
Partizipation: Großprojekte fair und transparent planen
Große Infrastrukturprojekte, wie zum Beispiel Verkehrsinfrastrukturen und Entsorgungs- oder Energieerzeugungsanlagen, führen häufig zu weitreichenden Veränderungen der Landschaft. Das Beispiel Energiewende zeigt dies sehr anschaulich: Die Stromerzeugung aus Wind und Sonne muss weiter ausgebaut, Strom-Übertragungsnetze müssen verstärkt oder neu gebaut sowie Kapazitäten zur Energiespeicherung erweitert werden.
Doch während die Zustimmung beispielsweise für die Energiewende allgemein sehr hoch ist, stoßen konkrete Projekte wie Windparks oder Stromtrassen immer wieder auf Ablehnung vor Ort. Dies ist nicht überraschend, denn gesamtgesellschaftlichen Vorteilen stehen häufig lokale Belastungen gegenüber.
Beteiligt man die Bürgerinnen und Bürger möglichst umfassend, bietet dies einerseits Chancen, demokratische und politische Entscheidungsprozesse zu verbessern und Konflikte zu verringern. Andererseits müssen neue Herausforderungen bewältigt werden, beispielsweise das Einhalten gesetzlicher Rahmenbedingungen vor dem Hintergrund der Erwartungen an Mitbestimmung durch die Beteiligten.
Beteiligung: weit mehr als nur informieren
Partizipation beinhaltet deutlich mehr als ein reines Informieren der Bevölkerung und geht auch über die gesetzlich vorgeschriebenen Formen der Beteiligung hinaus. Sie kann diese ergänzen oder auch vorangestellt werden, wenn absehbar ist, dass zur Konfliktbewältigung die gesetzlich vorgesehene Öffentlichkeitsbeteiligung nicht ausreicht. Gemeint sind vor allem informelle Formen der Beteiligung, die im Gesetz nicht vorgeschrieben sind und daher weder eingefordert werden können, noch eine bindende Wirkung der Ergebnisse beinhalten.
Der Gesetzgeber hat aber erkannt, dass Bürgerinnen und Bürger zunehmend mehr Mitbestimmung in Planungsprozessen einfordern und weist die Behörden an, bei Vorhaben mit wesentlichen Auswirkungen eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen. Auf dem Weg der Mitbestimmung gilt es, dialogische, informelle Formate anzubieten. Dies ermöglicht es, viele Interessengruppen und Akteure zu berücksichtigen, auf dass sie sich in der gefundenen Lösung wiedererkennen.
Grundsätzlich beruht Partizipation auf Freiwilligkeit, niemand kann gezwungen werden, sich zu beteiligen. Beispielhaft zeigte sich dieses Prinzip bei der Kommission zur Lagerung radioaktiver Abfälle, bei der verschiedene Bürgerinitiativen ausdrücklich Abstand von einer Beteiligung nahmen. Dies ist aber auch eine Schwachstelle: Wer nicht aktiv mitmacht, kann hinterher behaupten, er trage die Entscheidung nicht mit. Und die Gefahr besteht, dass Belange nicht eingebracht werden.
Gehör finden und mitgestalten
In einem partizipativen Verfahren muss allen Interessierten die Möglichkeit eröffnet werden, Gehör zu finden. Über das „Gehört werden“ hinaus, sollten die vorgebrachten Ideen und Argumente auch in die Entscheidungsfindung einfließen. Partizipationsprozesse können (müssen aber nicht) zu einer höheren Legitimität der Ergebnisse sowie zu „besseren“ Entscheidungen führen, denn die Wissensbasis verbreitert sich, wenn die Menschen vor Ort einbezogen werden.
In der partizipativen Windparkplanung konnten beispielsweise Naturschutzmaßnahmen, wie die Anbringung von Fledermauskästen, in Zusammenarbeit mit den lokalen Umweltverbänden realisiert werden. Auch die Standorte einzelner Windkraftanlagen sind letztendlich ein Kompromiss aus optimalem Stromertrag, Naturschutzbelangen und einer Abwägung der Interessen der Bevölkerung vor Ort sowie den gemeinwohlorientierten Zielen der Energiewende.
Außerdem können finanzielle Beteiligungsmöglichkeiten, wie bei einem Bürgerwindpark, die Konsensfähigkeit der Ergebnisse eines partizipativen Verfahrens erhöhen. Wichtig ist aber, dass das Verfahren transparent und fair durchgeführt wird. Dann kann die daraus resultierende Entscheidung von der Bevölkerung vor Ort eher akzeptiert werden.
Die Grenzen der Partizipation
Die Grenze von partizipativen Prozessen ist da zu setzen, wo in die Entscheidungshoheit der zuständigen Behörde eingegriffen werden soll. Ihr kann die eigene Entscheidung niemals vorweggenommen werden. Es besteht aber die Möglichkeit, die Behörde in partizipative Prozesse einzubinden.
So kann die Behörde beispielsweise einen einvernehmlich getroffenen Vorschlag als eine Option mitberücksichtigen. Es kann auch erreicht werden, dass der Vorhabenträger sich das im Partizipationsprozess erreichte Ergebnis zu eigen und somit zum Gegenstand seines Antrages macht. Vor jedem partizipativen Prozess ist zu klären, wie mit den Ergebnissen verfahren werden soll, da die Beteiligten eine Resonanz auf ihre Bemühungen erwarten.
Reallabore: Zivilgesellschaft und Forschung im Tandem
Reallabore stellen einen neueren Typ des Forschens dar, dessen Ansatz über die bisher verbreitete Form der Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern in Planungs- und Forschungsprozessen hinausgeht und gezielt Raum für Mitgestaltung bietet. In Reallaboren entwickeln interessierte Akteure aus der Zivilgesellschaft zusammen mit Forschenden Ideen und Projekte, die gemeinsam umgesetzt werden und deren Ergebnisse evaluiert werden.
Reallabore erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, um beispielsweise Transformationsprozesse anzustoßen und deren Chancen und Umsetzungsmöglichkeiten zu erforschen. Wichtig ist, dass hierbei sogenannte bidirektionale Lernprozesse zwischen Forschenden und den beteiligten Akteuren angestoßen werden, bei denen Wissen durchaus in beide Richtungen fließt. In der Transformationsforschung gelten Reallabore als wichtige Elemente gesellschaftlichen Lernens.
Ein aktuelles Beispiel ist das Reallabor „Wissensdialog Nordschwarzwald“. In einem transdisziplinären Forschungsverbund mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den Fachbereichen Forst und Touristik bearbeitet das Öko-Institut unter Einbindung gesellschaftlicher Akteure Fragen nachhaltiger Mobilität im ländlichen Raum des Nordschwarzwalds. Hier wurden Interviews und Workshops zu bestehenden innovativen Mobilitätsangeboten, vorhandenen Kompetenzen und Umsetzungshemmnissen durchgeführt.
Zur Website des Reallabors „Wissensdialog Nordschwarzwald“
Studie: „Gesellschaftliche Partizipationsprozesse, partizipative Forschungsmethoden und Methoden der Wissensintegration“
Zwischen 2013 und 2017 führte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Forschungsprogramm „Umwelt- und gesellschaftsverträgliche Transformation des Energiesystems“ durch. Gemeinsam mit dem Institut für sozial-ökologische Forschung (ISÖ) hat das Öko-Institut die Erkenntnisse aus insgesamt 33 geförderten Projekten zusammengetragen. Die untersuchten Projekte betrachteten das Themenfeld Partizipation und Bürgerbeteiligung aus verschiedenen Blickwinkeln und in unterschiedlichen Kontexten.
Die Studie zeigt, dass die meisten Partizipationsprojekte auf einem eher geringen Level der Partizipation durchgeführt wurden, nämlich dem der Information und Konsultation. Nur selten hatten die Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit einer echten Zusammenarbeit im Sinne einer Kollaboration oder Mitgestaltung.
Wie bringt man mehr Praxis in die Forschung?
Der Begriff der partizipativen Forschung stammt aus der transdisziplinären Forschung, die den Fokus auf eine übergreifende Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis legt. Auch hier ist die Ausgestaltung vielfältig:
- Einbezug von gesellschaftlichen Akteuren in das Design des Forschungsrahmens mit abschließender Reflexion der Ergebnisse (Co-Design)
- Einbezug von gesellschaftlichen Akteuren in den gesamten Forschungsprozess mit gemeinsamer Generierung von Wissen (Co-Produktion)
- langfristige Kooperation von Wissenschaft und Praxis, wie beispielsweise in Reallaboren
Die immer größere Beliebtheit transdisziplinärer Forschung resultiert aus der Erkenntnis, dass für die Lösung von komplexen Problemen aus der realen Welt, die Expertise der betroffenen Menschen – Akteure aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik – benötigt wird. Die Integration dieser vielfältigen Wissensbestände ermöglicht es, ganzheitliche Lösungswege zu finden, die nicht nur Spezialfragen der einzelnen Disziplinen berücksichtigen.
Praxisbeispiel: Wissenschaftliche Begleitung des Forums Flughafen und Region (FFR) am Frankfurter Flughafen
Seit dem Ausbau des Frankfurter Flughafen um eine vierte Landebahn werden am Standort in einem freiwilligen, vom Land Hessen unterstützten Prozess Lösungswege gesucht, aktive Schallschutzmaßnahmen zu erforschen und auch umzusetzen. Unter dem Dach des FFR vereinen sich mehrere Gremien, die sich mit Fragen rund um den Fluglärm befassen.
In den Gremien sind neben dem Flughafenbetreiber und Luftverkehrsgesellschaften auch kommunale Ansprechpartner und weitere Sachverständige, zum Beispiel des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) vertreten.
Das Öko-Institut ist seit vielen Jahren in seiner Rolle als wissenschaftliche Begleitung des FFR beratend tätig und unterstützt vor allem das Expertengremium Aktiver Schallschutz (ExpASS). Dort befassen sich die verschiedenen Arbeitsgruppen u.a. mit lärmärmeren An- und Abflugverfahren, Forschungsfragen zum lärmarmen Flugverkehr und der Berechnung, Überprüfung und Bewertung von Fluglärm mit dem Ziel, die Fluglärmbelastung am Standort zu reduzieren.
Beteiligungsstruktur des Expertengremiums Aktiver Schallschutz am FFR