10 Jahre Fukushima

Vor zehn Jahren, am 11. März 2011, erschütterte nachmittags ein schweres Erdbeben der Stärke 9,0 die Ostküste Japans. Das Beben löste einen Tsunami aus, dessen Wellen bis zu 38 Meter hoch waren. Das Wasser führte zu massiven Überschwemmungen. Es zerstörte Straßen, die Stromversorgung und weitere Infrastruktur an der japanischen Ostküste.

Was im Kraftwerk Fukushima Dai-ichi passiert ist

Vom Erdbeben und vom Tsunami waren 2011 mehrere Kernkraftwerke betroffen, am schwersten der Kraftwerksstandort Fukushima Dai-ichi. Dort kam es in der Folge zu Kernschmelzen, schweren Wasserstoffexplosionen und gravierenden Freisetzungen von Radioaktivität.

Der Kernkaftwerk-Standort wurde von den Wassermassen großflächig überschwemmt und große Teile der Anlagen zerstört. Die zum Zeitpunkt des Erdbebens laufenden Reaktorblöcke wurden sofort automatisch abgeschaltet. Durch das Erdbeben fielen das öffentliche Stromnetz und damit die externe Stromversorgung des Kraftwerks aus. Infolge des Tsunami ging in allen sechs Reaktoren die Kühlwasserversorgung verloren. In fünf der sechs Reaktoren fiel die zuvor automatisch gestartete Notstromversorgung vollständig aus, der so genannte station blackout trat ein.

Damit fielen auch die elektrisch angetriebenen Pumpen aus, die zur längerfristigen Nachwärmeabfuhr zwingend benötigt werden. Ersatzaggregate zur Stromversorgung konnten nicht rechtzeitig beschafft und angeschlossen werden. Damit war keine Kühlung mehr möglich, sodass sich das Wasser in den Reaktoren immer weiter aufheizte. Ohne ausreichende Kühlung verdampften die noch vorhandenen Wassermengen in den Blöcken 1 bis 3 von Fukushima Dai-ichi, bis schließlich die Brennelemente nicht mehr mit Wasser bedeckt waren. Danach stieg die Temperatur der Brennelemente sehr stark an.

Durch eine chemische Reaktion der metallischen Brennstabhüllen mit dem Wasserdampf wurden große Mengen Wasserstoff erzeugt. Dieser gelangte durch den hohen Druck in den Reaktoren und bei dem Versuch, Druck aus den Sicherheitsbehältern abzulassen, in das Innere der Reaktorgebäude und kam dort in Kontakt mit Sauerstoff. Dies verursachte eine Reihe von Explosionen, die zu unterschiedlich umfangreichen Zerstörungen in den Kraftwerksblöcken führten. Gleichzeitig erhitzten sich die Brennstäbe soweit, dass es in den Reaktorblöcken 1 bis 3 zu schweren Kernschäden bis hin zur Kernschmelze kam.

Detaillierte Informationen im Artikel „Fukushima – Unfallablauf und wesentliche Ursachen“, Dr. Christoph Pistner, Öko-Institut, Fachzeitschrift „sicher ist sicher“, 2013

Wer für den Unfall verantwortlich ist

Das Kernkraftwerk Fukushima Dai-ichi war für Erbeben dieser Stärke weder ausgelegt noch dafür nachgerüstet worden. Auch ein Tsunami war für die sicherheitstechnischen Einrichtungen der Anlage in dieser Schwere und für eine solche Wellenhöhe nicht angenommen worden. Das bedeutet, dass es keine ausreichenden Vorkehrungen gab, einem solchen Beben mit folgendem Tsunami standzuhalten.

Das Erdbeben war in der direkten Folge für den Verlust der externen Stromversorgung verantwortlich; der Tsunami ließ die gesamten Nebenkühlwassersysteme sowie weite Teile der elektrischen Energieversorgung der Anlage zusammenbrechen.

Geltende Reaktorsicherheitsprinzipien – wie etwa eine ausreichende räumliche Trennung der Notstromdiesel und Batterien zur Notstromversorgung – waren in der Anlage nicht konsequent umgesetzt. Sowohl bei den Aufsichtsbehörden als auch beim Betreiber der Anlage muss ein mangelndes Sicherheitsbewusstsein sowie ein konkretes Versagen bei der Gewährleistung der Sicherheit der Anlage festgestellt werden. Sie haben neuere Erkenntnisse zur potenziellen Gefährdung des Standorts ignoriert und internationale Empfehlungen, die Sicherheit zu verbessern, nicht umgesetzt. Vielmehr war dem Betreiber nach eigener Aussage daran gelegen, die Kosten niedrig zu halten und Debatten um die Sicherheit der Anlagen zu vermeiden.

Insgesamt hat der Unfall in Fukushima aber auch gezeigt, dass Situationen, die zuvor als unmöglich ausgeschlossen wurden, in der Realität dennoch eintreten können.

Folgen für die Energiepolitik in Japan

Nach dem Unfall in Fukushima wurden alle laufenden Kernkraftwerke in Japan bis 2012 schrittweise heruntergefahren.  Die japanische Regierung hat nach einem umfangreichen formalen Prüfprozess Vorort-Prüfungen der Kernkraftwerke angeordnet, die das Sicherheitsniveau der Anlagen untersuchen sollen. Bis heute wurden 21 von damals insgesamt 54 in Betrieb befindlichen japanischen Kernkraftwerken endgültig stillgelegt. Von den verbleibenden 33 waren mittlerweile 9 Anlagen wieder am Netz (Stand Mitte 2020), die Zukunft der übrigen 24 Anlagen ist weiterhin unklar.

Die japanische Regierung hat neue Leitlinien für die Energiepolitik verabschiedet. Danach soll die Kernenergie auch weiterhin Bestandteil der japanischen Stromerzeugung bleiben. In welchem Umfang dies in Japan tatsächlich der Fall sein wird, ist gegenwärtig jedoch offen. Der weitere Zubau von neuen Kernkraftwerken wurde zwar gestoppt, ein Ausstieg wurde jedoch auch nicht beschlossen.

Was heute noch zur Schadensbegrenzung getan werden muss

Zurzeit und in den kommenden Jahrzehnten müssen umfangreiche Arbeiten zum Rückbau der Gebäude sowie zur Bergung der Brennstäbe stattfinden. Experten rechnen damit, dass es 30 bis 40 Jahre dauern wird, sämtliches nukleares Brennmaterial aus den Blöcken 1 bis 3 aufzufinden und sicher zu bergen. Dafür müssen zunächst die Reaktorgebäude selbst aufgeräumt und dekontaminiert werden.

Zunächst sind die Brennelemente aus den Lagerbecken zu sichern. Danach kann damit begonnen werden, den Brennstoff aus den zerstörten Reaktordruckbehältern zu holen. Die Sicherheitsbehälter müssen repariert und mit Wasser geflutet, beide Behälterarten geöffnet, der Brennstoff sicher verpackt und entfernt werden. Über das genaue Vorgehen wird intensiv diskutiert. Da der Brennstoff teilweise geschmolzen und ständig gekühlt werden muss, stellt dies das Team vor Ort vor große Herausforderungen. Auch die dauerhaft hohe Strahlenbelastung ist problematisch für die Reparatur- und Aufräumarbeiten. In den Anlagen herrschen auch zehn Jahre nach der Kernschmelze hohe Strahlenwerte, sodass Arbeiter die Reaktorgebäude nicht oder nur sehr kurz betreten dürfen.

Radiologische Folgen des Unfalls auf dem Kraftwerksgelände und in der Umgebung

Nach wie vor sind Reaktordruckbehälter, Sicherheitsbehälter und Gebäudestrukturen – unter Umständen auch Fundamente – in großem Umfang zerstört und undicht. Es kommt deshalb weiterhin zu Freisetzungen von Radioaktivität. Zusätzlich zur Radioaktivität im Reaktorkern sind auf dem Gelände auch große Mengen kontaminierten Kühlwassers vorhanden.

In den vom Unfall betroffenen Gebieten rund um die Anlage werden seit 2012 verschiedene Maßnahmen der Dekontamination durchgeführt, um Bereiche wieder bewohnbar zu machen und in wieder bewohnten Bereichen die Strahlenbelastung weiter zu reduzieren. Dazu werden Dachflächen abgespritzt, einige Zentimeter Bodenoberfläche abgetragen oder organisches Material gesammelt.

Hierbei fallen sehr große Mengen an schwach kontaminierten Abfällen an. Diese werden bislang in provisorischen Zwischenlagern in der Region Fukushima gelagert. Der langfristige Umgang mit diesen Abfällen ist noch ungeklärt. Auch wenn derartigen Maßnahmen die Strahlenbelastung der Bevölkerung reduzieren, ist der langfristige Erfolg solcher Aktivitäten fragwürdig. Zusätzlich können Wind oder Wasser radioaktive Stoffe aus ungereinigten Gebieten wieder in die gereinigten Gebiete tragen.

Die Provinz Fukushima: zwei Jahre nach der Katastrophe

Weitere Informationen

Studien des Öko-Instituts nach der Katastrophe
Vorträge der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts

Vortragsfolien Nuclear Power and Nuclear Safety Post Fukushima
Dr. Christoph Pistner, Dr. Matthias Englert, März 2017

Vortragsfolien Herausforderungen der Kernenergie: die Risiken der radiologischen Beeinträchtigung und die Lehre aus Fukushima
Dr.-Ing. Veronika Ustohalova, Juni 2016

Vortragsfolien Fukushima Daini - A comparison of the events at Fukushima Daini and Daiichi
Dr. Christoph Pistner, Dr. Matthias Englert, April 2015

Vortragsfolien Situation in Fukushima Heute - Gefahren und Herausforderungen
Dr. Christoph Pistner, März 2015

Vortragsfolien Fukushima und kein Ende - Ursachen, Ablauf und Konsequenzen des Reaktorunfalls
Dr. Christoph Pistner, Oktober 2013

Ablauf einer Katastrophe – was wir mittlerweile über den Unfall wissen
Vortragsfolien | Video
Dr. Christoph Pistner, März 2012

Zutritt verboten – über die Auswirkungen des Unfalls
Vortragsfolien | Video
Christian Küppers ‚ März 2012

Vortragsfolien Fukushima – Unfallablauf und -folgen
Dr. Christoph Pistner, Gerhard Schmidt, Oktober 2011

Vortragsmanuskript Nuclear Regulatory Systems (in englisch)
Dr. Christoph Pistner, Dezember 2012