
Nuklearanlagen im Ausland: Altanlagen, Neubauten und Krisengebiete
Seit dem Beschluss der deutschen Bundesregierung zum Atomausstieg steht fest: Im Jahr 2022 wird hierzulande das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet. Dass damit die Verantwortung für die Risikotechnologie nicht endet, ist ebenso klar. Der Rückbau der kerntechnischen Anlagen, der Umgang mit den Zwischenlagern und die immer noch nicht geklärte Frage der Endlagerung sind Fragen, die Deutschland auch noch in Zukunft beschäftigen werden.
Dabei sollte der Blick an der Grenze nicht enden. In vielen europäischen Ländern und auch international betreiben Staaten derzeit Nuklearanlagen. Nach Angaben der internationalen Atomenergieorganisation (IAEA) waren mit Stand Februar 2020 weltweit 443 Atomkraftwerke in 31 Ländern (inklusive Taiwan) in Betrieb. 52 neue Anlagen sind im Bau. Zwar steigen neben Deutschland auch andere Länder aus der Kernenergie aus, dennoch werden international für viele weitere Jahre oder gar Jahrzehnte noch Anlagen betrieben werden.
Auch Atomkraftwerke altern
Viele der europäischen Kernkraftwerke sind bereits jahrzehntelang am Netz, was mit zunehmenden Risiken verbunden ist. Verschleiß und Materialermüdung machen die Technik störanfälliger.
Zudem lagen bei der Planung der Anlagen die Anforderungen an Sicherheitsstandards und Strahlenschutz auf einem deutlich niedrigeren Niveau als heute. So sind viele kerntechnische Einrichtungen nur unzureichend gegen Erdbeben, Extremwetterereignisse oder Angriffe von außen geschützt. Nachrüstungen sind erforderlich, aber auch nur begrenzt möglich.
Die grenznahen französischen Kraftwerke in Fessenheim und Cattenom oder das Atomkraftwerk Beznau in der Schweiz beispielsweise weisen einen bedenklichen Sicherheitsstatus auf: Sie weichen vom heute in Deutschland aber auch international geforderten Sicherheitsniveau ab.
Neubauprojekte in Europa und weltweit
Auch wenn immer wieder eine Renaissance der Kernenergie ausgerufen wird, nimmt ihre Wichtigkeit zur Energieversorgung stetig ab. Neubauprojekte in westeuropäischen Ländern stagnieren, oftmals begleitet von explodierenden Kosten, wie im französischen Flamanville und im finnischen Olkiluoto. Doch in Osteuropa haben einige Regierungen nach wie vor Interesse an der Atomenergie – auch, um den für den Klimaschutz notwendigen Ausstieg aus der Kohle zu kompensieren. So denken Staaten wie Polen darüber nach, erstmals in die Nutzung der Nukleartechnik einzusteigen.
Andere Staaten, wie China oder Indien, setzen bislang weiterhin auf die Kernkraft, selbst wenn der Neubau von atomaren Anlagen seit Fukushima deutlich langsamer vonstattengeht. Der Ausbau der erneuerbaren Energien schreitet in diesen Ländern aber schneller voran als bei nuklearen Anlagen.
Einen Einstieg in die Kernenergie erwägen auch Staaten wie Ägypten, Nigeria oder die Türkei. Die Türkei hat – unterstützt von Russland – mit dem Bau von zwei Atomkraftwerken begonnen. Russland verspricht dabei ein „Rundum-Sorglos-Paket“ von der Konzeption über den Bau bis zur Rücknahme der radioaktiven Materialien.
Doch was passiert mit der Anlage, wenn ein Vertragspartner insolvent werden sollte? Oder wenn Staaten in militärische Auseinandersetzungen geraten, wie die Türkei und Russland in Syrien? Generell sind für Neueinsteigerstaaten viele Fragen zu klären, wie die Schaffung einer unabhängigen Aufsichtsbehörde, die Ausbildung von qualifiziertem Personal oder die Entsorgung und Endlagerung der anfallenden hochradioaktiven Abfälle.
Nukleare Sicherheit in Krisengebieten
Selbst in stabilen Ländern ist die Nuklearenergie risikoreich. Was passiert aber, wenn sich die politische Lage ändert oder gar gewaltsame Konflikte ausbrechen? Gerade in Krisengebieten können instabile Verhältnisse die Infrastruktur beeinträchtigen, die zum sicheren Betrieb kerntechnischer Anlagen erforderlich ist. Dies reicht von der Arbeit der Aufsichtsbehörden über die Nachrüstung von Reaktoren bis hin zu Ersatzteillieferungen und der Ausbildung des Betriebspersonals.
Brechen gewaltsame Konflikte aus, kann beispielsweise die externe Stromversorgung ausfallen, die eine wichtige Rolle für den sicheren Betrieb eines Atomkraftwerks spielt. Hinzu kommt die Gefahr von gezielten Angriffen auf Atomanlagen.
Kerntechnische Expertise ist noch viele Jahrzehnte lang notwendig
Trotz des deutschen Atomausstiegs ist es wichtig, Expertise in Sachen Kernenergie im Land aufrecht zu erhalten. Hierzulande braucht es für Rückbau und Endlagerung des atomaren Erbes noch jahrzehntelang das Wissen hochqualifizierter Fachleute. Und auch international sollte Deutschland weiterhin sprechfähig bleiben, denn die Auswirkungen eines atomaren Unfalls machen nicht an Grenzen halt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts forschen daher auch an internationalen Belangen der Reaktorsicherheit.
Sicherheitsdefizite des AKW Cattenom
Im Auftrag der Länder Rheinland-Pfalz und Saarland haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts den aktuellen technischen Status des grenznahen Atomkraftwerks Cattenom in Frankreich analysiert und Sicherheitsdefizite festgestellt.
Die Analyse ermittelte die relevanten Bewertungsmaßstäbe für die Sicherheit der nuklearen Anlage in unmittelbarer Nähe der deutschen Grenze. Von dieser Basis ausgehend stellten die Expertinnen und Experten des Öko-Instituts die Sicherheitsdefizite – getrennt nach verschiedenen Sicherheitsebenen – dar. Ziel war es, solche Defizite zu identifizieren, die zu besonderen Risiken für Mensch und Umwelt führen.
Auf allen Sicherheitsebenen stellte das Gutachten schwerwiegende Defizite fest: So ist beispielsweise die Anlage derzeit nicht darauf ausgelegt, einem Erdbeben oder einem Flugzeugabsturz in allen Fällen zu widerstehen. Es könnte zu einem Mehrfachversagen von Sicherheitseinrichtungen kommen. Auch ist der Redundanzgrad gering – das heißt, zusätzliche funktional gleiche oder vergleichbare Ressourcen der Anlage sind nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Im Fall eines Brandes, eines Rohrleitungsversagens oder einer Sabotage der Sicherheitssysteme durch einen Innentäter könnte es zu einem Störfall mit möglicherweise gravierenden Folgen kommen.
Nukleare Sicherheit und Konflikte: Das Nuklearkrisenbarometer
Weltweit sind Nuklearanlagen in Krisengebieten in Betrieb. Beispielsweise in der Ukraine, in Pakistan, im Iran oder in Nord-Korea schwelen Krisen, die auch zu bewaffneten Konflikten und Kampfhandlungen aufflammen. Die dortigen Atomkraftwerke sind daher besonders verwundbar, ihre Sicherheit steht in Frage. Doch die öffentliche Aufmerksamkeit hat diesen Zusammenhang oftmals nicht im Blick.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts haben ein Forschungsprojekt zur Untersuchung des Zusammenhangs zwischen nuklearer Sicherheit und Konflikten durchgeführt. Finanziert haben es die Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF) und das Öko-Institut. Derzeit wird eine interaktive Webseite erstellt, um die Informationen zu bündeln. Auf Basis einer Datenbank zeigen globale und regionale Landkarten, wo weltweit Kernkraftwerke in Konfliktgebieten in Betrieb sind. So entsteht ein globales „Nuklearkrisenbarometer“ für nukleare Sicherheit, das regelmäßig aktualisiert wird.
Spendenprojekt „Krisenreport und Nuklearkrisenbarometer“ des Öko-Instituts