Transdisziplinäre Forschung: Wenn Wissenschaft und Gesellschaft gemeinsam die Zukunft gestalten

Energiewende, Verkehrswende, Klimaschutz, Einsparungen bei Ressourcen und im Konsum – die Herausforderungen sind groß, die Probleme komplex, die Akteur*innen und Betroffenen vielfältig. Um dem zu begegnen, haben sich ausgehend vom Bereich Ökologie und Nachhaltigkeit schon seit den 1990er Jahren neue Formen der Wissensproduktion – also weg von der klassischen, rein wissenschaftlich-disziplinären Forschung – entwickelt. Sie überwinden nicht nur die Grenzen zwischen den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen wie die interdisziplinäre Forschung. In der transdisziplinären Forschung arbeiten wissenschaftliche und gesellschaftliche Akteur*innen eng zusammen.

Transdisziplinarität beteiligt unterschiedliche Gesellschaftsbereiche und mobilisiert deren jeweils ganz eigene Wissensformen, die aus der alltäglichen Praxiserfahrung resultieren. So können neue Wissensallianzen entstehen, um die gesellschaftlichen Herausforderungen noch besser zu bewältigen. Im Vordergrund steht die kollaborative – das heißt die gemeinschaftliche – Arbeit von Wissenschaft, ziviler Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und staatlichen wie nichtstaatlichen Institutionen.

Die Wissenschaft nimmt dabei Impulse von den beteiligten Akteur*innen auf und entwickelt sich weiter, während sie gleichzeitig eigene Impulse in die Praxis gibt. Transdisziplinäre und transformative Prozesse wirken folglich im Idealfall sowohl in die Wissenschaft als auch in die Praxis hinein und stoßen Veränderungen an. Ein besonderes Kennzeichen transdisziplinärer Forschung ist die enge Verbindung zwischen dem wissenschaftlichen und dem gesellschaftlichen System; die wechselseitigen Lernprozesse sollen Veränderungen anregen und ermöglichen.

Gestaltung anpassen, Entwicklung zulassen

Transdisziplinäre Projekte können ganz unterschiedlich ausgestaltet sein. Die verwendeten Formate und Methoden entwickeln sich stetig weiter. Wichtig für die Forschenden ist es, im Forschungsdesign und -prozess flexibel zu bleiben. Im Austausch mit den Partner*innen aus der Praxis gilt es, regelmäßig den Projektverlauf zu reflektieren, die Methoden anzupassen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln.

Vor allem in der Startphase eines Projekts sind die Herausforderungen sehr groß: Welche Formate und Methoden sind zielführend? Welche Akteur*innen müssen einbezogen werden? Gibt es ein gemeinsames Problemverständnis? Wie kann eine Messbarkeit hergestellt werden? Entscheidend ist es auch, ein gemeinsames Verständnis und Vertrauen zwischen Forschenden und Praxisakteur*innen zu schaffen.

Zudem sehen sich Wissenschaftler*innen in transdisziplinären Forschungsprozessen häufig mit verschiedenen Rollen gleichzeitig konfrontiert: Auf der einen Seite initiieren und koordinieren sie die Forschung. Auf der anderen Seite muss das Forschungs-Team zwischen Wissenschaft und Praxis vermitteln und zudem die Reflexion und Evaluation im Blick haben. Eine sinnvolle Kombination verschiedener Methoden, eingebettet in ein dem Vorhaben und den daran Beteiligten angepasstes Format, kann die Wissenschaftler*innen dabei unterstützen.

Beispiel Reallabor: neue Ansätze erproben, zukunftsfähige Lösungen finden

Eines der bekanntesten Formate transdisziplinärer Forschung ist das sogenannte Reallabor. Unter realen Bedingungen werden dabei – häufig in einem räumlich begrenzten Gebiet – neue Ansätze erprobt, um beispielsweise neue Dienstleistungen und Angebote zu testen und dabei Bürger*innen, kommunale Verwaltungen oder auch Akteur*innen aus der Wirtschaft zu beteiligen und zu aktivieren. Lokale Akteur*innen sind als gleichwertige Partner*innen einbezogen.

Die Partizipation erstreckt sich auf die themen- und raumspezifische Konzeption der Forschungsansätze (Co-Design), die gemeinsame Entwicklung, Durchführung und Erprobung der gewählten Angebote (Co-Produktion) sowie die Evaluation und Verbreitung der Ergebnisse (Co-Evaluation und Co-Dissemination) unter Einbezug aller am Prozess Beteiligten. Die Arbeitsweise ist experimentell und reflexiv mit einer langfristigen Ausrichtung.

Reallabore zielen häufig auf eine ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit im Sinne des Gemeinwohls ab. Dabei bewegen sich die Beteiligten im Spannungsfeld zwischen dem Forschungsziel, das die wissenschaftliche Wissenserzeugung im Fokus hat, und dem Praxisziel, das eine praktische Anwendung im Sinne der Nachhaltigkeit anstrebt.

Transdisziplinaritätsforschung – die Metaebene

Welche Formate sind unter welchen Rahmenbedingungen geeignet? Welche Kombinationsmöglichkeiten von Methoden sind sinnvoll? Und wie wirkt die transdisziplinäre Forschung am besten in die Praxis, um nachhaltige Transformationen anzustoßen? Über diese Themen forscht die Transdisziplinaritätsforschung auf einer Metaebene.

Sie systematisiert neue Formate und entwickelt sie weiter – selbstverständlich ebenfalls transdisziplinär, unter Einbeziehung der wissenschaftlichen Community sowie der Akteur*innen aus der Praxis.

Die Ergebnisse und Erkenntnisse sollen es den Forschenden und deren Partner*innen aus der Praxis erleichtern, die für ihre jeweiligen Kontexte passenden Formate und Methoden auszuwählen. Wissenschaftler*innen des Öko-Instituts arbeiten neben vielen transdisziplinären Projekten an der Basis auch in der übergeordneten Forschung zur Transdisziplinarität.

Projekt „tdAcademy – Forschungs- und Community-Plattform für Transdisziplinarität“ von Öko-Institut, Institut für sozial-ökologische Forschung, Leuphana Universität und Zentrum Technik und Gesellschaft.

Transdisziplinäre Projekte unter Mitwirkung des Öko-Instituts

Projekte im Themenfeld Energie

Projekt „TRANSENS – Transdisziplinäre Forschung zur Entsorgung hochradioaktiver Abfälle in Deutschland“ Mitarbeit des Öko-Instituts in einem Forschungsverbund aus 16 Instituten und Lehrstühlen

Projekt „GECKO – Nutzung der GEothermie für eine klimaneutrale Wärmeversorgung am KIT (Campus Nord) / inter- und transdisziplinäres Co-Design eines UmsetzungsKOnzepts“ von KIT, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am KIT und Öko-Institut

Kopernikus-Projekt „ENSURE das Stromnetz der Zukunft“ Transdisziplinäre Zusammenarbeit von Wissenschaftler*innen, Industrieunternehmen und zivilgesellschaftlichen Organisationen im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung

Projekte im Themenfeld Stadt- und Regionalentwicklung

Projekt „s:ne – Systeminnovation für Nachhaltige Entwicklung“ zu Themen wie Mobilität, Stadtentwicklung, globale Lieferketten oder kooperative Wärmeversorgung. Das Öko-Institut ist einer von sieben Projektpartnern der Hochschule Darmstadt.

Projekt „TRASIQ: Transformative Quartiersentwicklung – Konzepte und Optionen für Schwarmstädte“ Zusammenarbeit von sechs Forschungspartnern unter der Verbundkoordination des Öko-Instituts im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung

Projekt „ZuGG – Zukunft im ländlichen Raum gemeinsam gestalten“ des Öko-Instituts gemeinsam mit dem Technologie- und Gewerbezentrum Prignitz (TGZ) im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung („Kommunen Innovativ“)

Projekte im Themenfeld Mobilität

Projekt „WohnMobil – Innovative Wohnformen und Mobilitätsdienstleistungen“ Zusammenarbeit von fünf Forschungspartnern und sieben Praxispartnern im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung

Projekt „MobiQ – Nachhaltige Mobilität durch Sharing im Quartier“ von Öko-Institut, Hochschule für Technik Stuttgart und Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen, gefördert vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg

Ausgewählte Publikationen:

Weber et al. 2022: Reallabore – eine praxis-orientierte Näherung in wenigen Worten am Beispiel des Forschungsprojektes „Zukunft im ländlichen Raum gemeinsam gestalten (ZuGG)" (Working Paper)

KomKomIn 2022: „Im Gespräch...": Innovative Ansätze zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements

Weihe 2021: Der Realitäts-Check (eco@work-Artikel)

Lam et al. 2021: Transdisciplinary research: towards an integrative perspective

Melanie Mbah, Bettina Brohmann (2021): Das Lernen in Organisationen – Voraussetzung für Transformationsprozesse und Langzeitverfahren