl gesellschaftliche Ideen und Diskurse als auch die Interessen und Strategien von Akteuren, institutionelle Kontexte oder Macht- und Problemstrukturen prägen die Art und Weise, wie eine Gesellschaft heute ihre eigene Steuerung umsetzt.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts tragen zu umweltpolitischer Governance bei, indem sie gesellschaftliche Aspekte von Umweltbelastungen analysieren, Vorschläge für politische Zielsetzungen entwickeln und strategische Anregungen geben, wie diese erreicht werden können. Sie prüfen, welche Instrumente geeignet sind, und beraten Behörden in fachlichen wie in Rechtsfragen – beispielsweise bei Vorarbeiten zum Bundes-Klimaschutzgesetz.
Das interdisziplinäre Team des Öko-Instituts analysiert staatliche Regularien ebenso wie privatwirtschaftliche Standards, evaluiert deren Umsetzung und den Erfolg von Maßnahmen. Es berät Akteure in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zudem ist das Öko-Institut beratend in die Normsetzung, in verschiedene staatliche Beiräte sowie in Verfahren der Infrastrukturplanung eingebunden.
Diskurse: Sprache prägt Sichtweisen und Lösungsansätze
Die politische Gestaltung und Gestaltbarkeit eines Themenfeldes hängen maßgeblich davon ab, wie dieses Thema gesellschaftlich wahrgenommen und diskutiert wird. So können unterschiedliche Akteure beispielsweise die Windkraft als Chance oder als Risiko, als unvermeidbar, aufhaltbar oder gestaltbar sehen. Verschiedene Perspektiven beinhalten eine jeweils eigene Sicht auf Probleme, Problemursachen, Verantwortlichkeiten und Lösungsansätze.
Sprache spielt hierbei eine zentrale Rolle: Sie rahmt Inhalte, weist Bedeutung zu, lenkt Assoziationen und Interpretationen, prägt Vorstellungen und Ideen. Ein gesellschaftlicher Diskurs kann sehr kontrovers oder von einer breiten Einigkeit geprägt sein. Manchmal kommt es zu Polarisierungen, die schwer aufzulösen sind. Um Strategien für die Ausgestaltung von Governance entwickeln zu können, ist es daher wichtig, zunächst die zugrundeliegenden Diskurse zu verstehen.
Beispiel: Bioökonomie-Diskurs
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts untersuchten im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) den stark polarisierten Diskurs zum Thema „Bioökonomie“. Dabei identifizierten sie drei Teildiskurse:
- einen „affirmativen“ Bioökonomiediskurs, der Chancen der Bioökonomie betont,
- einen „pragmatischen“ Bioökonomiediskurs, der Chancen und Risiken von Bioökonomie gegeneinander abwägt und nach stringenten Nachhaltigkeitsstandards ruft, sowie
- einen „kritischen“ Bioökonomiediskurs, der mit dem „dominanten“ (vom affirmativen Teildiskurs geprägten) Konzept der Bioökonomie mehr ökologische und soziale Risiken als Chancen verbindet und einen grundsätzlicheren Wandel fordert.
In seiner Studie entwickelte das Forschungsteam verschiedene Herangehensweisen, um mit der Polarisierung der Teildiskurse umzugehen.
Strategien: Mögliche Wege zum Ziel
Um langfristige gesellschaftliche Ziele wie Klimaneutralität oder den Erhalt der Biodiversität zu erreichen, sind diese durch konkrete Strategien zu unterfüttern: Es müssen (möglichst quantifizierte) Teilziele benannt, Handlungserfordernisse und -möglichkeiten analysiert sowie Maßnahmen und Erfolgsindikatoren entwickelt werden. Nötig ist auch die Abstimmung zwischen Akteuren und Ebenen.
Schließlich bedarf es einer Erfolgskontrolle und Lernmechanismen, um Strategien nachzusteuern und gegebenenfalls an ein sich änderndes Umfeld anzupassen. Oft gibt es unterschiedliche strategische Ansatzpunkte, deren Chancen, Risiken und Gestaltungsoptionen herauszuarbeiten sind: Wer kann als Unterstützer oder Multiplikator gewonnen werden, an welche Prozesse kann angedockt werden, welche Instrumente sind wirksam, welche Narrative überzeugen?
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts arbeiten seit Jahren in einer Vielzahl von Projekten zu strategischen Ansätzen in der Umweltpolitik. In ihrer Unterschiedlichkeit bilden die Ansätze eine Bandbreite von umweltpolitischen Perspektiven ab:
- Im Projekt „Umweltpolitik im 21. Jahrhundert“ setzt sich das Öko-Institut im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) mit den Chancen und Risiken ökonomischer Strategien für den Umwelt- und Naturschutz auseinander.
- Im Projekt „Future of EU Environmental Policy“ für die Europäische Kommission verfasste eine Forschungsgruppe des Öko-Instituts in Zusammenarbeit mit Trinomics ein Papier zu Strategien für einen sozial gerechten Wandel („Just Transition“).
- Im UBA-Vorhaben „Den ökologischen Wandel gestalten“ reflektierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts die Rolle von Zeit für Umweltpolitik und Nachhaltigkeitstransformationen.
Politikinstrumente: „Harte“ und „weiche“ Maßnahmen gut abstimmen
Während die Strategien den Weg abstecken, der zum gewünschten Ziel führen soll, stellen die einzelnen Politikinstrumente oder Maßnahmen die Bausteine dar, mittels derer beispielsweise ein nachhaltigeres Verhalten erreicht werden soll. Diese können in „harte“ und „weiche“ Maßnahmen unterteilt werden.
Ge- und Verbote, Steuern, Haftungs- oder Planungsrecht gelten als „harte“, weil verpflichtende Maßnahmen. Unter die „weichen“ Instrumente fallen Informationsangebote (Bildung, Produktinformationen), kooperative Instrumente (Runde Tische, Dialoge) und „Nudges“ (to nudge = anstoßen, stupsen), das heißt, Instrumente, die Verhaltensroutinen adressieren. Sie greifen weniger tief in die Handlungsspielräume von Zielgruppen ein (geringere „Interventionstiefe“) und sind im Wesentlichen freiwillig. Dazwischen liegen Grenzfälle: So binden Kennzeichnungspflichten zwar Produzenten und Handel, nicht aber die Endverbraucher.
Während „harte“ Maßnahmen allgemeinverbindlich sind und damit in ihrer Umsetzung kontrollierbar und sanktionierbar, mangelt es ihnen häufig an Akzeptanz und damit auch an Durchsetzbarkeit. Hier liegt die Stärke weicher Instrumente. Im ungünstigsten Fall können harte und weiche Maßnahmen einander schwächen: Beispielsweise verzögern „weiche“ Maßnahmen manchmal die Einführung von „harten“ Maßnahmen oder ersetzen sie gar. Allerdings lassen sich die unterschiedlichen Instrumententypen auch produktiv kombinieren. Dafür sollten sich ihre Stärken und Schwächen möglichst ausgleichen.
Beispiel: Maßnahmen für einen nachhaltigeren Konsum
Im Forschungsvorhaben „Nachhaltigen Konsum weiterdenken“ (NaKoWei) des Umweltbundesamtes (UBA) hat das Öko-Institut mit Partnern für das Feld des nachhaltigen Konsums erarbeitet, wie verschiedene Maßnahmentypen einander unterstützen können:
- „Weiche“ Maßnahmen fördern längerfristig gesamtgesellschaftliche Transformationsprozesse.
- „Weiche“ Maßnahmen fördern die politische Durchsetzbarkeit konkreter „harter“ Maßnahmen.
- „Weiche“ Maßnahmen fördern die erfolgreiche Umsetzung und Weiterentwicklung „harter“ Maßnahmen.
- Die Ankündigung oder Erwartung „harter“ Maßnahmen fördert die Nutzung „weicher“ Maßnahmen.
Übrigens: Quer zur Unterscheidung von „harten“ und „weichen“ Politikinstrumenten lassen sich auch „starke“ von „schwachen“ Instrumenten abgrenzen. Starke Instrumente verfolgen ambitionierte Ziele und werden stringent umgesetzt; schwache nicht. Ein hartes Instrument ist nicht notwendigerweise stark – und ein weiches nicht unbedingt schwach. Jenseits von „hart“ oder „weich“ geht es also immer auch um die konkrete Ausgestaltung und den Vollzug von Maßnahmen.
Mikro, Meso, Makro: zur Reichweite von Politikinstrumenten
Neben der Interventionstiefe unterscheiden sich Politikinstrumente auch hinsichtlich ihrer Reichweite. Übergeordnete „Makro-Instrumente“ wie der Europäische Emissionshandel betreffen mehrere Wirtschaftssektoren und wirken so in die Breite. Kleinteilige „Mikro-Instrumente“, wie beispielsweise energetische Standards für einzelne Geräte oder Technologien, sind auf einzelne Anwendungsbereiche zugeschnitten. „Meso-Instrumente“ wie die Ökodesign-Richtlinie wiederum adressieren mehrere Produktgruppen.
Im Auftrag des Umweltbundesamtes untersuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts die Vor- und Nachteile sowie das Zusammenwirken von Instrumenten unterschiedlicher Reichweite zur Energieverbrauchsreduktion.
Eine Literaturanalyse zeigte: Übergeordnete Makro-Instrumente sind notwendig, um eine absolute Reduktion des Energieverbrauchs zu erreichen. Sie setzen den Rahmen für Entscheidungen von Unternehmen, Verbraucherinnen und Verbrauchern (z.B. durch Internalisierung von externen Kosten) sowie für weitere politische Maßnahmen. Durch ihre breite geografische und sektorale Reichweite können sie Rebound-, Verlagerungs- und Substitutionseffekte vermeiden. Indem sie gesamtgesellschaftliche Visionen und Ziele operationalisieren, befördern Makro-Instrumente zudem kulturellen Wandel.
Mikro-Instrumente sind hingegen aufgrund ihres engeren Anwendungsbereichs und Zuschnitts besonders geeignet, spezifische Hemmnisse zu überwinden, beispielsweise Infrastrukturen zu verbessern oder Verhaltensänderungen anstoßen. Darüber hinaus können sie ungewünschte soziale Effekte abfedern.
Politikevaluation: Wirken die Maßnahmen?
Umweltpolitik soll Umweltprobleme mindern. Evaluation hilft zu beurteilen, wie gut ein politisches Programm oder eine Maßnahme tatsächlich wirkt. Sie beschreibt, welche Faktoren die Wirkung der Politik hemmen oder fördern. Indem Evaluation gute Praxisbeispiele und Erfolgsbedingungen von Politik ermittelt, bereitet sie positive Lernerfahrungen auf und macht sie breiter verfügbar.
Neben der Frage nach der ökologischen Wirkung kann Evaluation auch Aufschluss über Relevanz, Kohärenz, Wirtschaftlichkeit, soziale Effekte oder Akzeptanz einer Maßnahme geben. Dabei kann Evaluation sowohl vorab (ex ante) als auch begleitend und nach der Umsetzung (ex post) von Maßnahmen stattfinden. Evaluation – gut durchgeführt und von den Adressaten ernstgenommen – ist daher ein zentrales Instrument, um Umweltpolitik relevanter, wirksamer, kostengünstiger, fairer oder kohärenter zu machen.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts unterstützen die Politik auf unterschiedlichen Ebenen durch die Evaluation von Maßnahmen oder die Erarbeitung von Handreichungen zur Evaluation.
Working Paper „Handreichung für Evaluationen in der Umweltpolitik“ des Öko-Instituts
Kohärenzanalyse: Synergien nutzen, Konflikte auflösen
Umwelt- und gesellschaftspolitische Ziele und Instrumente sind stark vernetzt. Teilweise bestehen Zielkonflikte. Ein Beispiel ist die energetische Sanierung von Gebäuden: Die erwünschte Energieeinsparung geht mit einem hohen Ressourcenaufwand und der Sorge um die Verteuerung von Wohnraum einher. In vielen Fällen können indes auch Synergien genutzt werden – beispielsweise, wenn eine naturnähere Bewirtschaftung von Agrar- und Forstflächen sowohl das Klima als auch die Biodiversität schützt.
Die Kohärenz von Zielen und Maßnahmen zu sichern, erfordert zunächst einen guten Überblick über die betreffenden Handlungsfelder, Ziele und Instrumente sowie ihre Wirkungen und Wechselwirkungen. Als eine spezifische Form der Politikevaluation erfasst die Kohärenzanalyse die Wechselwirkungen zwischen Politikzielen mithilfe von Wirkungsketten.
Sie zeigt Zielkonflikte und Synergien zwischen den Zielen und Instrumenten verschiedener umweltpolitischer Handlungsfelder auf. Zudem kann sie die Kohärenz von möglichen neuen Zielen und Instrumenten vorab einschätzen und so die Entwicklung von umweltpolitischen Strategien unterstützen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts und der Freien Universität Berlin haben den Ansatz 2015 in einem Vorhaben des Umweltbundesamtes entwickelt. Seitdem haben sie ihn in verschiedenen anderen Projekten angewendet – sowohl in Bezug auf Wechselwirkungen zwischen Umweltpolitiken (beispielsweise Klima- und Biodiversitätspolitik), als auch zwischen Umwelt- und sozialen Politiken.
Kohärenz und Konflikte zwischen umweltpolitischen Zielen
Vollzug: Wenn es bei der Umsetzung hakt…
Erfolge im Umweltschutz hängen nicht zuletzt auch davon ab, dass die Verwaltung in der Lage ist, die ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben in der Praxis wahrzunehmen und Normen und Gesetze zum Schutz der Umwelt auch durchzusetzen. Durchsetzungsdefizite des Umweltrechts werden schon lange beklagt. Solche Schwierigkeiten gelten umso mehr für grenzüberschreitende Umweltprobleme, die durch die Globalisierung entstanden sind.
Deutsche Behörden brauchen unter Umständen eine zusätzliche Handhabe, um die Einhaltung wichtiger Umweltstandards auch von internationalen Unternehmen einfordern zu können, die ihre Produkte aus dem Ausland nach Deutschland einführen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts haben in verschiedenen Projekten Lösungsansätze entwickelt.
- Das Projekt „Produktverantwortung Online-Handel“ adressierte die Problematik, dass ausländische Hersteller zwar den hiesigen Markt nutzen, sich jedoch nicht an die abfallrechtlichen Regelungen halten (z.B. Registrierung, Übernahme von Kosten der Abfallentsorgung). Eine Option ist es, die im Inland angesiedelten Firmen, die an den Handelsströmen beteiligt sind – konkret: Plattformen wie Amazon oder Fulfillment-Center – ersatzweise in Anspruch zu nehmen, um die Hersteller zur Registrierung zu verpflichten.
- Eine ähnliche Problematik liegt grundsätzlich bei globalen Lieferketten vor. Nicht immer stellen Unternehmen, die beispielsweise Rohstoffe im Globalen Süden fördern oder Vorprodukte fertigen lassen, in angemessener Weise sicher, dass dort auch Umweltschutz- und Menschenrechtsstandards eingehalten werden. Die dortigen Verwaltungen sind oft zu schwach, während die hiesigen nicht befugt sind, die Einhaltung der Regeln im Ausland zu überwachen. Ein Lösungsansatz kann die Einführung von Sorgfaltspflichtengesetzen sein.
Themenseite „Globale Lieferketten: Wer kontrolliert Umweltschutz und Menschenrechte?“
- Auch das europäische Umweltrecht leidet seit längerem unter teilweise erheblichen Vollzugsproblemen in den EU-Mitgliedstaaten. In einem Forschungsvorhaben des Umweltbundesamtes analysierten Rechtsexpertinnen und -experten des Öko-Instituts die Pläne der EU-Kommission zur Stärkung des Vollzugs.