
Obsoleszenz – Strategien gegen die Wegwerfgesellschaft
In unserer hochtechnisierten Industriegesellschaft sinkt die Lebens- und Nutzungszeit vieler Produkte und Geräte. Das neue Smartphone ist schon nach zwei Jahren veraltet, Laptops mit fest eingebautem Akku sind ein Fall für den Müll, wenn dieser an Leistung nachlässt, oder der nur wenige Jahre alte Drucker funktioniert schon nicht mehr.
Die Faktoren für den raschen Geräteverschleiß sind äußerst vielschichtig – definitionsgemäß bezeichnet die sogenannte Obsoleszenz die (natürliche oder künstliche) Alterung eines Produktes, so dass es nicht mehr geeignet ist das Bedürfnis zu befriedigen, für das es ursprünglich gedacht war. Dabei handelt es sich um ein grundsätzliches Problem unserer Gesellschaft: Während unser Wohlstand auf Wachstum und Konsum beruht, überschreiten wir gleichzeitig ununterbrochen die planetaren ökologischen Grenzen.
Alle gesellschaftlichen Akteure mitnehmen
Strategien gegen die Obsoleszenz sind komplex und können nur dann wirksam werden, wenn sie als gesamtgesellschaftliche Aufgabe im Zusammenspiel zwischen Politik, Herstellern, Wissenschaft sowie Verbraucherinnen und Verbrauchern begriffen werden. Dazu ist es unter anderem unabdingbar, ökologische Faktoren bei der Ausrichtung der Lebensdauer von Produkten stärker zu berücksichtigen.
Herstellung und Nutzung, aber auch Distribution und Entsorgung von Konsumgütern verschlingen große Mengen an Energie und Ressourcen und verursachen somit klimaschädliche Treibhausgasemissionen. Hinzu kommen weitere Umweltauswirkungen und soziale Probleme in den Entwicklungs- und Schwellenländern, beispielsweise beim Rohstoffabbau oder der Fertigung von Geräten für den Massenmarkt. Vergleicht man die Umweltwirkung kurz- und langlebiger Produkte, so ergibt sich ein erheblich größerer ökologischer Fußabdruck für erstere.
Langlebige Produkte schneiden besser ab
Faktencheck zur Obsoleszenz
Eine fundierte Datengrundlage zur Beschreibung und Beurteilung Phänomens Obsoleszenz schufen Forscherinnen und Forscher des Öko-Instituts in Zusammenarbeit mit der Universität Bonn mit der Studie „Einfluss der Nutzungsdauer von Produkten auf ihre Umweltwirkung“ im Auftrag des Umweltbundesamtes. Die Analyse erörtert die verschiedenen Arten der Obsoleszenz (werkstofflich, funktional, psychologisch und ökonomisch) in ihren komplexen Wechselwirkungen.
- Laut Definition spricht man von werkstofflicher Obsoleszenz, wenn einzelne Komponenten oder Materialien verschleißen und das Produkt dadurch unbrauchbar wird, beispielsweise wenn der festeingebaute Akku an Speicherkapazität verliert.
- Bei der funktionalen Obsoleszenz hingegen funktioniert das Gerät als solches noch, ist aber durch die technische Entwicklung den aktuellen Anforderungen nicht mehr gewachsen, weil beispielsweise die Schnittstellen für Hard- oder Software nicht kompatibel sind. Ein prominentes Beispiel dafür war, als mit einem Schlag Millionen von eigentlich funktionstüchtigen Computern nicht mehr dem Stand der Technik entsprachen, weil Microsoft das Betriebssystem XP nicht mehr unterstützte.
- Psychologische Obsoleszenz liegt vor, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher voll funktionstüchtige Geräte oder Produkte ersetzen, weil diese nicht mehr der Mode entsprechen oder das neueste Modell einen Zusatznutzen verspricht. Gerade im Bereich der Unterhaltungselektronik (Spielkonsolen, Fernseher) ist hier ein sehr schneller Wandel zu beobachten.
- Wirtschaftlich obsolet wird ein Gerät, wenn die Kosten für eine Reparatur oder Instandsetzung so hoch sind, dass ein Neukauf demgegenüber ökonomischer erscheint man spricht von ökonomischer Obsoleszenz.
Die Studie bestätigte die Annahme, dass die Lebens- und Nutzungsdauer der meisten untersuchten Produktgruppen in den letzten Jahren abgenommen hat. Anhand der umfassenden Datengrundlage und der Analyse war es möglich, Strategien für eine längere Nutzung von Produkten zu entwickeln.
Geplante Obsoleszenz?
Obsoleszenz, beziehungsweise geplante Obsoleszenz, ist in der Gesellschaft aber auch unter Herstellern, Wirtschaftswissenschaftlern und Politikern ein sehr kontrovers diskutiertes Thema. Geplante Obsoleszenz ist ein integrativer Teil der heutigen Produkt- und Konsumpolitik. Tritt die Obsoleszenz von Produkten immer früher ein, was die Analysen des Öko-Instituts bestätigen, stehen wir vor einem ökologischen Problem.
Unternehmen verfolgen unterschiedliche Ziele bei ihrer Produktentwicklung und Vermarktung, wobei sie viele Faktoren berücksichtigen. Solche Faktoren beeinflussen auch die Auslegung der Lebensdauer, wie zum Beispiel durch Belastung, Abnutzungsvorrat, Wartung, Wandel der Technik, Trends, Mode und Werte sowie weitere äußere Umwelteinflüsse. Idealerweise streben die Hersteller an, dass die technische Lebensdauer ihrer Produkte mindestens der Dauer ihrer erwarteten Nutzung entspricht. Alle Bauteile werden dementsprechend ausgelegt. Das Kernprinzip lautet, Produkte so zu gestalten, dass sie so lange wie nötig und nicht so lange wie möglich halten.
Die vorliegende Studie des Öko-Instituts sollte dazu beitragen, die zum Teil etwas eindimensional und emotional geführte Diskussion zu versachlichen und wissenschaftlich fundierte Handlungsstrategien auszuarbeiten, die dann zu einer aus ökologischen Gesichtspunkten optimalen Produktlebens- und Nutzungsdauer von Geräten führen.
FAQ „Fragen und Antworten zur Obsoleszenz“ des Öko-Instituts
Ursachen von Obsoleszenz sind vielfältig
Kernempfehlungen für eine nachhaltige Produktpolitik
Welche Strategien eignen sich nun, um die Lebens- und Nutzungsdauer von Produkten zu verlängern? Dies erforschten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts in verschiedenen Studien im Auftrag des Umweltbundesamtes in Zusammenarbeit mit diversen wissenschaftlichen Partnerinstitutionen. Dabei formulierten sie Kernempfehlungen an die Politik – inklusive konkreter rechtlicher und technischer Formulierungs- und Umsetzungsvorschläge.
Zentraler Baustein im empfohlenen Strategien- und Instrumentenmix sind Mindestanforderungen an die Qualität und Haltbarkeit von Produkten sowie ihrer kritischen Bauteile und Komponenten. Damit diese Anforderungen in der Praxis auch geprüft und verglichen werden können, muss zudem die Entwicklung von Messnormen und Standards für Bauteile und Geräte vorangetrieben werden.
Rechtliche Empfehlungen für die Politik
Darüber hinaus wird empfohlen, die Rahmenbedingungen für den unabhängigen Reparatursektor in der EU im Rahmen der Ökodesignrichtlinie zu verbessern. Diese betrifft die Verfügbarkeit und Lieferbarkeit von Ersatzteilen und den diskriminierungsfreien Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen. Für die Reparaturanforderungen sollte nach Ansicht der Expertinnen und Experten eine horizontale Verordnung unter der Ökodesign-Richtlinie geschaffen werden, die alle Elektronik- und Elektrogeräte umfasst.
Das Öko-Institut hat zudem in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Verbraucherforschung und nachhaltigen Konsum (vunk) der Hochschule Pforzheim weitere rechtliche Empfehlungen für die Politik herausgearbeitet:
- Pflicht zur Angabe einer Mindestlebensdauer mit zivilrechtlicher Wirkung
- Festlegung der Gewährleistungsfrist anhand der erwartbaren Lebensdauer von Produkten im Zuge der nationalen Umsetzung der europäischen Warenkaufrichtlinie
- Verlängerung der Beweislastumkehr auf zwei Jahre bei der Umsetzung der Warenkaufrichtlinie in Deutschland
- Einführung einer „Funktionsfähigkeitsgarantie“ gegenüber dem Hersteller/Importeur, damit die Käuferinnen und Käufer einen zusätzlichen Haftungspartner bekommen.
- Erweiterung der Verbandsklagebefugnisse für Umweltverbände als Durchsetzungs-instrument, so dass diese auch Verstöße gegen verbraucherschützende Normen (mit Bezug zur Nachhaltigkeit) vor Gericht geltend machen können.
Hinzu kommen Mindestanforderungen an die Software. Denn Haltbarkeit und Zuverlässigkeit von Geräten sind längst nicht mehr nur eine Frage der Hardware. Immer häufiger ist es auch eine Frage der Software-Performanz und der Kompatibilität zur jeweiligen Hardware. Hinzu kommen softwarebasierte Sicherheitsanforderungen und -risiken. Der Anteil software-betriebener Geräte nimmt im Zuge der Digitalisierung stetig zu. Daher arbeitet das Öko-Institut auch daran, systematisch die Erscheinungsformen und Ursachen softwarebedingt verkürzter Nutzungs- und Lebensdauern zu eruieren und auf dieser Basis Handlungsoptionen für die Politik abzuleiten.
Empfehlungen für Unternehmen
Forscherinnen und Forscher des Öko-Instituts unterstützten in verschiedenen Studien Firmen bei der möglichst ökologischen Ausrichtung der Lebensdauer der von ihnen hergestellten Produkte.
Orientierung für Verbraucherinnen und Verbraucher
Vor welchen Herausforderungen stehen die Verbraucherinnen und Verbraucher bei ihren Kaufentscheidungen? Sowohl im Laden als auch im Online-Handel gibt es derzeit nur wenige konkrete Anhaltspunkte, um langlebige Produkte schnell und einfach zu identifizieren. Das Öko-Institut hat daher Empfehlungen formuliert, wie Verbraucherinnen und Verbraucher langlebige und reparaturfreundliche Produkte identifizieren und damit aktiv die Konsummuster in Richtung Nachhaltigkeit verändern können.
Grundsätzlich ist dabei festzuhalten: Aus ökologischer Sicht lohnt es mit wenigen Ausnahmen immer, defekte Haushaltsgeräte reparieren zu lassen und sie so lange wie möglich zu nutzen. Nicht zuletzt zeigt das Öko-Institut auch, welche Geräte möglichst lang genutzt werden sollten, wann ein Neukauf sinnvoll ist und welche Rechte Verbraucherinnen und Verbraucher in Sachen Gewährleistung und Garantie haben.
Welche Geräte länger nutzen?
Studien und Infomaterialien mit Schwerpunkt Verbraucher:
Anlage Verbraucherbefragung zur Studie „Einfluss der Nutzungsdauer von Produkten“
Erklärfilm „Elektrogeräte: Produkte länger nutzen“
Studien mit den Schwerpunkten Software & IT: