Verlängerte Zwischenlagerung – technische, organisatorische und gesellschaftliche Fragen

Der Betrieb von Kernkraftwerken hinterlässt hochradioaktive Abfälle, wie abgebrannte Brennelemente und verglaste Spaltprodukte aus der Wiederaufarbeitung, und Betriebsabfälle mit geringerer Radioaktivität. In Deutschland sollen alle diese Abfälle in tiefen geologischen Formationen endgelagert werden. Für hochradioaktive Abfälle liegt noch kein Endlagerstandort vor, für die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle ist das Endlager Schacht Konrad im Bau. Bis für die besonders gefährlichen Abfälle ein Endlager gefunden ist, müssen die hochradioaktiven Stoffe trotzdem sicher verwahrt werden. Aktuell lagern sie meistens in Zwischenlagern an den AKW-Standorten oder in zentralen Zwischenlagern.

Das Problem dabei ist: Die Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle wurden in Deutschland nur für jeweils 40 Jahre befristet genehmigt. Dies war ursprünglich vor allem politisch motiviert, um Befürchtungen an den Standorten entgegenzuwirken, sie könnten klammheimlich zum Endlager deklariert werden. In der Konsequenz wurden die für die Genehmigung erforderlichen Untersuchungen und Tests nur auf einen Zeitraum von 40 Jahren ausgelegt. Daher laufen die bestehenden Genehmigungen für Zwischenlager in den Jahren zwischen 2034 und 2046/47 aus.

Bis jedoch ein Standort für ein Endlager in Deutschland ausgewählt sein wird und dieses dann tatsächlich in Betrieb gehen kann, dauert es selbst nach optimistischen Schätzungen mindestens noch bis zum Jahr 2050. Die Entsorgungskommission (ESK), die das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) in den Angelegenheiten der nuklearen Entsorgung berät, geht in einem Diskussionspapier von Zwischenlagerzeiten zwischen 65 und 100 Jahren aus.

Die verlängerte Verwahrung in Zwischenlagern stellt Politik und Gesellschaft nun vor Herausforderungen in mehreren Bereichen: technisch, organisatorisch und gesellschaftlich.

Technische Herausforderungen: Behälter, Gebäude und Infrastruktur

Die Wärmeentwicklung abgebrannter Brennelemente ist hoch, dies gilt ebenso für die verglasten Abfälle aus der Wiederaufarbeitung. Wie sich Behälter und radioaktives Inventar bei verlängerter Lagerung verhalten, ist wissenschaftlich noch nicht vollständig verstanden. Ebenso können sich die sogenannten Hüllrohre, welche den eigentlichen Kernbrennstoff umschließen, durch Alterung verändern. Dies hat zum einen Auswirkungen auf die Sicherheit bei der Zwischenlagerung, andererseits aber auch auf die spätere Endlagerung, da es die Möglichkeiten zur Konditionierung (Aufbereitung) und Verpackung einschränken kann.

Auch die Gebäude sind nicht für eine längere Zwischenlagerung ausgelegt. Ihnen wurde ursprünglich nur eine untergeordnete sicherheitstechnische Bedeutung zugemessen. Um heutigen Anforderungen zu genügen, müssen sie nachgerüstet werden. Ebenso ist die Infrastruktur bei einem verlängerten Zwischenlagerbetrieb neu zu bewerten, beispielsweise wie zukünftig Reparaturmöglichkeiten gewährleistet werden können.

Die deutschen Zwischenlager stehen unter Aufsicht und werden regelmäßig überprüft. Jedoch beschränkt sich der Erfahrungsgewinn auf zugängliche Behälterbereiche und die Infrastruktur. Wie sich das nukleare Inventar beispielsweise alterungsbedingt verändert, dazu wird international geforscht, auch unter deutscher Beteiligung, aber nicht in Deutschland. Für Genehmigungen von Zwischenlagern über die 40 Jahre hinaus fordert die ESK in ihren Leitlinien aber neue geeignete Nachweise, beispielsweise wie sich Werkstoffe und Komponenten der Behälter und der radioaktiven Inventare unter den lagerspezifischen Beanspruchungsbedingungen verhalten.

Organisatorische Herausforderungen: Entsorgungspfade, Wissenstransfer und Kompetenzen

Organisatorisch fordert eine verlängerte Zwischenlagerung, den Entsorgungspfad immer wieder zu überdenken. Zwischenlagerung, Transport, Konditionierung und Endlagerung sind eng miteinander verzahnt. Veränderungen bei einem Teilschritt können sich erheblich auf die nachfolgenden Entsorgungsschritte auswirken. Ebenfalls zu beachten ist, dass die verschiedenen Entsorgungsschritte auf die gleichen finanziellen Ressourcen, das heißt den Entsorgungsfonds, zugreifen.

Wenn sich die Zwischenlagerung über mehrere Generationen von Mitarbeitenden erstreckt, ist es unbedingt erforderlich, tragfähige Regulierungen zum Wissensmanagement und -transfer zu etablieren. Erschwerend kommt hinzu, dass das Know-how und das Know-why auf unterschiedliche Akteure verteilt sind: Energieversorgungsunternehmen, Zwischenlagerbetreiber, Aufsichts- und Genehmigungsbehörden, Sachverständige. Verändern sich die Zuständigkeiten, muss das Wissen übertragen werden. Sehr wichtig ist es, dass die Kompetenzen erhalten bleiben. Auch die Dokumentation muss inhaltlich vollständig und langfristig verfügbar sein.

Gerade wenn sich nach Stilllegung und Rückbau der deutschen Atomkraftwerke die Zahl und die Aufgaben der Akteure verändern, muss zwischen den Betreibern auf der einen Seite und den Aufsichtsbehörden auf der anderen das System von Überwachung und Eingriffsmöglichkeiten weiterhin ausbalanciert sein.

Gesellschaftliche Herausforderungen: Dialog, Transparenz und Sozioökonomie

Nicht alles läuft glatt bei der Zwischenlagerung: In Brunsbüttel wurde die Genehmigung für das Zwischenlager gerichtlich entzogen; in Jülich ist eine Neugenehmigung des bestehenden Zwischenlagers nicht möglich; in Lubmin ist für die hochradioaktiven Abfälle ein Neubau erforderlich. Zu Recht fragt sich die Gesellschaft: Ist eine Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle sicher?

Der Dialog mit der Öffentlichkeit ist nicht nur bei der Auswahl eines Endlagerstandorts sondern auch bei Fragen der Zwischenlagerung eine kontinuierliche Aufgabe. Sicherheit ist für die Bürgerinnen und Bürger hoch relevant und muss immer wieder – erkennbar – geprüft werden. Je länger die Zwischenlagerung dauert, umso mehr ist ein Zwischenlager ein „gefühltes“ Endlager.

In Deutschland gibt es bisher nur wenig Forschung zu den gesellschaftlichen Anforderungen einer verlängerten Zwischenlagerung sowie zu den sozioökonomischen Auswirkungen von Zwischenlagern auf die Region. Hier gilt es, Wissenslücken zu schließen.

Zwischenlagerung ist eine Übergangslösung

Eine verlängerte Zwischenlagerung birgt Herausforderungen auf verschiedenen Ebenen, deren Wechselwirkungen berücksichtigt werden müssen. Es sind neue Genehmigungen auf Basis neuer Nachweise erforderlich. Der Bundestag muss sich erneut mit Fragen zur gesetzlichen Regulierung der Genehmigungen befassen.

In Hinblick auf die technischen, organisatorischen und gesellschaftlichen Herausforderungen ist es unbedingt erforderlich, Zeiträume für die Neugenehmigung einer verlängerten Zwischenlagerung zu definieren. Dabei gilt es stets im Blick zu behalten: „Die Lagerung radioaktiver Abfälle – einschließlich der Langzeitlagerung – ist eine Übergangslösung, aber keine Alternative zur Endlagerung.“ (EURATOM 2011/70)

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts bearbeiten zu verschiedenen Aspekten der Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle Stellungnahmen, Gutachten und Studien.

Stellungnahme zu sicherheitstechnischen Aspekten der Zwischenlagerung hochradioaktiver Abfälle

Für das Nationale Begleitgremium erstellte das Öko-Institut einen Gesamtüberblick über das Thema Zwischenlagerung hochradioaktiver Abfälle. Die Stellungnahme richtet sich auch an die Öffentlichkeit und behandelt daher Grundsatzfragen zu den wichtigsten sicherheitstechnischen Aspekten.

Themenschwerpunkte sind dabei der aktuelle Sicherheitszustand der Zwischenlager und dessen zukünftige Entwicklung. Zudem befasst sich die Stellungnahme mit Perspektiven, wie eine Zwischenlagerung jenseits der heute genehmigten Betriebszeiten der bestehenden 16 Standorte aussehen könnte.

In einem abschließenden Fazit zeigen die Autorinnen und Autoren weitere Aspekte auf, die von der Transparenz und Öffentlichkeit profitieren können. Diese hatte das Nationale Begleitgremium herbeigeführt.

Studie „Gutachterliche Stellungnahme zu wichtigen sicherheitstechnischen Aspekten der Zwischenlagerung hoch radioaktiver Abfälle Revision 01“ des Öko-Instituts im Auftrag des Nationalen Begleitgremiums

Projekte zu neuen Entwicklungen bei der längerfristigen Zwischenlagerung

In mehreren Forschungsprojekten analysierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts Langzeiteffekte der Zwischenlagerung. In Kooperation mit der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) und anderen Projektpartnern befassten sie sich mit möglichen Alterungseffekten der verschiedenen Komponenten, um sicherheitsrelevante Effekte zu identifizieren, die bisher nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Teil der Studie waren auch Vorschläge für ein verbessertes Alterungsmanagement sowie zusätzliche Untersuchungen und Überwachungsmaßnahmen.

Als Teil der Vorhaben untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die nationalen und internationalen Weiterentwicklungen im nichttechnischen Alterungsmanagement. Denn verlängerte Zwischenlagerzeiträume stellen auch neue Anforderungen an das Sicherheitsmanagement. Eine Fragestellung des Projektes ist, welche Vorschläge sich aus internationalen Erfahrungen für die deutsche Entwicklung ableiten lassen.

Die Ergebnisse wurden auf dem internationalen „Workshop on Safety of Extended Dry Storage of Spent Nuclear Fuel”, der 2018 zum zweiten Mal von der GRS ausgerichtet wurde, vorgetragen.

Vortrag „Organizational and management aspects in extended storage“ des Öko-Instituts

Studie „Sicherheitstechnische Aspekte der langfristigen Zwischenlagerung von bestrahlten Brennelementen und verglastem HAW“ des Öko-Instituts

Gutachten zur Langzeitzwischenlagerung abgebrannter Brennelemente und verglaster Abfälle

Im Auftrag der „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ (Endlagerkommission) erstellten das Öko-Institut und der TÜV Nord gemeinsam ein Gutachten zur Langzeitzwischenlagerung abgebrannter Brennelemente und verglaster Abfälle über mehrere hundert Jahre.

Sie kommen zu dem Ergebnis, dass eine derartige Langzeitzwischenlagerung eine grundsätzlich denkbare Strategie sei, so lange kein Endlager in tiefen geologischen Formationen zur Verfügung steht. Allerdings setzt sie eine bewusste Entscheidung und Begründung voraus, da sie die Verantwortung für das nukleare Erbe an zukünftige Generationen verschiebt.

Das Gutachten beleuchtet technische und nichttechnische Aspekte einschließlich der gesetzlichen Anforderungen. Es betrachtet auch verschiedene Ausführungsoptionen: sowohl die Weiternutzung der bestehenden Standorte als auch den Neubau einer oder mehrerer übertägiger sowie untertägiger, oberflächennaher Zwischenlager.

Studie „Gutachten zur Langzeitzwischenlagerung abgebrannter Brennelemente und verglaster Abfälle“ von Öko-Institut und TÜV Nord im Auftrag der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe